Gescheitertes Mobilitätsgesetz: Berliner Koalition verbeißt sich in Schuldzuweisungen
Es war eines der wichtigsten Vorhaben der Legislatur: das neue Mobilitätsgesetz. Entsprechend hart greifen sich die Parteien nach dem Scheitern an.
Einen Tag nach dem Platzen der Gespräche zum neuen Mobilitätsgesetz sind SPD und Grüne sauer aufeinander. Die Parteien beschuldigen sich gegenseitig, für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich zu sein. Immerhin bleibt damit eines der wichtigsten Vorhaben der rot-rot-grünen Koalition auf der Strecke.
Aus sitzungsinternen Dokumenten, die dem Tagesspiegel vorliegen, geht hervor, dass die SPD den Grünen zu den Themen Parkplatzabbau und weniger Autos in der Stadt Gegenvorschläge gemacht hat. Zwar lehnte es die SPD ab, die Formulierung „Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs“ in das neue Gesetz aufzunehmen. Stattdessen sollte es heißen, „Ausbau des ÖPNV und die Erhöhung des Anteils des Umweltverbundes am Gesamtverkehrsaufkommen“, wie in einem Kompromissvorschlag zu lesen ist.
Die Grünen hatten der SPD vorgeworfen, das Gesetz durch Streichen von Reizwörtern entkernen zu wollen. Schließlich gehe es bei dem neuen Gesetz darum, Autos aus der Stadt zu verdrängen und alternative und umweltfreundlichere Angebote zu fördern.
Beim Thema Abbau von Parkplätzen zeigen die Sitzungsdokumente, dass die Sozialdemokraten dies nicht grundsätzlich ablehnten. Wenn Parkplätze wegfallen, müsse das sachlich begründet sein - so der Vorschlag der SPD. Ein solcher Sachgrund könne etwa der Bau einer neuen Busspur sein.
Das Mobilitätsgesetz von 2018 sollte noch vor Ende der Legislatur zwei neue Absätze bekommen. Der eine Teil sollte den Wirtschaftsverkehr umkrempeln – mit mehr Ladezonen auf der Fahrbahn, mehr Warentransport per Zug, mehr Lastenrädern für kurze Warenwege. Über diesen Abschnitt waren sich die Parteien einig, die Sache war beschlussreif, Wirtschaftsvertreter:innen erfreut.
Schlagwort „Neue Mobilität“
Streit gab es dagegen bei der zweiten Ergänzung. Unter dem Schlagwort „Neue Mobilität“ sollte die Zahl privater Autos in der Innenstadt reduziert werden, um den Ausstoß von CO2 zu senken. Stattdessen sollten Anreize geschaffen werden, damit die Menschen Sharing-Autos, Busse und Bahnen nutzen. Um das zu erreichen, wurde diskutiert, die Zahl der Parkplätze in der Stadt zu verringern oder eine City-Maut einzuführen.
SPD und Linke waren gegen eine solche Maut. Diese sei unsozial. Die Grünen-Vorsitzende Antje Kapek soll die letzte Verhandlungsrunde nach Darstellung der SPD aber genau mit einem Verweis auf eine City-Maut beendet haben. Die grüne Verkehrsverwaltung sei nicht bereit, an der Formulierung des entsprechenden Abschnitts im Gesetzentwurf etwas zu ändern, so erinnert sich ein SPD-Teilnehmer.
Die Grünen widersprechen dieser Darstellung vehement, werfen der SPD "Lügen" vor. Alles, was irgendwie an eine City-Maut erinnert habe, sei am späten Abend längst aus dem Papier gestrichen worden, heißt es. Die SPD habe stattdessen immer mehr Formulierungen kürzen oder umschreiben wollen, sodass das Gesetz aus Sicht der Grünen letztlich komplett entkernt gewesen wäre.
Grüne werfen SPD Sabotage vor
Die Grünen vermuten dahinter eine Wahltaktik der SPD: Man wolle es sich kurz vor dem 26. September wohl nicht mit den Berliner Autofahrern verscherzen, heißt es scharf aus der Partei. Die Grüne Fraktionsvorsitzende Antje Kapek habe die Verhandlungen schließlich nur beendet, weil nach jedem Zugeständnis der Grünen eine neue Forderung der SPD aufgetaucht sei.
Kapek hatte dem Tagesspiegel am Mittwoch gesagt: „Die SPD versucht hier aus wahltaktischen Gründen, die Verkehrswende zu blockieren und das den Grünen in die Schuhe zu schieben. Das ist ein starkes Stück!“
Aus Sicht der Grünen bedeutet das Scheitern des Abschnitts „Neue Mobilität“ auch das Aus für den bereits beschlussfertigen Teil zum Wirtschaftsverkehr. Nur wer Platz schaffe für den Wirtschaftsverkehr durch die Reduktion von Parkplätzen, könne auch ein Gesetz dazu beschließen, hieß es.
Der Geschäftsführer des Bereichs Wirtschaft und Politik bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, Jörg Nolte, bezeichnete das am Donnerstag als enttäuschend.
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„Die Kapitel zum Wirtschaftsverkehr und zur Neuen Mobilität waren extra getrennt worden“, sagte Nolte. „Es ist aus Sicht der Wirtschaft nicht nachvollziehbar, warum man die Kapitel zum Wirtschaftsverkehr nicht beschließt und über Neue Mobilität weiter verhandelt. So bleiben wichtige Aspekte der Neuordnung des Verkehrs wie die Ausweisung und Ausweitung von Lieferzonen und die Berücksichtigung des Wirtschaftsverkehrs bei Infrastrukturplanungen ungeregelt – entgegen der Ankündigungen und Zusagen seitens der Politik.“
Auch die Fahrrad-Lobby kritisierte das: „Es wird vorerst keine Ladezonen, kein aktives Parkraummanagement, keine Verbesserung des Verkehrsflusses in Berlin geben“, schrieb der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Berlin, Frank Masurat, auf Twitter. Die SPD habe „dafür gesorgt, dass Berlin weiter im Stau steht“.
Das „Bündnis Straßen für alle“ argumentierte, dass eines der zentralen Gesetzesvorhaben der rot-rot-grünen Koalition unvollendet bleibe. „Das Mobilitätsgesetz, einst vor allem auf Vorschlag der SPD in den Koalitionsvertrag aufgenommen, wird in zentralen Fragen weiter lückenhaft bleiben. Damit wird der Verbesserung der Mobilität in Berlin ein Bärendienst erwiesen.“ Das Bündnis warf insbesondere der SPD vor, am Scheitern der Gesetzesnovelle schuld zu sein.