Lärm an ICE-Strecke: Gericht lehnt Forderung nach nachträglichem Schallschutz ab
Die Gleise liegen gleich neben ihrem Haus, an der Anhalter Bahn in Lichterfelde. Die Nachbarn fordern Lärmschutzwände, doch das Gericht wies ihre Klage ab. Krach gibt es auch an anderen Ecken der Stadt - von der A 100 über Pankow und Tegel bis Schönefeld.
Zwischen Haus und Gleis liegen gut 19 Meter. Ständig donnern Züge vorbei: Fern- und Regionalbahnen, S-Bahnen und sogar Güterzüge. Auch nachts. Eine Lärmschutzwand aber gibt es nicht. Nicht erforderlich, hatte die Planfeststellungsbehörde beim Wiederaufbau der S-Bahn und der Fernbahn auf der Anhalter Bahn durch Lichterfelde Anfang dieses Jahrhunderts entschieden. Jetzt wollte Barbara Bartsch – zusammen mit drei anderen Anwohnern – nachträglich Schallschutz haben und klagte zunächst vor dem Verwaltungsgericht. Dort wurde die Klage am Donnerstag aber abgewiesen.
Die Kammer sah keine Zunahme des Dauerschallpegels von mehr als 2,1 Dezibel. Dies wäre die Voraussetzung für einen nachträglichen Schallschutz gewesen. Zwischen den Beteiligten war u.a. streitig, von welchem Niveau aus die Zunahme zu bemessen ist und ob der Zugverkehr zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme richtig ermittelt wurde. Das Gericht hatte sich veranlasst gesehen, von Amts wegen ein Schallgutachten einzuholen. Gegen die Urteile kann die Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg beantragt werden.
Die Kläger hatten argumentiert, auf der Strecke seien wesentlich mehr Züge unterwegs, als prognostiziert worden sei. Güterzüge, die heute rollten, seien gar nicht vorgesehen gewesen. Die Bahn hält gutachterlich dagegen, der Lärmpegel habe sich nicht so verändert, dass der Schallschutz nachgebessert werden müsste. Nur wenn der Wert nachweislich um drei Dezibel steigt, wobei ab 2,1 Dezibel aufgerundet wird, könnte es rechtlich wegen einer „nicht vorhersehbaren Wirkung“ einen Anspruch auf nachträglichen Schutz geben, machte das Gericht klar. Barbara Bartsch liegt bisher ganz knapp nachts unter dem zulässigen Wert von 60 Dezibel.
Die Bahn will keinen Lärmschutz-Präzedenzfall schaffen
Bartsch hat doppeltes Pech. Sie überschreitet den Grenzwert unter anderem deshalb nicht, weil die Bahn vom Lärm drei Dezibel abziehen darf, da sie sich verpflichtet hat, das Gleis besonders zu überwachen und regelmäßig so zu warten, dass die Geräusche minimiert werden. Wenn dazu die Schienen geschliffen werden müssen, rückt der Spezialzug aber in der Nacht an – mit einem Höllenlärm, wie Bartsch klagte. Und ohne die Arbeiten vorher anzukündigen. Hier wolle die Bahn immerhin nachbessern, versprachen ihre Vertreter vor Gericht.
Eine Lärmschutzwand aber will die Bahn nicht freiwillig bauen. Solche Anlagen sind teuer. Und auch hier will die Bahn keinen Präzedenzfall schaffen. Allerdings gibt es seit Jahren bundesweit ein Programm zum Lärmschutz an vorhandenen Strecken – ohne Rechtsanspruch. Das Geld dafür reicht jedoch vorne und hinten nicht.
Das erfahren seit Jahren auch Anwohner in Heinersdorf, Blankenburg, Karow und Buch. Auch sie fordern Lärmschutz entlang der sogenannten Stettiner Bahn, über die vorwiegend nachts auch besonders laute Kesselwagenzüge von und zur Raffinerie in Schwedt fahren. Es gibt – trotz heftiger Proteste – kaum Hoffnung, dass sich hier kurzfristig etwas ändert.
Bedarf für mehr Schutz vor Lärm ist auch entlang der Stadtautobahn längst erkannt. Seit Jahren ermittelt der Senat regelmäßig, fast aufs Haus genau, wo der Krach – vor allem nachts – unzumutbar ist. Getan hat sich aber bisher nicht viel.
Selbst wo es fast nichts kosten würde, tut sich der Senat schwer. Ein Tempolimit auf 60 km/h, das aus Lärmschutzgründen auf der Avus zwischen dem Zehlendorfer Kleeblatt und der Anschlussstelle Spanische Allee angeordnet war, wurde 2003 vom Verwaltungsgericht gekippt. Einen neuen Versuch, wie ihn Anwohner immer wieder fordern, hat es nicht gegeben. In Einzelfällen hat der Senat aber den Einbau von Lärmschutzfenstern mitfinanziert.
Außerplanmäßigen Krach müssen auch Anwohner des Flughafens Tegel ertragen, der eigentlich seit dem 3. Juni 2012 geschlossen sein sollte. Nun gibt es dafür keinen Termin mehr; frühestens 2015 wird hier Ruhe am Himmel einkehren. Vor Gericht stapeln sich zwar Klagen auf mehr Schutz, bisher aber erfolglos.
Bei der Dresdner Bahn könnte es besseren Lärmschutz geben
Und rings um Schönefeld haben Anwohner den ihnen rechtlich zustehenden Schutz am neuen BER-Flughafen sogar erst gerichtlich durchsetzen müssen. Die Flughafengesellschaft hatte hier einfach den Planfeststellungsbeschluss so interpretiert, dass kein vollwertiger Schutz herausgekommen wäre. Ob das Programm bis zur BER-Eröffnung oder gar bis zur für dieses Jahr vorgesehenen Zwischennutzung der neuen Südstartbahn umgesetzt worden sein wird, ist derzeit völlig ungewiss.
Bartsch wurmt, dass Bahnchef Rüdiger Grube jetzt nach jahrelangen Auseinandersetzungen beim Ausbau der Dresdner Bahn den Anwohnern in Lichtenrade zum Schutz vor Lärm einen Tunnel in Aussicht gestellt hat. Dort würde dann zusätzlich ein dreistelliger Millionenbetrag für eine Röhre unter der Erde ausgegeben, während es bei ihr und den anderen Betroffenen in Lichterfelde nicht einmal für eine Lärmschutzwand reichen soll.
Die Lichtenrader hatten es aber auch geschafft, die Politik auf ihre Seite zu ziehen – vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und dem Senat bis zum CSU-geführten Bundesverkehrsministerium, damals noch unter der Leitung von Peter Ramsauer. Die Lichterfelder dagegen sind auf sich angewiesen. Vor dem Verwaltungsgericht erschienen sie sogar ohne Anwalt; und ein vom Gericht ins Gespräch gebrachtes weiteres Gutachten, das sie im Fall einer Niederlage vor Gericht bezahlen hätten müssen, haben sie am Donnerstag abgelehnt. Das Kostenrisiko war mit 10.000 Euro zu hoch.
Doch nicht immer wollen sich Anwohner vor Lärm schützen lassen. Am Bahnhof Nikolassee haben sie vehement gegen eine vorgesehene meterhohe Wand gekämpft, die das Ortsbild vollkommen zerstört hätte. Die Wand kam nicht.