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Im vergangenen Jahr wurden in der Rigaer 94 mehrere Wohnungen von der der Polizei durchsucht.
© Paul Zinken/dpa
Update

„Nicht vor Linksextremisten einknicken“: Geisel, Grüne und Schmidt – der Kampf um die Rigaer 94

Innensenator Geisel setzt sich vorerst durch. Baustadtrat Schmidt soll Brandschutzexperten in alle Räume im Linksextremisten-Haus hineinlassen.

Etwa eine Woche vor dem geplanten Polizeieinsatz zur Brandschutzprüfung im teilbesetzten Haus in der Rigaer Straße 94 liefern sich Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD), der rot-rot-grüne Senat und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg einen Kampf um das genaue Vorgehen.

Innensenator Geisel hat sich am Dienstag im Senat mit einem emotionalen Appell zur Brandschutzaffäre vorerst durchgesetzt. Der Senat forderte den Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), auf, bis nächste Woche eine Lösung für das Problem vorzuschlagen. Ansonsten müsste die Bezirksaufsicht Maßnahmen ergreifen

Eine SPD-Senatorin sprach aber von einer Minimalvariante. Geisel hatte von Schmidt gefordert, er müsse eine sogenannte Duldungsanordnung für alle Räume in dem Gebäude erlassen. Damit müssten die Nutzer den Zugang eines Brandschutzgutachters und von Vertretern des Eigentümers erdulden.

Schmidt lehnt das bislang ab: Er will am liebsten das Bezirksamt selbst den Brandschutz prüfen und den Eigentümer außen vor lassen. Auch hält er es für rechtlich nicht zulässig, dass alle Räume überprüft werden.  

Laut Teilnehmern sagte Geisel im Senat: „Wir sind an einer Weggabelung, geltendes Recht durchzusetzen oder nicht.“ Der von Schmidt vorgeschlagene Weg, das Bezirksamt können anstelle des Eigentümers den Brandschutz prüfen, sei fehlerhaft. Es könne nicht sein, dass man vor der Androhung von Gewalt von Linksextremisten einknicke, sagte Geisel laut Teilnehmern. Es gehe um den Schutz von Leib und Leben.

Die Grünen im Senat haben dagegen den Weg ihres Parteikollegen verteidigt und Geisel vorgeworfen, mit einer Weisung an Schmidt  „juristisches Harakiri“ zu betreiben. Die Grünen wollen lieber, dass das Bezirksamt selbst den Brandschutz im Haus prüft und dann Mängel beseitigt.

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Besonders Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), der bei den Grünen in Kreuzberg beheimatet ist, soll sich für Schmidts Vorschlag ausgesprochen haben. Behrendt sagte, er wolle die Rechtslage erst noch einmal prüfen.

Die Grünen pochen nun darauf, dass sie Geisels ursprünglichen Antrag im Senat verhindert hätten. Und dass als einziges Ergebnis mit dem Senatsbeschluss der Bezirk beauftragt worden sei, bis nächste Woche eine erneute Lösung vorzuschlagen.

Behrendt musste sich in der Senatssitzung Seitenhiebe gefallen lassen: Kultursenator Klaus Lederer (Linke), der die Senatssitzung leitete, soll gesagt haben, dass es Senatoren gebe, die die Akteure vor Ort gut kennen würden

Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) hinderte Beamte der bezirklichen Bauaufsicht daran, gegen Baumängel in dem teilbesetzten Haus Rigaer Straße 34 in Friedrichshain einzuschreiten.
Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) hinderte Beamte der bezirklichen Bauaufsicht daran, gegen Baumängel in dem teilbesetzten Haus Rigaer Straße 34 in Friedrichshain einzuschreiten.
© Kitty Kleist-Heinrich

Am Ende wollten auch die Linke-Senatoren den Weg der Grünen nicht mittragen. Sie seien nicht bereit, auf das „Spiel von Florian Schmidt“ einzugehen und sich von ihm auf der Nase herumtanzen zu lassen. Lederer erklärte, er erwarte, dass sich das Bezirksamt bewegt.

Baustadtrat Schmidt hat am Montag seine im Dezember erteilte Prüfanordnung an den Eigentümer der Immobilie eingeschränkt. Demnach soll für die Untersuchung durch einen staatlich anerkennten Gutachter nicht mehr das gesamte Haus untersucht werden.

