Novemberrevolution: Gedenken an Tote der März-Unruhen 1919 in Berlin
Vor 100 Jahren endeten die Berliner Märzkämpfe mit mehreren Massakern. Zwei Veranstaltungen in Mitte und Lichtenberg erinnern an die Opfer.
Die ersten Luftangriffe auf heutiges Berliner Stadtgebiet flog nicht die Royal Air Force. Es waren deutsche Flugzeuge, die vor 100 Jahren, während der März-Unruhen 1919, in die Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Freikorps auf der einen und Aufständischen auf der anderen Seite eingriffen. Auch schwere Waffen kamen bei den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zum Einsatz, die sich auf das damals noch selbstständige Lichtenberg sowie das Gebiet um den Alexanderplatz konzentrierten und rund 1200 Tote, vielleicht auch mehr, forderten. Sie wurden mit Grausamkeit geführt, kulminierten in mehreren Massakern.
Eines der schlimmsten ereignete sich in der Französischen Straße 32 in Mitte, wo am 11. März 1919 insgesamt 30 Angehörige der Volksmarinedivision erschossen wurden. Am Montag um 11 Uhr findet vor dem Gebäude, nun Sitz der Robert Bosch Stiftung, eine von dem Autor Klaus Gietinger organisierte Gedenkveranstaltung statt, an der auch Nachkommen der ermordeten Matrosen teilnehmen.
Am Mittwoch, 15 Uhr, gedenken das Bezirksamt Lichtenberg und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten der Opfer der Märzkämpfe. Ort ist die „Blutmauer“, die Mauer des ehemaligen Lichtenberger Gemeindefriedhofs im Rathauspark an der Möllendorffstraße 4, wo am 12. und 13. März 1919 zwölf Menschen, darunter zwei Minderjährige, ermordet wurden.
Ende Februar war von den noch immer revolutionär gestimmten Arbeiterräten zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen der Generalstreik beschlossen worden. Kurz danach kam es am Alexanderplatz zu Ausschreitungen und Plünderungen, woraufhin das preußische Staatsministerium den Belagerungszustand für Groß-Berlin ausrief.
Noskes Befehl wurde zum Freibrief für Mord
Den Oberbefehl hatte Reichswehrminister Gustav Noske (SPD), der schon beim Spartakusaufstand und der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht einige Wochen zuvor eine fragwürdige Rolle gespielt hatte. Er ließ Reichswehr, verstärkt durch Freikorps, in die Stadt einmarschieren, schon dies keine Maßnahme, um die Situation zu entschärfen. Zur Explosion kam das brisante Gemisch aber durch eine von wem auch immer in die Medien lancierte Falschmeldung: Spartakisten hätten in Lichtenberg Polizeireviere überrannt und 60 Beamte ermordet.
Noske erließ daraufhin einen zu jeder Willkür einladenden Schießbefehl: „Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“ Von diesem Freibrief machten die Freikorps ausgiebig Gebrauch. Und besonders Lichtenberg wurde einer der zentralen Schauplätze für die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe, bei denen auf Seiten der Regierungstruppen auch schwere Artillerie und Kampfflugzeuge eingesetzt wurden.
Am 12. März brach der Widerstand an der Kreuzung Frankfurter Allee / Möllendorffstraße zusammen, das Sterben aber ging weiter. Kämpfer, die sich ergeben hatten, aber auch Denunzierte und selbst Unbeteiligte, die irgendwie verdächtig schienen, kamen vor schnell gebildete Standgerichte und endeten häufig vor einem Erschießungskommando. So auch die Opfer an der Blutmauer, über die zuvor in dem damaligen Ausflugslokal „Schwarzer Adler“, Ecke Frankfurter Allee/Gürtelstraße geurteilt worden war.
Den Matrosen wurde eine tödliche Falle gestellt
Die Volksmarinedivision stand anfangs aufseiten der Regierung, schloss sich aber den Aufständischen an, nachdem eine Abteilung aus dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz heraus beschossen worden war. In der Französischen Straße 32 befand sich ihre Zahlstelle, wo sie gewöhnlich ihren Sold erhielten, und dort sollten sie sich am 11. März zum Löhnungsappell einfinden – so hieß es jedenfalls in einer Zeitungsanzeige.
Eine Falle, in die rund 300 Matrosen tappten, die aber kein Zahlmeister erwartete, sondern Freikorpsmänner des späteren SS-Generals Wilhelm Reinhard unter dem Kommando des Oberleutnants Otto Marloh. Vorgesetzte, bei denen er sich rückversicherte, ermunterten ihn zum harten Durchgreifen, und das tat er. Willkürlich wurden 32 Matrosen selektiert, im Hinterhof des Gebäudes an die Wand gestellt und mit Maschinengewehren erschossen. Nur der Matrose Hugo Levin überlebte verletzt, weil er sich tot gestellt hatte. Auch ein zweiter soll überlebt haben, bestätigt ist das nicht.
Marloh musste sich für die Bluttat vor einem Militärgericht verantworten. Es sprach ihn frei. Objektiv habe kein Grund zur Hinrichtung der Matrosen bestanden, Marloh habe jedoch geglaubt, einen Dienstbefehl zu befolgen. Das genügte.
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