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Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet.
© dpa

100 Jahre Novemberrevolution: Tod im Tiergarten

Vor 100 Jahren wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet. Sonntag war die Gedenkfeier, Dienstag folgt der Jahrestag. Ein Besuch ihrer Leidensstationen.

Die Spuren selbst hochdramatischer Ereignisse der Geschichte sind oft unscheinbar. Zum Beispiel ein zweizeiliger Eintrag im „Berliner Adreßbuch 1919“: Drei Personen sind unter dem Nachnamen Marcusson verzeichnet, ein Professor, eine Witwe – und „Siegfried, Kaufm., Wilmersdf,. Mannheimer Straße 43 I.“ Kein Mann von Bedeutung, Mitglied der stramm linken, von der SPD abgespaltenen USPD, aber über seine Frau gut mit Rosa Luxemburg bekannt, und dadurch wurde Marcusson zumindest eine Randfigur der Zeitgeschichte: In seiner Wohnung hielten sich die Sozialistenführer Luxemburg und Karl Liebknecht nach der Zerschlagung des Spartakusaufstands versteckt, hier suchten sie vor den in der Stadt kursierenden Mordaufrufen Zuflucht, hier wurden sie am Abend des 15. Januar 1919, am Dienstag vor 100 Jahren, festgenommen.

„Das letzte Versteck“ – eine der blutroten Markierungen, mit denen die Kulturprojekte Berlin GmbH auf die Stätten der Revolution 1918/19 hinweist, klebt auch vor dem Haus in der Mannheimer Straße, aktuelle Ergänzung einer Gedenkplatte im Gehweg. Aus der Hausnummer 43 ist die 27 geworden, doch der von jahrzehntelangem Gebrauch gezeichnete Handlauf des Treppengeländers ist wohl noch derselbe, auf den sich die gehbehinderte Rosa Luxemburg gestützt haben dürfte.

In welcher Wohnung sie und Liebknecht sich versteckt hielten, ist schwer zu sagen. Die römische Ziffer I im Adressbucheintrag verortet die der Marcussons im ersten Stock, auch ist auf einem Foto im Landesarchiv das Fenster über dem Hauseingang mit einem Kreuz markiert. Die Aufnahme dürfte am Tag nach der Festnahme entstanden sein, vor dem Eingang stehen mit Gewehren und Handgranaten bewaffnete Soldaten.

"Das war Rosa"

Im Gedächtnis des Hauses hat sich jedoch der zweite Stock und dort die rechte, größere Wohnung als deren Zufluchtsort festgesetzt. Die 79-jährige Frau aus der Wohnung daneben hatte rund 30 Jahre in den vermeintlichen Marcusson-Räumen gewohnt, wie sie erzählt. Anfangs habe sie nichts von der Geschichte des Hauses gewusst, erst als in ihrer Wohnung ein Film gedreht wurde und Nachbarn sie ansprachen, es gehe wohl um Luxemburg und Liebknecht, erfuhr sie davon. Las auch von spiritistischen Sitzungen, die bei den Marcussons stattgefunden haben sollen, woran sie selbst nicht glaube, obwohl es immer mal wieder seltsame Vorfälle gegeben habe. Etwa ein Fernseher, der von selbst anging, als man gerade beschloss, ihn an diesem Abend nicht anzustellen. „Das war Rosa“, hieß es dann scherzhaft.

"Marcusson, Siegfried" - der Eintrag im "Berliner Adreßbuch 1919" verweist auf den letzten Zufluchtsort von Liebknecht und Luxemburg.
"Marcusson, Siegfried" - der Eintrag im "Berliner Adreßbuch 1919" verweist auf den letzten Zufluchtsort von Liebknecht und Luxemburg.
© Conrad

Handfester sind die Erinnerungen eines Mieters im Erdgeschoss. Jetzt besuche nur noch selten jemand den historischen Ort, doch vor dem Mauerfall habe die SPD am 15. Januar regelmäßig vor dem Haus der Ermordung des Sozialistenpaares gedacht. Ob den Teilnehmern bewusst war, dass ihre Partei dabei eine überaus zwielichtige Rolle gespielt hatte?