Schlappe vor Gericht: Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Schlappe vor Gericht: Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).
© Christoph Soeder/dpa

Seit mehreren Wochen forderte Innensenator Geisel vom Bezirk eine Entscheidung, die eine Begehung des gesamten Hauses nach sich ziehen würde. Geisel drohte mit „Bezirksaufsichtsmaßnahmen gegen das Bezirksamt“, weil sich Schmidt weigert, eine sogenannte Duldungsanordnung gegen alle Nutzer des Hauses und für alle Räume zu erlassen. Rechtlich wäre für Maßnahmen der Bezirksaufsicht ein Senatsbeschluss nötig.

Insbesondere für die Grünen steht viel auf dem Spiel. Dabei hatte Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ihre Parteifreunde in Friedrichshain-Kreuzberg Mitte Januar gemahnt: „Der Brandschutz muss gewährleistet werden.“ Sie erwarte, dass das Bezirksamt das mit Eigentümer und Innensenator Andreas Geisel (SPD) „ermöglicht und gewährleistet“.

Tatsächlich hat Geisel das Gesetz auf seiner Seite. Es schreibt vor, dass zunächst der Eigentümer verpflichtet werden muss, Brandschutzmängel zu beseitigen. Erst wenn das nicht klappt, kann der Staat selbst tätig werden. Der Bezirk stehe in der Pflicht, das sei Schmidt wiederholt deutlich gemacht worden, hieß es aus der Innenverwaltung.

„Es ist nicht der Job eines Innensenators untaugliche Vorschläge umzusetzen“, sagte Geisels Sprecher dem Tagesspiegel am Dienstag. „Wir arbeiten rechtssicher und halten an unserer Linie fest. Eine Duldungsanordnung des Bezirks ist notwendig - sowie die Begutachtung des gesamten Gebäudes durch den Gutachter des Eigentümers.“

Schmidt will größeren Polizeieinsatz vermeiden

Die zentrale Frage in dem Streit ist: Soll das gesamte Haus, Hotspot der gewaltbereiten linksextremistischen Szene, von einem staatlich anerkannten Gutachter überprüft werden, was einen Großeinsatz nach sich ziehen würde? Oder soll der Gutachter nur die ohnehin zugänglichen Flächen wie Keller, Hof und Treppenhaus sowie zwei Gewerberäume betreten dürfen? Von Letzterem verspricht sich Schmidt eine Deeskalation der Lage – und dass damit kein Großeinsatz der Polizei nötig wird.

Schmidt sagte dem Tagesspiegel, das Bezirksamt suche weiterhin eine rechtskonforme Lösung für Brandschutzbegehung. Die Innenverwaltung habe seine Vorschläge „aus nicht nachvollziehbaren Gründen“ abgelehnt. „Die Forderung des Eigentümers und der Innenverwaltung, dass alle Wohnungen in der Rigaer Straße zum jetzigen Zeitpunkt begangen werden müssen, dürfte einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten“, sagte Schmidt.

Der Baustadtrat hat am Montag die ursprüngliche Anordnung an den Eigentümer vom 11. Dezember, den Brandschutz um das Haus zu prüfen und Mängel zu beseitigen, geändert. Er habe konkretisiert, welche Räume begangen und überprüft werden sollen. Demnach sollen neben den zugänglichen Flächen wie Treppenhaus, Hof und Keller nur noch eine Wohnung sowie die Kneipe „Kadterschmiede“ und der Jugendclub „Keimzelle“ überprüft werden.

„Sollte eine deeskalative Lösung weiterhin vom Innensenator abgelehnt werden, wird so zumindest etwas mehr Rechtssicherheit geschaffen“, sagte Schmidt. Geisels Forderungen, dem Eigentümer Zutritt zu sämtlichen Privatwohnungen zu verschaffen, selbst dort, wo gar keine Mängelanzeige vorliege, sei rechtlich fragwürdig.  

