„Völlig verantwortungslos“: Heftiger Streit im Berliner Parlament zum Mietendeckel
Nach dem Aus für den Mietendeckel geht der Kampf um die Deutungshoheit auch im Abgeordnetenhaus weiter. Opposition und Koalition attackierten sich scharf.
Der Mietendeckel ist gekippt, die Stimmung ist angespannt. Im Abgeordnetenhaus gab es am Donnerstag eine heftige, mit Zwischenrufen gespickte Debatte. Ausgetragen wurde sie vom Spitzenpersonal aller Parteien, und die Elefantenrunde glänzte vor allem mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Die Opposition warf Rot-rot-grün vor, aus ideologischen Gründen ein ungültiges Gesetz zulasten von Berlins Mieter:innen verabschiedet zu haben.
Abgeordnete der Koalitionsfraktionen dagegen beschuldigten CDU und FDP, sich nicht um die Belange von Mieter:innen zu kümmern und mit der Normenkontrollklage, in deren Folge das Bundesverfassungsgericht vergangenen Donnerstag das Mietenwohngesetz für nichtig erklärt hatte, vor allem im Interesse der Immobilienlobby gehandelt zu haben.
AfD und CDU hatten das Thema mit jeweils einem eigenen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski sagte, mit dem Mietendeckel sei das „Flaggschiff des Senats“ versenkt worden.
Und brachte eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ins Spiel: „Jede kleine Demonstration von tatsächlichen oder vermeintlichen Extremisten“ werde sonst beobachtet, sagte Pazderski. „Aber wenn eine ganze Landesregierung und die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament die Verfassung nicht beachten und die Bürger in die Irre führen, dann ist das offenbar nur ein Kavaliersdelikt.“
Dregger: Verfassungswidriges Gesetz ist „asozial, nicht sozial“
Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger griff die Regierungskoalition scharf an: Ein verfassungswidriges Gesetz sei „asozial, nicht sozial, und das kennzeichnet Ihre Politik“. Rot-Rot-Grün habe versucht, die Berliner Stadtgesellschaft aufzuhetzen und sie „gespalten im Sinne des Klassenkampfes in Mieter und Vermieter“, sagte Dregger, „völlig verantwortungslos“.
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Auch hätten sich einzelne Akteure im Nachgang des Urteils daneben benommen. „Sie scheuen sich nicht einmal, das Bundesverfassungsgericht zu diskreditieren“, rief Dregger in Richtung der Koalitionäre, und forderte ein Disziplinarverfahren für Alexander Fischer, Staatsekretär von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). Dieser hatte wenige Stunden nach dem Urteil getwittert: „Wie viele ehemalige CDU-Politiker sitzen im 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts? Ich frage für einen Freund.“ Der Tweet ist inzwischen wieder gelöscht.
Vorwürfe, für die finanziellen Nöte von Menschen verantwortlich zu sein, auf die nun möglicherweise hohe Nachzahlungen auf bisher gedeckelte oder gesenkte Mieten zukommen, wehrte Dregger ab: Die Normenkontrollklage habe verhindert, dass Vermieter „massenhaft und über Jahre“ den Weg zum Bundesverfassungsgericht hätten erstreiten müssen. Wäre das Gesetz erst in einigen Jahren für nichtig erklärt worden, wären Berlins Mieter:innen mit noch viel höheren Nachzahlungen konfrontiert gewesen, erklärte Dregger.
Czaja: Mietendeckel war „Verfassungsbruch mit Ansage“
Der Fraktionsvorsitzende der FDP Sebastian Czaja warf den Koalitionären vor, sie hätten „Verfassungsbruch mit Ansage“ begangen und damit „Glückspiel betrieben“ mit den Sorgen und Ängsten von Mieter:innen in Berlin. Statt sich nach dem Urteil zu entschuldigen, hätten Mitglieder der Koalition versucht, das Bundesverfassungsgericht zu diskreditieren und zu Mietdemonstrationen aufgerufen. Damit hätten sie den gesellschaftlichen Frieden gefährdet.
Abgeordnete von SPD, Linke und Grünen wie auch Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) verteidigten hingegen den Mietendeckel. Der Fraktionsvorsitzende der SPD Raed Saleh warf der CDU Heuchelei vor: „Ihnen ging es nie darum, ob das Gesetz verfassungskonform ist oder nicht.“ Auch der Schutz von Mieter:innen sei der Union „schnuppe“: „Das Einzige, was Sie interessiert, sind die Interessen Ihrer Lobby und der größtmögliche Profit.“
Wie Saleh forderten auch Anne Helm (Linke) und die Spitzenkandidatin der Grünen Bettina Jarasch den Bund auf, mehr für den Mieterschutz zu tun. Helm wies den Vorwurf zurück, das Urteil sei absehbar gewesen. Scheel versicherte erneut, der Senat werde Betroffene nicht im Stich lassen. Der Senat will einen Hilfefonds auflegen, der Menschen, die nun anfallende Nachzahlungen an ihre Vermieter nicht stemmen können, zinslose Darlehen zur Verfügung stellen soll.