Tarifverhandlungen in Berlin: GEW-Sprecher: Mehr als 2500 Erzieher am Streik beteiligt
Über 40 öffentliche Kitas blieben bis mittags geschlossen, auch Schulhorte waren betroffen. Zur Kundgebung kamen Vertreter des Abgeordnetenhauses.
Bei Temperaturen um die null Grad haben sich tausende Menschen in Berlin am Dorothee-Schlegel-Platz nahe Bahnhof Friedrichstraße versammelt. Grund ist der Warnstreik der Erzieher in den Kitas der Eigenbetriebe, an den staatlichen Schulhorten und beim Pestalozzi-Fröbel-Haus sowie der Warnstreik der Sozialarbeiter in den Jugendämtern. Sie fordern eine Lohnerhöhung von sechs Prozent, mindestens jedoch 200 Euro mehr, sowie und eine bessere tarifliche Eingruppierung angestellter Lehrkräfte.
Die Menschen strömen aus den Bahnen an der Friedrichstraße. Neben Handschuhen, Mützen und dicken Jacken tragen einige selbstgebastelte Schilder und Flaggen in den Farben der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), rot und weiß.
„Für faire Löhne“ oder „Erziehung ist kein Kinderspiel“ steht auf den Schildern. Aus den Boxen hallt laut die Stimme von Doreen Siebernik, Vorsitzende GEW: "Ich begrüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus allen Berliner Kiezen. Liebe Eltern, wir wissen, dass auch ihr uns unterstütz".
Ein Gemisch aus Trillerpfeifen schallt laut im Hintergrund. "Ich bin gefragt worden, warum wir jetzt schon streiken“, setzt Siebernik an. "Weil wir die Nase voll haben, wir leisten jeden Tag wichtige Arbeit, wir begleiten Kinder, geben Geborgenheit, trösten, und kennen alle Antworten auf die Warum-Fragen. Aber gute Bildung gibt es nicht umsonst“.
Am Dorothea-Schlegel-Platz hat die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) ihren Sitz, die seit dem 21. Januar mit den Gewerkschaften die neue Tarifrunde verhandelt. Siebernik zeigt auf das weiße Gebäude gegenüber, "dahin gehen unsere Rufe heute. Denn da sitzen unsere Arbeitgeber. Die, die uns das Geld nicht geben wollen."
Sie adressiert Matthias Kollatz (SPD), Finanzsenator und Vorsitzender des Vorstandes der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder direkt: "Lieber Matthias Kollatz, Sie werden uns nicht übersehen und nicht überhören".
Solidarität mit den Streikenden auch aus den Fraktionen
Viele Eltern haben sich mit den Streikenden solidarisiert, sind mit den Kindern zur Demo gekommen - unter anderem auch Silke Gebel, Fraktionsvorsitzende der Grünen. "Wir müssen diese Lücke gemeinsam schließen, das ist für mich auch eine frauenpolitische Frage", erklärt sie.
Mit auf der Bühne war auch Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und selber Vater zweier Kinder. Er betonte noch einmal, dass die heutige Eingruppierung längst überfällig sei: „Verdi hat gesagt, es ist zu früh, nein es ist gerade richtig". Neben Gebel und Saleh war auch Katrin Seidel (Linke) als Vertreterin der Koalition bei der Kundgebung. Dazu sagte CDU-Generalsekretär Stefan Evers, es sei "absurd, wenn Vertreter von Rot-Rot-Grün beim Erzieherstreik heute gegen ihre eigene Kitapolitik demonstrieren". Von dieser "scheinheiligen Solidaritätsbekundung" könnten sich die Betroffenen nichts kaufen. Ihr schwerer Beruf werde dadurch "nicht leichter und auch nicht attraktiver".
Für die FDP meldete sich der bildungspolitische Sprecher Paul Fresdorf auf der Bühne zu Wort: "Frühkindliche Bildung und Sozialarbeit gibt es nicht zum Schnäppchenpreis", lautete seine Ansage.
