Wälder in Brandenburg: Hier twittert die Kiefer
Die Digitalisierung der Mark wird immer wichtiger – nicht nur für die Forschung. Bäume sollen in Zukunft auch vor Waldbränden warnen.
Thomas Kralinski hat Pech, als er am Mittwochmorgen aus seiner schwarzen Dienstlimousine steigt. Er ist etwas zu spät und ausgerechnet in der Nacht zuvor hat es endlich geregnet. Außerdem muss er nachher noch zu Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), also hastet er im Karo-Anzug, mit Schlips und Ledertasche durch das Geäst im Wald nahe Britz (Barnim), 60 Kilometer nördlich von Berlin. Ärgerlich, doch was soll er tun. Schließlich kann er als brandenburgischer Digital-Staatssekretär ja nicht fehlen, beim Besuch der einzigen Kiefer Deutschlands, die auf Twitter aktiv ist.
Seit zwei Jahren sorgt der 26 Zentimeter schlanke Baum dafür, dass das Zwitschern im Wald hier, mitten in der Schorfheide, nicht nur ein Sprichwort ist. Täglich versendet die verkabelte Kiefer Botschaften über den Kurznachrichtendienst Twitter (englisch für zwitschern) in die Welt. Am Dienstagabend zum Beispiel dies: „Meine Tageszusammenfassung: Ich bin 0,04 Millimeter geschrumpft und habe 1,39 Liter Wasser transportiert.“ Vier Nutzern gefällt das.
„Es geht um die Zukunft des Waldes“
Ein Marketing-Gag der Tourismus-Behörde? Mitnichten. „Es geht um die Zukunft des Waldes“, sagt Jürgen Müller, Fachbereichsleiter für Waldökologie am Thünen-Institut, wo das Projekt betreut wird. „Wir wollen herausfinden, wie sich die zunehmende Trockenheit auf das Wachstum unserer Wälder auswirkt“, sagt der Waldhydrologe zu Kralinski, der sich gemeinsam mit der brandenburgischen Umweltstaatssekretärin Carolin Schilde über die Arbeit der Forscher informiert. Das Projekt, an dem sich auch twitternde Bäume in Holland, Belgien und Großbritannien beteiligen, soll den Wissenschaftlern flächendeckende Daten zum Umgang der Bäume mit dem sich ändernden Klima liefern.
Bei dem Projekt geht es jedoch nicht nur um wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Digitalisierung des Waldes wird in der Mark immer wichtiger. 1,1 Millionen Hektar Wald stehen in Brandenburg – mehr als in jedem anderen Bundesland. „Wir müssen wissen, wie viel die Holzwirtschaft jährlich fällen kann, ohne das Wachstum des Waldes zu gefährden“, sagt Müller.
Über Twitter wird die Bevölkerung aufmerksam
Doch warum muss die Kiefer dafür twittern? „Der Wald braucht eine Lobby und mit Twitter haben wir auf einmal das Interesse der Bevölkerung geweckt“, sagt Müller. Tatsächlich folgen dem Baum über 1500 Nutzer, beim Start des Projekts berichteten Medien bundesweit. Nur die Internetverbindung sei nicht immer stabil, berichtet der Waldhydrologe. Die Politiker schauen ein wenig schuldbewusst. „Das sage ich nachher direkt Herrn Scheuer“, sagt SPD-Mann Kralinski.
Geht es nach Jürgen Müller, sollen die Bäume in Zukunft aber nicht nur twittern, sondern auch vor Waldbränden warnen. Dafür haben die Forscher in Britz münzgroße Sensoren entwickelt, die an den Bäumen angebracht werden und mit Solarenergie betrieben werden. Bereits leichte Veränderungen der Luftwerte erfassen sie und schlagen gegebenenfalls Alarm – noch bevor es qualmt. Was früher Menschen mit Ferngläsern aus Beobachtungstürmen und seit ein paar Jahren 107 Kameras im Land machen, sollen die Bäume künftig selbst überwachen. „Die Bäume sind schneller als unsere jetzigen Frühwarnsysteme“, sagt Müller.
Die Frühwarnsensoren sind noch ein Prototyp
Noch sind die Sensoren nur ein Prototyp, doch vielleicht, so hofft Müller, findet sich ja bald ein Investor. Das hofft auch der Digital- Staatssekretär, der auf zusätzliche Arbeitsplätze in seinem Bundesland spekuliert. „Beim Wald zeigt sich, wie das traditionell Konservative und das Moderne in Brandenburg zusammenkommen können“, so Kralinski.
Die Digitalisierung im Wald beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Forschung. Längst hat die Technik selbst in klassische Handwerksberufe Einzug gehalten. Einer, der diese Entwicklung miterlebt hat, ist Günter Krüger. 25 Jahre stand der ausgebildete Forstwirt Tag für Tag mit seiner Motorsäge in den Wäldern rund um Eberswalde. „Mein Ziel war es aber immer, aus dem Wald herauszukommen“, sagt er und berichtet von vielen Weiterbildungsseminaren, an denen er teilnahm. Seit acht Jahren nutzt er nun das sogenannte „Dralle-System“.
Dabei handelt es sich um Kameras, die auf einem Autodach installiert sind und im Vorbeifahren die Menge des am Waldweg bereitgestellten Holzpoller messen. Was früher von Hand erledigt wurde und teils Stunden in Anspruch nahm, dauert nun nur noch Sekunden und ist dabei noch viel genauer.
Forstarbeiter arbeiten auch mit Drohnen
„Ich war damals der Erste in Brandenburg“, sagt Krüger. Drei Geländewagen mit entsprechender Technik gibt es inzwischen, ein vierter wird gerade ausgebaut. „Viele meiner Kollegen scheuen sich noch immer, mit der Technik zu arbeiten“, sagt er, der privat „null“ mit Computern zu tun habe. Bald geht sein Kollege in Rente, der mit ihm die Technik nutze. „Wir müssen dringend junge Leute einstellen“, sagt Krüger, nachdem die Politiker schon zur nächsten Station ihres Besuches aufgebrochen sind.
Dort sollen sich Schade und Kralinski noch die neue Drohne anschauen, mit der die Forstarbeiter inzwischen arbeiten. Schädlinge in den Baumkronen und Sturmschäden sollen so frühzeitig und umfassend dokumentiert werden. 14 500 Euro hat die gekostet, bislang besitzen aber lediglich zwei Mitarbeiter des Landesbetriebes Forst eine Lizenz, um sie zu steuern.
Doch die Technik bei der Präsentation hapert. Nur einer der vier Rotoren dreht sich. Der Pilot hantiert etwas nervös an der Batterie, dann hebt die Drohne doch noch ab und die Politiker nicken beeindruckt. Der zuständige Forstamtsleiter atmet erleichtert auf, während sich Thomas Kralinski schon verabschieden muss. Über den Baumwipfeln dröhnt noch die Drohne.