zum Hauptinhalt
Viele Obdachlose wollen nicht in die Notunterkünfte oder finden keinen Platz. Die Alternative ist der Schlafsack.
© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Obdachlosigkeit in Berlin: Hilfsdienste durch Kälte unter Dauerbelastung

An kalten Tagen und Nächten sind die Bedürftigen besonders in Not, die Zahl der Hilfeanrufe steigt. Ein Besuch zur Essensausgabe in der Bahnhofsmission am Zoo.

Sie stehen an, sie ziehen Nummern, sie warten auf Essen. „Suppe“, wünscht sich Bernd als Mittagessen von der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten. Wahrscheinlich werden es wieder Schnittchen werden, vielleicht ein Salat. Die Mission darf keine eigenen warmen Mahlzeiten zubereiten. „Oder jeden Tag Fleisch“, weitet Bernd seinen Wunsch noch ein bisschen aus – wenn er sich schon mal etwas wünschen darf.

Knapp 50 Personen haben sich bereits vor dem Eingang entlang der roten Backsteinmauer eingereiht. Zwischen 60 bis 70 werden gleichzeitig in die Mission gelassen. Jede Stunde wird gewechselt. Die bisherigen Gäste müssen dann raus, neue dürfen rein. So werden hier in drei Schichten Mahlzeiten ausgehändigt. Aber noch wird gewartet. Mancher hat sich die Kapuze bis tief runter ins Gesicht gezogen, dick verpackt in Winterkleidung.

Ein Helfer in blauer Missionsjacke läuft neben der Menschenreihe hin und her und händigt bereits wärmende Getränke aus. Ein Mann sitzt direkt neben dem Eingang, den Mund weit offen und scheint zu schlafen. Zigaretten aus Osteuropa werden herumgereicht. Und Bernd hat bei drei Grad Minus die Jacke offen.

Schlafen im Wald

Ist doch gar nicht so schlimm“, sagt er und meint die Kälte. Fürs Schlafen helfe eine Pulle Wein, „dann gehen die Augen von ganz alleine zu“. Die letzte Nacht habe er in seinem Unterschlupf im Wald verbracht. Den habe er sich selbst gebaut. Wenn es zu kalt wird, macht sich Bernd ein Lagerfeuer.

Wie das funktioniert, hat er während seiner Kindheit auf dem Land gelernt. Um Geld zu verdienen, arbeitet er gelegentlich schwarz im Gartenbau. Das reicht zwar nicht für einen festen Wohnsitz, momentan will er aber auch gar nicht wieder zurück in ein geregeltes Leben.

Andere hier schlafen abends auf Bahnhöfen. Die Akzeptanz sei angesichts der Kälte groß. „Bei der Kälte schmeißt dich kein Wachpersonal raus, nur in Tegel auf dem Flughafen kannst du es vergessen“, erzählt Peter. Da müssten abends alle Obdachlosen gehen. In die Notunterkünfte will er nicht gehen. Zu eng und zu laut findet Peter es dort. „Ich mag keine Menschen“, scherzt er.

Schlafsäcke für alle

Im Missionsgebäude bereitet sich Leiter Dieter Puhl auf den Schichtwechsel vor. An der Tür zu seinem Büro prangt der Schriftzug „My Home is my Castle“. Jeden Abend händigt die Mission 20 bis 30 Schlafsäcke aus. Schätzungen für Obdachlosenzahlen in Berlin schwanken zwischen 6000 bis sogar 10 000 Wohnungslosen.

Grob nachgerechnet müsste Puhls Mission in diesem Rhythmus innerhalb von weniger als einem Jahr alle Berliner Obdachlosen mit Schlafsäcken versorgen können. „Aber so einfach ist das nicht“, korrigiert er die Rechnung und verweist auf die Seewolf-Studie über psychische Erkrankungen bei Wohnungslosen. Knapp 55 Prozent der Obdachlosen würden eine Persönlichkeitsstörung aufweisen.

Während ein Schlafsack bei Puhl selbst drei Jahre halten könne, seien manche Bedürftige ihre Nachtausrüstung in einigen Fällen schon nach wenigen Stunden wieder los. „Wir haben hier Leute, die sind dement und wissen nach ein paar Minuten schon nicht mehr, was sie gerade gemacht haben“, berichtet Puhl. Andere seien inkontinent und urinierten manchmal in ihre Schlafsäcke. Auch da muss dann ein neuer beschafft werden.

Ein neuer Kältebus

Um den fallenden Temperaturen gerecht zu werden, hat die Kältehilfe gerade ihre Kältebusflotte von zwei auf drei Fahrzeuge erweitert. Damit soll laut dem Leiter der Berliner Notübernachtungen Ulrich Neugebauer auf die steigenden Hilferufe reagiert werden. „Wir hatten in der Nacht zum Montag 120 Hilfeanrufe von Bürgern und Beamten“, beschreibt er den Andrang.

Der Kältebus rückt aus, um Obdachlose zu versorgen und zu wärmen, die nachts auf der Straße schlafen. Auf Wunsch bringt sie der Bus in noch freie Notunterkünfte. Auch die Zahl der Notunterkunftplätze wurde am Sonntag von 1100 auf 1200 erweitert.

Für Bernd ist das keine Option. Er bleibt im Waldunterschlupf. Am Sonntag hat ihm eine Berlinale-Besucherin fünf Euro zugesteckt. „Dafür gab es Essen wie auf einer Hochzeit“, sagt er.

Markus Lücker

Zur Startseite