Gekippter Mietendeckel wird teuer: Berliner Senat beschließt Millionenhilfen für Mieter
Bausenator Scheel hatte es versprochen, nachdem das Verfassungsgericht das Gesetz kippte: Nun kommen die „Sicher-Wohnen-Hilfen“ für Mieter.
Das Land Berlin will Mieter unterstützen, die wegen des verunglückten und von Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Gesetzes zur Deckelung und Senkung der Mieten in finanzielle Not geraten könnten. Eine entsprechende „Tischvorlage“ für „Härtefälle“ aus dem Hause der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen beschloss der Senat am Dienstag.
Die Zeit eilt, weil nach Schätzungen der Verwaltung 365.000 Berliner einen zeitweiligen Anspruch auf Mietsenkung nach dem nun wieder kassierten Gesetz hatten.
Davon könnten 40.000 Haushalte nicht in der Lage sein, die Differenz zwischen rechtmäßiger und zeitweilig gedeckelter Miete zu erstatten. Ihnen droht im äußersten Fall eine Räumungsklage. Für diese Haushalte soll die Härtefall-Regelung greifen.
Geplant ist die Einrichtung eines Fonds zur Bereitstellung von Miethilfen, einer „Sicher-Wohnen-Hilfe“. Wer Geld bekommt, hängt vom Einkommen ab. Maßstab ist die Berechtigung zum Erhalt eines Wohnberechtigungsscheins, wobei die zulässige Einkommen doppelt so hoch sein dürfen. Der Senator für Stadtentwicklung Sebastian Scheel (Linke) nannte als Beispiel: „Ein Alleinerzieher, der 2800 Euro netto bezieht, kann einen solchen Antrag stellen“.
Zur Überprüfung ihrer Hilfsbedürftigkeit müssen die Mieter den Ämtern weit reichende Auskünfte erteilen. So müssen sie den Ämtern einreichen:
- ihren Mietvertrag,
- einen Mietzahlungsnachweis für die letzten drei Monate,
- unter Umständen ein Schreiben mit der Forderung ihres Vermieters,
- sowie eine eidesstattliche Versicherung, dass eine wirtschaftliche Notlage vorhanden ist, dass der Vermieter/die Vermieterin nicht bereit ist, auf eine Nachzahlung zu verzichten oder sie zu stunden. Und dass der Mieter keine anderen staatliche Leistungen in Anspruch nimmt wie beispielsweise Wohngeld, soziale Wohnhilfe oder ähnliches.
Wenn die Unterlagen vorliegen, beginnt eine „vertiefte Prüfung“ durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Die landeseigene Förderbank IBB übernimmt die Auszahlung. Beim Senat sind 48 Mitarbeiter angesiedelt und ähnlich viele in den Beratungsstellen der Bezirke. Diese sollen Scheel zufolge auch in die Beratung rund um den Hilfefonds eingebunden werden.
[Hilfen nach dem Mietendeckel-Aus: Was Mieter über die Darlehen des Berliner Senats wissen müssen, lesen Sie hier auf Tagesspiegel Plus.]
Das Geld soll bereits am 1. Mai auf den Konten betroffener Mieter sein, versprach Scheel. Allerdings handle es sich um „Liquiditätsüberbrückungen, die nur in Härtefällen in Zuschüssen umgewandelt“ wird - also gleichsam um Darlehen. Ziel sei es, Kündigungen abzuwehren, zu denen Vermieter berechtigt sein könnten. „Asozial“ nannte Scheel es, dass der Verband „Haus und Grund“ auf diese Option hingewiesen habe.
