Radrouten-Konzept des BUND für Berlin: Hier ist die Alternative zum Fahrrad-Volksentscheid
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland sieht den Fahrrad-Volksentscheid kritisch – hat aber Vorschläge erarbeitet, die er für realistisch und umsetzbar hält.
Wenn sich jemand mit Volksbegehren auskennt, dann der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der Verband war beteiligt, als Tempelhof erst Flughafen und dann Freifläche bleiben sollte – erst contra, dann pro, versteht sich. Außerdem hat er den Energie-Entscheid unterstützt. Doch das Fahrrad-Volksbegehren will der Verband „konstruktiv begleiten, aber weder mittragen noch aktiv unterstützen“, wie Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser sagt.
Das überrascht zunächst, da der BUND sich seit Jahren mit eigenen Analysen und Konzepten bemüht, die Bedingungen für den Umweltverbund, also Busse und Bahnen sowie Rad- und Fußverkehr, zu verbessern. Beim Fahrrad-Entscheid hält der Verband allerdings sowohl den Weg als auch die Ziele für problematisch: Was den Weg betrifft, ist ein Gesetzentwurf aus Sicht von Heuser ungeeignet – denn zur Entscheidung steht keine Grundsatzfrage, die das Volk mit Ja oder Nein beantworten könnte, sondern ein Paket von Maßnahmen, die das Stadtbild verändern würden.
Den politischen Druck wollen sie nutzen
Etwa die „mindestens 100 Kilometer“ kreuzungsfreier Radschnellwege und 350 Kilometer Fahrradstraßen, die dann per Landesgesetz festgeschrieben werden. Für die Umsetzung wären vor allem die Bezirke zuständig, aber auch die Verkehrsverwaltung, die sich aber an Bundesrecht, nämlich die Straßenverkehrsordnung halten müssten. Außerdem würden wohl auch die Bezirksverordneten viele Einzelvorhaben stoppen, wenn dafür etwa Autostellplätze wegfielen.
Tatsächlich ist offen, wo die geforderte Infrastruktur entstehen soll. Die Möglichkeiten sind begrenzt, weil die klassischen Optionen wie stillgelegte Bahntrassen und breite Uferstreifen an Gewässern kaum vorhanden oder längst anderweitig genutzt sind. Außerdem fürchtet der BUND, dass die Forderungen der Rad-Aktivisten zulasten anderer umweltfreundlicher Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Busse gehen.
Den politischen Druck, den das Volksbegehren schon vor Beginn der Unterschriftensammlung erzeugt, wollen allerdings auch die BUND-Verkehrsexperten nutzen, damit die vielen versprochenen Verbesserungen für den Radverkehr – gebündelt in der vom Senat beschlossenen Radverkehrsstrategie – endlich zügiger umgesetzt werden.
Aus Sicht von Tilo Schütz tut sich in jüngster Zeit manches, das vielen zugutekommt. Der Stadtplaner und Verkehrsexperte kennt die Verhältnisse wie kaum ein anderer, weil er den vom BUND herausgegebenen (im Buchhandel erhältlichen) Fahrradstadtplan verantwortet, dessen 4. Auflage jetzt erschienen ist. So seien Meilen wie Warschauer, Karl-Marx- und Schloßstraße nicht länger oder bald nicht mehr Radfahrerhöllen, und die Asphaltierung holpriger Nebenstraßen komme zumindest in Neukölln gut voran, sodass quasi nebenbei ein ganzes Radroutennetz entstehe.
Berliner Südwesten besonders interessiert an fahrradfreundlichen Wegen
Diese Art Wachstum will der BUND forcieren: Belag glätten, Durchgangsverkehr durch Mittelinseln an Kreuzungen fernhalten, die Routen beschildern, Ampelkreuzungen im Nebennetz zu Mini-Kreisverkehren umbauen – und im Einzelfall auch mal der Radroute Vorfahrt geben. Darin sehen Schütz und Heuser die realistischere Alternative zu den Forderungen des Volksentscheids.
Die Umsetzung hat der BUND für zwei Routen schon mal exemplarisch mitgeplant – und der Verkehrsverwaltung überreicht, die ohnehin eine entsprechende Machbarkeitsstudie in Auftrag geben will. Eine „Vorrangroute“ soll auf 34 Kilometern von Tegel durch Wedding, Mitte, Kreuzberg und Neukölln nach Adlershof führen – auf vorhandenen Straßen, die in vielen Details verändert werden müssten. Eine 13 Kilometer lange Schnellverbindung schlägt der BUND vom Schlossplatz durch Friedrichshain bis zum Wuhletal vor. Die Routen wurden auch unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, dass sie typischen Pendlerstrecken entsprechen.
Besonders großes Interesse an fahrradfreundlichen Wegen hat Schütz im Berliner Südwesten registriert – wo der Stadtplanausschnitt ein paar Kilometer vor der Stadtgrenze endet. Deshalb hat er eine eigene Karte für diese Region erarbeitet. Die erfasst auch den Speckgürtel. „Potsdam habe ich gern dazu genommen, weil sich die Verhältnisse für den Radverkehr dort flächendeckend verbessert haben“, sagt Schütz. Die einstufige Potsdamer Verwaltung bringe Ideen offenkundig deutlich schneller auf die Straße als die zweistufige in Berlin.