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Can Dündar (links) und Erdem Gul (rechts) wurden in Istanbul zu Haftstrafen verurteilt.
© dpa
Update

Prozess in der Türkei: Haftstrafen für regierungskritische Journalisten

Erdogan hatte Dündar gedroht - jetzt muss der regierungskritische Journalist in Haft. Vor dem Gericht wurde zudem auf ihn geschossen.

Vom Präsidenten als Spion beschimpft, vor Gericht mit mehr als 30 Jahren Haft bedroht – und dann auch noch von einem Angreifer mit Schüssen attackiert: Der türkische Journalist Can Dündar ist am Freitag vor dem zentralen Gerichtsgebäude des europäischen Teils von Istanbul von einem Unbekannten beschossen worden. Mit dem Ruf "Vaterlandsverräter" zog der Angreifer eine Pistole und drückte ab. Dündar blieb unverletzt, der Schütze wurde von Dündars Frau und anderen Umstehenden überwältigt. Bei dem Zwischenfall wurde der Reporter des türkischen Fernsehsenders NTV am Bein verletzt.

Der Prozess wurde fortgesetzt und Dündar zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül habe eine fünfjährige Gefängnisstrafe erhalten, berichtete eine dpa-Reporterin von der Urteilsverkündung am Freitagabend in Istanbul.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die tiefe Polarisierung in der türkischen Gesellschaft. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte öffentlich erklärt, Dündar werde für seine Veröffentlichungen in der Oppositionszeitung "Cumhuriyet" teuer bezahlen. Für die Anhänger des Präsidenten ist Dündar zur Hassfigur geworden. Nach den Schüssen erklärte der Journalist auf Twitter, verantwortlich für den Schusswaffenangriff seien "jene, die mich zur Zielscheibe gemacht haben" – eine klare Anspielung auf Erdogan. Anänger des Präsidenten sprachen dagegen von einer billigen Inszenierung, die Dündar als Opferlamm präsentieren solle.

Der Vorfall weckt Erinnerungen an den Mord an Hrant Dink

Erdogan hat sich als Nebenkläger im Prozess gegen Dündar, den Chefredakteur von "Cumhuriyet" eintragen lassen. Die Staatsanwaltschaft wirft Dündar und dem Hauptstadtbüro von "Cumhuriyet", Erdem Gül, Verrat vor, weil das Blatt über angebliche türkische Waffenlieferungen an syrische Rebellen berichtet hatte. Erdogan hatte auch von "Spionage" gesprochen, doch ist der Vorwurf im Laufe des Prozesses in Istanbul fallengelassen worden. Die Anklage fordert dennoch 31 Jahre Haft für Dündar und zehn Jahre Gefängnis für Gül.

Dündar, Erdem und zahlreiche Unterstützer waren am Freitag zum Gericht gekommen. Als sich die Angeklagten und Anwälte in einer Pause des unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführten Verfahrens vor dem Gebäude die Beine vertraten, tauchte der bewaffnete Mann auf und schoss. Über seine Identität und Motive war zunächst nichts bekannt. Laut Dündar soll er vorbestraft sein.

Der Vorfall weckt Erinnerungen an die Ermordung des armenischstämmigen türkischen Journalisten Hrant Dink im Jahr 2007. Dink war wegen seiner Forderung nach einer Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern zur Zielscheibe des Hasses von Rechtsextremisten in der Türkei geworden. Dinks damals minderjähriger Mörder, der sein Opfer am helllichten Tag und auf offener Straße in Istanbul tötete, kam ins Gefängnis. Dinks Familie und Anwälte sind aber sicher, dass auch staatliche Stellen an der Vorbereitung des Attentats zumindest passiv beteiligt waren.

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