Mietendeckel-Fonds umfasst zehn Millionen Euro
In der Senatsvorlage heißt es weiter: „Der Härtefallfonds darf nur jene Mieter*innen schützen, deren Mietrückzahlungen nicht bereits durch Transferleistungen oder Wohngeld erstattet werden. Mieter*innen mit hohem Einkommen sollen nicht profitieren. Mitnahmeeffekte sollen vermieden werden.“
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„Karlsruhe hat nur die Frage der Zuständigkeit geklärt, das Thema Mieten bleibt auf der politischen Agenda“, sagte Scheel. Nun sei der Bund gefragt, eine „vernünftig gestaltete Bürgerliche Mietgesetzgebung oder Öffnungsklauseln zu schaffen, damit die Länder individuelle Lösungen finden können“. Der Mietendeckel sei ein Modell gewesen, um „den sozialen Frieden in Deutschland zu erhalten“, sagte der Stadtentwicklungssenator.
Grüne warnen: „Nicht in die falsche Wohnungspolitik der Nullerjahre zurückfallen“
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte dem Tagesspiegel, Berlin dürfe „jetzt nicht in die falsche Wohnungspolitik der Nullerjahre zurückzufallen“, sondern müsse „alle unsere landespolitischen Instrumente nutzen für einen gemeinwohlorientierten Berliner Wohnungsmarkt“.
Es müsse ein Wohnungs- und Mietenkataster aufgebaut werden, das Transparenz bei den Eigentums- und Mietverhältnissen schaffe und helfe „spekulativen Leerstand und Ferienwohnungen zu kontrollieren“. Damit dürfe man nicht bis zur Wahl warten.
Zehn Millionen Euro für die Hilfen
Der Senat will sich die „Hilfestellung zunächst zehn Millionen Euro“ kosten lassen. Das Geld soll aus „vorhandenen Mitteln“ kommen, die bisher für das Mietenwohngesetz vorgesehen waren. Zum Teil aus den Dienstleistungen, die die Förderbank IBB erbringen sollte sowie die Wirtschaftsberatung PWC. Außerdem aus Mietzuschüssen.
Die Härtefalllösung kann nur im Rahmen eines Förderprogrammes und nicht im Rahmen eines Leistungsgesetzes aufgesetzt werden. Letzteres würde Monate dauern, sodass eventuell drohende Kündigungen nicht verhindert werden können.
Verfassungsgericht: Berlin fehlte Kompetenz für Mietendeckel
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte in der vergangenen Woche das Berliner Gesetz zu Mietenbegrenzung im Wohnungswesen für „mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig“ erklärt. Alle acht Richter trugen diesen einstimmig, auf 57 Seiten umfassend begründeten Beschluss.
Demnach hatte Berlin nicht die gesetzgeberische Kompetenz, in die Mietgesetzgebung einzugreifen, die seit dem 19. Jahrhundert vom Bund im Bürgerlichen Gesetzbuch „abschließend" geregelt ist. Die Befolgung des Grundsatzes, wonach Länder keine konkurrierenden Gesetze auf einem vom Bund geregelten Rechtsgebiet erlassen dürfen, hatte eine „Normenkontrollklage“ von 284 Bundestags-Abgeordneten von CDU und FDP erreicht.
[Muss ich mich beim Vermieter melden oder nicht? Wann wird die Nachzahlung fällig? Was Mieter jetzt wissen müssen, lesen Sie bei Tagesspiegel Plus.]
Scheel hatte dem Tagesspiegel am Tag der Verkündung des Beschlusses gesagt: „Wir werden keinen Mieter, der in Not geraten ist, im Stich lassen“. Das sei „eine Frage von politischem Anstand und nicht einer möglichen Staatshaftung“. Darüber bestehe Einigkeit mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD). Dieser hatte sich einige Stunden später ähnlich geäußert: „Wir werden prüfen, inwieweit wir soziale Härten bei Mietnachforderungen abfedern können“.
In den sozialen Netzwerken gab es Häme dafür, dass nun „die Steuerzahler“ die Kosten für ein "offensichtlich rechtswidriges Gesetz“ bezahlen müssten. Aus der Opposition hatte die CDU-Fraktion ebenfalls einen Härtefall-Fonds gefordert für Mieter, „die aufgrund der falschen Versprechungen von SPD, Linken und Grünen jetzt in wirtschaftliche Bedrängnis kommen“. Betroffene Mieter dürften jetzt nicht allein gelassen werden.