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Schlechte Verbindung: Franziska Giffey (SPD, links) und Bettina Jarasch (Grüne), daneben Klaus Lederer (Die Linke).
© Jörg Carstensen/dpa

SPD gegen Grüne vor Berlin-Wahl: Giffey und Jarasch streiten über Mobilität und Klimaschutz

Auf Einladung der Wirtschaft diskutieren Spitzenkandidaten der aussichtsreichen Parteien zur Lage in der Stadt. Die Tonlage in der Koalition wird zunehmend rau.

Es ist zwei Wochen her, da wurde das politische Berlin aufgerüttelt, und auch Vertreter der Wirtschaft zeigten sich enttäuscht von der Performance des rot-rot-grünen Senats. Weil sich Grüne und SPD beim Mobilitätsgesetz, einem der wichtigsten Vorhaben der Koalition überhaupt, partout nicht auf einen gemeinsamen Gesetzestext hatten einigen können, platzte das gesamte Paket – und damit auch der bereits geeinte Part zum Wirtschaftsverkehr.

Mehr Ladezonen auf der Fahrbahn, mehr Warentransport per Zug und mehr Lastenräder für kurze Warenwege waren im Gesetz vorgesehen. Nichts davon wurde beschlossen, stattdessen gab es im Nachgang gegenseitige Schuldzuweisungen, und es nährte Zweifel, dass die aktuellen Regierungspartner auch künftig kooperieren werden, wenn sie denn eine Mehrheit bekämen.

Dementsprechend gut war das Timing für eine Runde aller Spitzenkandidat:innen für die Abgeordnetenhauswahl am 26. September, die auf Einladung von Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie des Verbands Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) am Dienstagmorgen stattfand. Schnell war klar: Der Streit ums Mobilitätsgesetz wirkt nach, vor allem zwischen SPD-Frontfrau Franziska Giffey und Bettina Jarasch, Konkurrentin der Grünen.

„Wir hätten uns gewünscht, dass das Gesetz gekommen wäre“, sagte Giffey und schob das Scheitern der Verhandlungen den Grünen zu. Jarasch konterte mit dem Vorwurf in Richtung Sozialdemokraten, diese duckten sich weg, sobald es ernst werde mit Klimaschutz und Verkehrswende.

„Jedes Gespräch über radikalen Klimaschutz ist Augenwischerei, wenn Sie da nicht mitgehen“, sagte sie zu Giffey. Die wiederum erklärte, trotz des Scheiterns so schnell wie möglich für ein Mobilitätsgesetz inklusive Regeln für den Wirtschaftsverkehr sorgen zu wollen. Nach den Wahlen und dann, möglicherweise, in einer Koalition ohne die Grünen.

Wegner: Thema Enteignungen muss "endlich vom Tisch"

Ein mindestens ebenso emotional debattiertes Thema in der Runde der Spitzenkandidat:innen, wenn auch mit altbekannten Positionen: die Lage am Immobilien- und Wohnungsmarkt der Stadt. Während Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer sowohl den vor Gericht gescheiterten Mietendeckel als auch den anstehenden Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ verteidigte und Regulierung auf dem Wohnungsmarkt als Regel und nicht Ultima Ratio forderte, stellten sich Giffey sowie Kai Wegner und Sebastian Czaja, Spitzenkandidaten von CDU und FDP, klar dagegen.

IHK und VBKI mit ihren Gästen.
IHK und VBKI mit ihren Gästen.
© Amin Akhtar/IHK Berlin

Das Thema Enteignungen müsse „endlich vom Tisch“ sagte Wegner und warnte vor einer „maximalen Verunsicherung der Mieter und Vermieter“. Weil der Senat den Neubau nicht entschieden genug vorantreibe, habe sich die Stadt an eine „Mangelwirtschaft gewöhnt“, sagte Wegner. Er forderte ein Bündnis öffentlicher und privater Akteure, um die Zielmarke von 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr zu erreichen.

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Czaja unterstützte die auch von Giffey geteilte Forderung nach einem Bündnis für bezahlbares Wohnen, warb aber gleichzeitig dafür, auch in einer Stadt mit Eigentumsquote von lediglich 15 Prozent Mietkaufmodelle zu unterstützen.

Modernisierung der Verwaltung erneut verschleppt

Ein weiteres wichtiges Thema für Politik wie Wirtschaft: Die auch in der kurz vor ihrem Ende stehenden Legislatur verschleppte Verwaltungsmodernisierung. Zwar erklärten sämtliche Spitzenkandidatinnen, dass an der Modernisierung und damit Digitalisierung der Berliner Verwaltung kein Weg vorbei führe und bürokratische Hürden abgebaut werden müssen. Beobachter und aktiv an dem Prozess Beteiligte aber wissen: Das Unterfangen wird erstens schwierig und bringt zweitens nur selten öffentliche Anerkennung.

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus: Bettina Jarasch über „Deutschland-Koalition“: „SPD, CDU und FDP passen nicht zu Berlin“]

Angesichts teils mehrjähriger Genehmigungsverfahren und fehlender Planbarkeit für Investoren wie Unternehmen sprachen sich Giffey, Wegner und Czaja dafür aus, in der Verwaltung eine Art Dienstleistungsmentalität zu stärken und die Mentalität eines Unternehmens zu vermitteln. Jarasch warb dafür, das Thema „vor die Klammer“ und damit losgelöst vom üblichen Wettstreit der Parteien zu ziehen, weil sich im Ziel alle einig seien.

Kristin Brinker, Spitzenkandidatin der AfD und als Architektin selbst mit der Überlastung der Ämter gerade im Baubereich konfrontiert, sprach sich für eine Änderung des Vergabegesetzes und eine Absenkung der Hürden für Auftragnehmer aus. „Private setzen sich dem Wahnsinn nicht aus, öffentliche Aufträge anzunehmen“, erklärte Brinker und nannte allen voran die Bauordnung „überfrachtet“. Es sei „ein Jammer, dass die Koalition an der Reform gescheitert ist“, erklärte sie mit Blick auf das ebenfalls erst vor wenigen Tagen im Streit geplatzte Projekt der Koalition.

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Vollkommen offen blieb nur wenige Wochen vor der Wahl die Frage, welche Regierungskonstellation die nach Stand der Umfragen derzeit wahrscheinlichste ist und worauf sich Wirtschaftsvertreter werden einstellen müssen.

Während Giffey ausweichend antwortete, favorisierten Wegner und Czaja ein Bündnis mit der SPD, da es mit den Grünen kaum Schnittmengen gebe. Jarasch wiederum erklärte, Rot-Rot-Grün fortsetzen zu wollen, dann aber unter ihrer Führung. Für die Linke bedeutet diese Konstellation ohnehin die einzige Machtoption, und für die AfD bleibt, das bestätigte auch Brinker, einzig die Rolle in der Opposition.

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