Verstellte Fluchtwege, Wanddurchbrüche, offene Stromleitungen, Sperren und Falltüren

Die Anwälte des Eigentümers und auch der von ihnen beauftragte Gutachter halten es nicht für möglich, mit dieser Einschränkung den Zustand des Gebäudes zu begutachten. Allein die bisherigen Hinweise stammen lediglich aus früheren Polizeieinsätzen, seien aber gravierend. Es sei davon auszugehen, dass im gesamten Haus enorme Brandschutzmängel bestehen. Um das zu überprüfen, müssten alle Räume begangen werden.

Schmidt hatte die Anordnung an den Eigentümer erlassen, nachdem die Bezirksaufsicht in einem im März 2020 gestarteten Verfahren Druck gemacht hatte. Schmidt und Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) wussten seit 2016 von konkreten Hinweisen auf Brandschutzmängel, hinderten die eigene Bauaufsicht aber daran, ein offizielles Verfahren einzuleiten. Es geht um Fluchtwege, Wanddurchbrüche, von Laien verlegte Stromleitungen, Sperren in Treppenhäusern und Falltüren.

[Tür-Klau im Berliner Besetzerkiez? :Das Geheimnis um die Haustür in der Rigaer Straße 94 – weiterlesen bei Tagesspiegel Plus]

Zunächst hatte das Kammergericht im Februar entschieden, dass ein Teil der Bewohner den Zugang des Gutachters und des Eigentümers zu ihren Räumen dulden müssen. Das Verwaltungsgericht entschied danach, dass die Polizei dem Eigentümer beim Begehen des Hauses Schutz gewähren müssen. Und es befand, dass im gesamten Gebäudekomplex Brandschutzmängel bestehen.

Zudem rückten beide Gerichte den Umgang mit der Eigentümerfirma, hinter der sich ein Berliner aus Angst vor Attacken der Linksextremisten verbirgt, zurecht: Sie haben entschieden, dass die Anwälte über ausreichende Vertretungsbefugnisse verfügen. Damit lag die vom Innensenator stets geforderte Rechtssicherheit vor.  

Die Brandschutzaffäre in der Rigaer 94

  • Seit Februar 2016 wusste die Spitze des Bezirksamts von den Brandschutzproblemen
  • Innensenator Geisel prüfte seit März 2020, ob das Bezirksamt seiner Pflicht zur Gefahrenabwehr nachgekommen ist.
  • Im Herbst 2020 widersprach die oberste Landes-Bauaufsicht den Hinhaltemanövern von Herrmann und Schmidt.
  • Die ganze Story: Chronik eines Rechtsbruchs – so schützte Florian Schmidt die Autonomen in der Rigaer 94.
  • Schmidt gibt nach und verpflichtet Eigentümer: Doch Geisel will den Bezirk losschicken.
  • Bezirk sieht Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung – doch die Polizei will nichts tun.
  • Justiz bringt die Wende – Gerichte erkennen den Eigentümer an.
  • Baustadtrat Schmidt will Polizei-Großeinsatz in Rigaer 94 verhindern
  • Innensenator Geisel gegen Baustadtrat Schmidt: Das ganze Haus oder nur ein paar Räume?

Nach dem Berliner Baurecht, sind die Behörden berechtigt, „zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch Wohnungen zu betreten“  – und zwar ohne Richterbeschluss. Dafür können die Behörden sogenannte Duldungsanordnungen gegen Bewohner erlassen.  

Dass Schmidt diese Duldungsanordnung nicht für das gesamte Haus erlassen will, wird in der Innenverwaltung für rechtswidrig gehalten. Das Verwaltungsgericht habe auch entschieden, dass das Bezirksamt eine Duldungsanordnung für das gesamte Haus anordnen muss, damit der Brandschutz überprüft werden kann.

Es sei fahrlässig und nicht sachgerecht, die Duldungsanordnung auf wenige Räumlichkeiten zu beschränken, „da es um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben von Menschen geht“, sagte Geisels Sprecher. „Dies umfasst das gesamte Gebäude.“

Indes mobilisiert die linksextremistische Szene gegen den Polizeieinsatz am 11. und 12. März. „Aus dem Winterschlaf in die Eskalation“, steht auf Plakaten, die im Kiez hängen. Und darüber: „Unsere Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jede Autorität.“ Bei Twitter fordern Unterstützer auf, Plakate abzuholen und aufzuhängen. „Die Stadt hat viele Wände und Fassaden, die nur darauf warten.“

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