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Susanne Baró Fernández betreibt die Cocktailbar „Timber Doodle“ in Friedrichshain.
© LaVida Passport/Betsy McCue
Update

Berliner Barbetreiberin über Corona-Regeln: „Gastronomie mit 1,5 Meter Abstand funktioniert nicht“

Viele Bars werden die Krise nicht überstehen, sagt Susanne Baró Fernández. Sie betreibt das „Timber Doodle“ in Friedrichshain – und verzweifelt an den Auflagen.

Seit Juni können Gastronomen in Friedrichshain-Kreuzberg zusätzliche Stellflächen auf den Straßen nutzen, um die Abstandsregeln während der Pandemie einhalten zu können. Bei Bekanntwerden der Maßnahme im Mai meldeten über 300 Kneipen, Bars und Restaurants Bedarf an. Bezirksamtssprecher Dominik Krejsa berichtet: „Von 150 vollständig eingereichten Anträgen wurden bis auf drei alle bearbeitet und rund 110 genehmigt.“ Die Barbetreiberin Susanne Baró Fernández gehört denen, die keine Genehmigung bekommen haben.

Frau Baró Fernández, Sie betreiben die Cocktailbar „Timber Doodle“ und hatten beim Bezirksamt beantragt, draußen Tische und Stühle für ihre Gäste aufstellen zu dürfen. Doch Sie bekamen eine Absage - was war der Grund?
Am 26. Juni bekam ich vom Bezirksamt eine Absage per Mail mit der Begründung, die Leichtigkeit des Fußverkehrs sei nicht gegeben. Dabei blieben die geforderten zwei Meter für Fußgänger sogar frei. Dem Betrieb gegenüber auf der anderen Straßenseite wurden die Tische und Plätze genehmigt, die er montags bis freitags bestuhlen und nach 20 Uhr räumen sollte. Meine Bar öffnet aber erst um 19 Uhr. Selbst wenn ich die Genehmigung bekommen hätte, würde mir die eine Stunde nichts bringen.

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Seit Anfang Juni haben Kneipen und Bars wieder geöffnet – allerdings unter strengen Auflagen, die Sie in einem längeren Facebook-Post scharf kritisiert haben. Warum?
Die Auflagen verkennen, wie Gastronomie funktioniert. Durch den Mindestabstand von 1,5 Metern fallen nämlich in vielen Bars 70 bis 80 Prozent der Sitzplätze weg – und das, während Besucher am Tresen von Champagnerbars in größeren Kaufhäusern ohne Abstand nebeneinandersitzen dürfen. Aber selbst, wenn ich meinen Bartresen mit Plexiglaswänden verkleide, darf ich dort keine Gäste bewirten.

Ich frage mich: Warum misst die Politik hier mit zweierlei Maß? Es kann doch nicht sein, dass kaum ein Wirt die Verordnung versteht. Wussten Sie, dass zwei Gäste aus zwei Haushalten nicht gemeinsam an einem Tisch sitzen dürfen? Eine Unterhaltung mit 1,5 Metern Abstand ist aber einfach nicht möglich. Wenn ich meinen Gästen die Regeln erkläre, ziehen Sie einfach weiter zum Laden nebenan, wo keine Kontrollen stattfinden.

Am vergangenen Wochenende feierten Partyurlauber auf Mallorca dichtgedrängt in Bars und Kneipen, das Entsetzen war groß. Was geht Ihnen bei diesen Bildern durch den Kopf?
Solche Bilder sind jedes Mal ein Schlag in die Magengrube für mich und andere Gewerbetreibende, die zum Schutz der Bevölkerung vor Corona präventiv geschlossen wurden und nun schwer um das wirtschaftliche Überleben kämpfen. Ähnliche Bilder gab es auch aus Frankreich, England, und natürlich kennen wir sie auch aus Berlin. Es herrscht eine Diskrepanz zwischen den Maßnahmen, die Politik und Epidemiologen fordern, und ihrer Umsetzung.

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Welche Erfahrungen machen Sie bei den Berliner Bars?
Die aktuelle Coronaverordnung wird nicht überall umgesetzt, wie sie es sollte. Manche Betreiber wissen nicht genau, was gerade gilt, andere sehen sich wirtschaftlich in der Bedrängnis, mehr Gäste aufzunehmen, als sie dürften und wiederum andere scheren sich nicht. Andere Betriebe aber setzen die Verordnungen um, schicken die Gäste weg, wenn die Abstände nicht eingehalten werden können, um dann zu sehen, wie sie eine Ecke weiter einkehren. Wer sich an die Regeln hält, hat den wirtschaftlichen Nachteil und das Unverständnis mancher Gäste auf seiner Seite.

Wie betreiben Sie die Bar mit den jetzigen Verordnungen?
Normalerweise gibt es im Timber Doodle 25 Sitzplätze. Jetzt kommt alles anders: Wenn ich Paare bewirte, sind neun Plätze erlaubt, kommen die Gäste einzeln, nur fünf Sitzplätze. Immer muss ich die Gäste fragen: Leben Sie gemeinsam in einem Haushalt? Als Betreiberin ist mir das unglaublich unangenehm.

Dabei muss ich den Antworten Glauben schenken, denn Ausweise kontrollieren darf ich nicht, obwohl ich im Zweifelsfall hafte: 100 bis 2500 Euro Bußgeld droht den Wirten bei jedem Verstoß gegen die Verordnung. Bei 100 Prozent der laufenden Kosten mache ich nicht mal ein Drittel des üblichen Umsatzes. Mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne konnte ich zwar mehr als 8000 Euro einsammeln, um zumindest einen Teil der Kosten zu decken. Aber: Der Betrieb rechnet sich nicht und ich musste einen fest angestellten Mitarbeiter entlassen.

Welche Forderungen haben Sie an den Berliner Senat?
Natürlich ist es schwierig, einen geringeren Mindestabstand zu verordnen und auf einen Meter runterzugehen, wenn die Wissenschaft etwas Anderes empfiehlt. Offiziell gibt es zwar keine angeordnete Betriebsschließung für Bars und Kneipen, aber es gilt weiterhin: Gastronomie mit 1,5 Meter Abstand funktioniert nicht.

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Wir Barbetreiber fühlen uns vom Senat im Stich gelassen. Die Politik redet zwar mit dem Hotel- und Gaststättenverband, der aber vertritt hauptsächlich Hotels und Restaurants. Mit den Kneipen- und Barbesitzern redet niemand.

Was gibt Ihnen Hoffnung, dass Bars und Kneipen die Krise trotz allem überleben können?
Die jetzige Verordnung geht bis zum 24. Oktober, und viele von uns werden sie nicht überleben. Außerdem haben wir große Angst davor, dass eine zweite Infektionswelle noch mehr Einschränkungen mit sich bringt. Mit den Infektionen in Gütersloh waren es eben auch wieder die Bars, die beim erneuten Lockdown als Erstes mit geschlossen wurden. Doch wir Barbetreiber halten zusammen und unterstützen uns gegenseitig, obwohl niemand weiß, wie es weitergeht.

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