Die meisten Streikenden beim Kitabetrieb "City"
In den Kindergärten Der Sprecher der "Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft" (GEW), Markus Hanisch, schätzte die Streikbeteiligung auf „über 2500“ Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen. Die fünf Kita-Eigenbetriebe mit ihren über 250 Kitas hatten am Morgen noch keinen vollständigen Überblick über die Streikbeteiligung. Daher war noch nicht klar, wie viele Einrichtungen komplett geschlossen waren oder Notdienst anboten. Die GEW schätzte die Gesamtzahl der geschlossenen Kitas auf "40 bis 50", so Sprecher Markus Hanisch.
"Von unseren 56 Kitas sind 25 komplett geschlossen“, teilte der Eigenbetrieb City mit, der die Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg abdeckt. "Drei bis vier unserer 76 Kitas sind bis mittags komplett zu", hieß es etwa aus dem Eigenbetrieb Nordost. Viele hätten eine Notbetreuung organisiert. Einen genaueren Überblick gab es noch nicht. Der Eigenbetrieb Nordwest berichtete, dass von 63 Kita sieben komplett zu gewesen seien, fünf hätten nur eine Notbetreuung angeboten. Wie hoch die Streikbeteiligung unter den Erzieherinnen in den Schulhorten und unter den Sozialarbeiterinnen in den Jugendämtern war, konnte die GEW zunächst nicht sagen.
"Wir sind heute hier, denn wir brauchen junge Leute und mehr Männer. Wenn die alten Leute gehen, kommen keine neuen, weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind", appelliert eine Erzieherin aus Marzahn-Hellersdorf. Anerkennung laufe im Job auch über Arbeitsbedingungen, wissen auch Erzieherinnen aus einer Kita in Köpenick: "Bei zu wenig Erziehern auf zu viele Kinder leidet die Qualität".
"Noch immer ist die Bezahlung miserabel, noch immer ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schwer, noch immer sind die Vor- und Nachbereitungszeiten zu kurz und der Betreuungsschlüssel immer noch viel zu hoch", fasst FDP-Bildungspolitiker Fresdorf seine Einschätzung zusammen. Die FDP schlug abermals vor, die Kitaleitungen durch Verwaltungsmitarbeiter zu entlasten. Das könne "über 400 Vollzeiterzieher freisetzen, was ca. 3000 zusätzliche Kitaplätze mit sich bringen würde". Außerdem müsse der Kitagründungsprozess vereinfacht und die Vorschriften entschlackt werden.
Eltern halfen, indem sie ihre Kinder nicht brachten
„Viele Eltern unterstützen uns“, berichtete eine Mitarbeiterin der Kita Jerusalemer Straße, die zum Eigenbetrieb City gehört. Es sei nur rund die Hälfte der Kinder am Morgen gebracht worden, viele Kollegen seien am Warnstreik beteiligt. Von anderen Kitas wusste sie, dass sie am Morgen nicht geöffnet hatten.
Es gab aber auch viele Kitas, die kaum betroffen waren: „Von uns sind nur drei Erzieherinnen bei der Kundgebung, die anderen sind bei Verdi organisiert“, hieß es aus einer Einrichtung.
Wie berichtet, hatte nur die GEW zu dem sehr frühen Warnstreik aufgerufen. Vollkommen zurecht, sagt ein Erzieher aus Lichtenberg: "Dieses Mal sind wir früh mit dem Streik, aber letztes Mal hat man ja gemerkt, dass es nichts bringt, wenn man lange wartet". Bereits bei der Tarifrunde vor zwei Jahren sind Berliner Erzieher und Sozialarbeiter für die Angleichung der Tarife auf die Straße gegangen.
Damals gab es zwar eine Zulage, mit einer grundlegenden Verbesserung wurden die Demonstranten aber auf das Jahr 2019 vertröstet. Die derzeitigen Tarifverhandlungen haben gerade erst begonnen. Die erste Runde blieb ohne Ergebnis. Die zweite Runde findet am 6. und 7. Februar in Potsdam statt.
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