Schlüsselfigur war Gustav Noske, Genosse seit 1892, im Rat der Volksbeauftragten, der provisorischen Regierung, zuständig für Heer und Marine. Ein harter Knochen, berüchtigt sein Spruch, mit dem er den Auftrag zur Niederschlagung des Spartakusaufstandes übernommen hatte: „Einer muss der Bluthund sein.“ Benannt wurde der Aufstand nach dem Spartakusbund, einer Organisation links der USPD, aus der zum Jahreswechsel 1918/19 die KPD hervorging. Allerdings war sie nur eine der beteiligten politischen Gruppierungen. Der Aufstand war durch die Absetzung des der USPD angehörenden Polizeipräsidenten Emil Eichhorn ausgelöst worden, hatte zwischen dem 5. und 12. Januar 1919 getobt und in Berlin bürgerkriegsähnliche Formen angenommen. Die Regierung hatte den Aufständischen anfangs wenig entgegenzusetzen, auf das ehemals kaiserliche Heer war kaum Verlass, sofern deren Einheiten nicht ohnehin mit den Aufständischen und ihren geistigen Führern sympathisierten, deren besonders exponierte Figuren eben Liebknecht und Luxemburg waren. Doch in Dahlem, im noch heute bestehenden Gebäude der Königin-Luise-Stiftung in der Podbielskiallee 78, sammelte Noske eine schlagkräftige Truppe. Vor allem konnte er sich auf die Garde-Kavallerie-Schützen-Division stützen, eine konterevolutionäre Einheit, aufgrund der Herzerkrankung ihres Kommandeurs unter der faktischen Führung von Hauptmann Waldemar Pabst. Verstärkt wurde sie durch Freiwillige, war so eher Freikorps als reguläre Truppe. Ihr untergeordnet waren freiwillige Bürgerwehren, darunter die in Wilmersdorf, die sich in der Cecilien-Grundschule zusammengerottet hatte.

In der Cecilienschule traf sich die Bürgerwehr Wilmersdorf

Will man den Leidensweg Luxemburgs und Liebknechts nachverfolgen, ist das Gebäude am Nikolsburger Platz die zweite wichtige Adresse. Sie müssen verraten worden sein. Woher genau das fünfköpfige Bürgerwehr-Kommando, das am Abend des 15. Januar in das Haus in der Mannheimer Straße eindrang, seine Informationen hatte, ist nicht bekannt. Liebknecht versuchte noch vergeblich, sich als Marcusson auszugeben und wurde zunächst in die Cecilienschule gebracht. Im Treppenhaus erinnern Schautafeln an deren Geschichte, darunter auch die Rolle, die sie vor 100 Jahren spielte.

Auf dem Olof-Palme-Platz erinnert diese Gedenktafel an das Hotel Eden, in dem Liebknecht und Luxemburg herhört wurden.
Auf dem Olof-Palme-Platz erinnert diese Gedenktafel an das Hotel Eden, in dem Liebknecht und Luxemburg herhört wurden.
© Conrad

Rosa Luxemburg machte erst gar keinen Versuch, ihre Identität zu verbergen. Wenig später traf Wilhelm Pieck ein, auch er Gründungsmitglied der erst zwei Wochen alten KPD, Jahrzehnte später einziger Präsident der DDR. Die Bürgerwehr-Männer wussten erst nicht recht, was sie mit ihren Gefangenen machen sollten, erhielten nach Anfrage bei der Divisionsführung die Order, sie zu deren Hauptquartier zu bringen, das von Pabst im Hotel Eden eingerichtet worden war. Das luxuriöse Haus lag am Dreieck Kurfürstenstraße, Nürnberger Straße und Budapester Straße, die damals noch Teil des Kurfürstendamms war. Das Hotel ragte bis auf den heutigen Olof-PalmePlatz vor dem Elefantentor des Zoos, auch dort gibt es eine Gedenkplatte. Es wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und später abgerissen. 

Auch Wilhelm Pieck war in Wilmersdorf festgenommen worden

Pabst hatte sein Hauptquartier in zwei Räumen im ersten Stock des weiträumig abgesperrten Hotels eingerichtet. Dorthin wurden die Gefangenen gebracht, Liebknecht gegen 21.30 Uhr, die beiden anderen etwas später. Pieck sah man wohl als nicht so wichtig an. Er konnte am selben Abend fliehen, zu den Umständen gab es widersprüchliche Angaben.

Mit Liebknecht und Luxemburg hatte Pabst zwei politische Führer der KPD in die Hände bekommen, die ihm als die gefährlichsten Feinde, „die geistigen Führer der Revolution“ erschienen. Dass sie den Abend nicht überleben durften, war klar, es blieb die Frage nach dem Weg. Nach Beratung mit seinem Stab ließ er aus Freiwilligen einer in der Straße In den Zelten Nr. 4 einquartierten, für Spezialaufträge eingesetzten Einheit von Marineoffizieren ein Mordkommando zusammenstellen und ins Hotel kommen. Nun fehlte nur noch der Segen von oben, der Auftrag oder zumindest die stillschweigende Duldung durch Oberbefehlshaber Noske. Pabst will sie in einem Telefonat von dem SPD-Mann erhalten haben, eine schriftliche Order gab es nicht. Noske selbst habe den direkten Befehl zur Erschießung Liebknechts und Luxemburgs verweigert, stattdessen auf General Walther von Lüttwitz, Oberbefehlshaber der Reichswehr, verwiesen. Auf Pabsts Entgegnung, dessen Genehmigung werde er nie erhalten, habe Noske nur geantwortet, dann müsse er selbst verantworten, was zu tun sei. In einem „Spiegel“-Gespräch von 1962 verwahrte Pabst sich gegen das Wort „umbringen“, er habe seine Gefangenen vielmehr „richten lassen“. Sein schriftlicher Befehl lautete, Luxemburg und Liebknecht ins Zellengefängnis Moabit, schräg gegenüber vom heutigen Hauptbahnhof, zu bringen. Doch was er mit den Mitgliedern des Kommandos besprochen habe, „das geht keinen Menschen etwas an“.

Als Ersten traf es nach kurzer Vernehmung Liebknecht: Von Hotelgästen und Soldaten beschimpft und bespuckt, wurde er zum Hoteleingang gebracht, wo ein Wagen und ein siebenköpfiges Begleitkommando warteten. Schon im Wagen erhielt er einen Kolbenschlag und einen Fausthieb von zwei nicht zum Kommando gehörenden Soldaten. Der Wagen fuhr Richtung Tiergarten, bog in den Großen Weg ein und hielt – angeblich wegen einer Panne – an der Nordseite des Neuen Sees. Dort, wo seit 1987 eine Backsteinsäule an den Sozialistenführer erinnert, wurde er von mehreren Angehörigen des Killerkommandos erschossen. Die Leiche lud man ins Auto, lieferte sie bei einer Rettungsstelle gegenüber dem Hotel als angeblich unbekannten Toten ab.

Liebknecht habe sich losgerissen und zu fliehen versucht, wurde der Mord tags darauf von der Propagandaabteilung der Division beschönigt – eine Lüge, die bei Luxemburg angesichts ihrer Gehbehinderung ausgeschlossen war. Nach der Rückkehr des ersten Mordkommandos war sie an der Reihe. Auch sie hatte man kurz verhört, auch sie war beschimpft worden, hatte zwei Kolbenschläge erhalten, lag bewusstlos im Wagen. Noch auf dem Kurfürstendamm, etwa dort, wo damals die Nürnberger Straße einmündete, sprang ein Mann aufs Trittbrett des vorbeifahrenden Wagens und gab auf Luxemburg einen Schuss in den Kopf ab, der sie sofort tötete. Als Täter gilt heute der Marineleutnant Hermann W. Souchon, Pabst selbst will ihm den Auftrag erteilt haben. Die Männer fuhren bis zum Landwehrkanal, bogen ins heutige Katharina-Heinroth-Ufer ein, hielten an der Lichtensteinbrücke und warfen die Leiche ins Wasser. Auch dort erinnert seit 1987 ein Denkmal an die Bluttat.

Den zweiten Mord suchte man mit der Erklärung zu kaschieren, sie sei aus einer erregten Menge heraus erschossen worden – eine der zahllosen Lügen, Vertuschungen, Meineiden, von denen die juristische, letztlich ergebnislose Aufarbeitung des Doppelmords geprägt war. Diese Linie deutete sich schon am folgenden Tag an, als Pabst in die Reichskanzlei zitiert wurde und dort von Noske und Ebert, wie er es empfand, durchaus verständnisvoll empfangen wurde. „Ihr habt Nerven wie hysterische Weiber. Krieg ist Krieg!“, hatte Noske zuvor weniger abgebrühten Kollegen beschieden.

Für den Doppelmord belangt wurde Pabst nie. Auch Luxemburgs mutmaßlicher Mörder Souchon kam nie vor Gericht, strengte dagegen 1969 einen Prozess gegen den SDR, den Intendanten Hans Bausch und den Redakteur Dieter Ertel an, nachdem er in einem Fernsehspiel als Todesschütze dargestellt worden war. Pabst stand krankheitshalber als Zeuge nicht zur Verfügung, andere Tatzeugen fehlten. So entschieden die Richter nach der fragwürdigen alten Aktenlage. Der Sender musste widerrufen.

Um die Aufklärung des Doppelmordes und der fragwürdigen juristischen Aufarbeitung hat sich besonders Sozialwissenschaftler Klaus Gietinger verdient gemacht. Dessen erste Publikation dazu erschien überarbeitet in der Edition Nautilus: „Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs“. (192 S., 70 Abb., 16 Euro)

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