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Fußgängerstolz. Mag sein, dass woanders die Autofahrer das Sagen haben - in Berlin sind aber auch die Fußgänger selbstbewusst. Wer am Zebrastreifen wartet, macht sich verdächtig.
© Thilo Rückeis

Härtere Strafen, mehr Schutz für Gehwege, Tempo 30: Fußgänger fordern neues Verkehrsrecht in Deutschland

"Primäre Bewegungsform": Die StVO müsse künftig nicht Autos, sondern den Schutz der Fußgänger priorisieren, fordert der Verein FUSS.

Höhere Strafen für Gehweg-Fahrer, Grünpfeil für Fußgänger, Tempo 30 innerorts – das fordert FUSS e.V. in seinem neuen Verkehrspapier. Der Verein hat darin ein Verkehrsrecht ausgearbeitet, dass erstmals in Deutschland den Fußgänger in den Vordergrund stellt. Das Gehen solle „im Verkehrsrecht nicht mehr als Nebensache und Störfaktor behandelt werden“, fordert FUSS-Sprecher Roland Stimpel, „sondern als primäre und prioritäre Bewegungsform“.

Bisher sieht das anders aus. Durch die Straßenverkehrsordnung (StVO) wehe noch heute der Geist der alten Reichs-StVO von 1934, kritisiert FUSS. Deren Mitautor Hermann Gülde habe die Maßgabe damals so umschrieben: „Der Langsame hat auf den Schnelleren Rücksicht zu nehmen.“

Um diesen Geist zu ändern, arbeitete der Verein das Papier „Verkehrsrecht auf die Füße stellen“ mit 66 Punkten aus, das er am Mittwoch präsentierte. Das richtet sich insbesondere ans Bundesverkehrsministerium, das sich weiterhin fast gar nicht um Fußgänger kümmert. Minister Andreas Scheuer (CSU) wollte ihnen stattdessen sogar noch Platz wegnehmen und die neuen E-Tretroller ursprünglich auch legal für Gehwege freigeben.

Schutz des Gehwegs steht im Zentrum

Doch auch die Landespolitik und Verwaltung in Berlin bekommen ihr Fett weg. Die Gehwege seien „die wichtigsten Verkehrsräume in der Stadt, mit 27 Prozent Anteil an allen Wegen ist der Fußverkehr die wichtigste Mobilitätsform“, sagt FUSS-Sprecher Stimpel. Zwar wolle die Senatsverkehrsverwaltung nun auch den Fußverkehr ins Mobilitätsgesetz aufnehmen. Doch bisher würden die Belange der Fußgänger auch von der Senatorin Regine Günther (Grüne) sträflich vernachlässigt.

„Wer sich nicht endlich um die Gehwege kümmert, sollte aufhören, von Verkehrswende zu schwatzen“, kritisiert Stimpel. Auf Berlins Gehwegen herrsche aufgrund fehlender Kontrollen inzwischen „Anarchie“, dabei brauche es „eine Null-Toleranz-Politik: Was verboten ist, wird verfolgt.“

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Im Kern des Papiers steht daher der bedrohte Schutzraum Gehweg, der gerade in Berlin zur „Resterampe“ für Fahrzeuge und Cafétische verkommen sei. Bisher sei das Exklusivrecht der Fußgänger auf den Bürgersteig lediglich negativ definiert, durch § 2 Abs.1 StVO: „Fahrzeuge müssen die Fahrbahn benutzen“. Dies müsse sich ändern - FUSS e.V. schlägt folgende Formulierung vor: „Gehwege dienen dem Fußverkehr und dürfen nicht befahren werden.“ Ausnahmen sollen nur für Krankenfahrstühle, nicht motorisierte Tretroller und Skateboards sowie Kinder auf Fahrrädern gelten, jedoch müssten Fußgänger stets Vorrang haben.

Gerade das Befahren von Gehwegen durch Fahrräder und seit Neuestem E-Räder und -Tretroller hat in der jüngsten Vergangenheit stark zugenommen. Das Problem verschärfe sich durch die wachsende Zahl schneller Elektro-Räder, kritisiert FUSS.

Zebrastreifen auch über Radwege

Der Verein fordert konsequenterweise auch die Abschaffung der „Mischwege“ von Fuß- und Radfahrern innerorts. Diese seien für die Behörden oft eine „bequeme Lösung, um die Fahrbahn Motorfahrzeugen vorzubehalten“. Doch „Fuß- und Radverkehr sollen wo möglich getrennt geführt werden. Wo gemeinsame Wege unvermeidlich sind, hat Fußverkehr Vorrang und Radverkehr muss sich anpassen. Wo die Wege zu Fuß und zu Rad sich kreuzen, braucht Fußverkehr sichere und in der Regel bevorrechtige Querungen.“

Je breiter und frequentierter die Radwege, desto schwieriger würden sie für Fußgänger zu überqueren. Deswegen müssten auch dort unter Umständen Zebrastreifen angelegt werden, „ggf. mit Schwelle oder anderem Tempominderer“.  Alternativ könne es eine Regelung geben, wonach Fußgänger ihre Querungsabsicht anzeigen („auf Querung zugehen oder Arm vorstrecken“) und Radfahrer dann anhalten müssten. In diesem Zusammenhang kritisiert FUSS bereits seit einiger Zeit das Streben der Berliner Regierungskoalition nach der „fahrradgerechten Stadt“. Dabei drohe der Fußgänger unter die Räder zu kommen.

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Auch dicht an ÖPNV-Haltestellen vorbeigeführte Radwege sind FUSS ein Dorn im Auge. Dadurch komme es beim Ein- und Aussteigen zu gefährlichen Situationen. Die Radwege sollen deshalb dort unterbrochen und als Gehweg mit „Radfahrer frei“ ausgewiesen werden. Alternativ sollen Radfahrer vor Haltestellen warten müssen, wenn Busse oder Bahnen einfahren.

Radwege an Haltestellen als Risiko

Zudem fordert FUSS e.V., das Abstellen von Fahrzeugen auf Gehwegen durch klare Vorgaben zu regeln. Der Verein schlägt vor, dass Fahrzeuge künftig nur noch dann auf Bürgersteigen abgestellt werden dürfen, wenn mindestens 2,50 Meter frei bleiben sowie Hauseingänge, Erdgeschoss-Fenster, Außentreppen und Versorgungsklappen, Bordsteinkanten und insbesondere Überwege und Haltestellen nicht zugestellt werden. Dies solle jedoch nicht für Leih-Räder und -Roller gelten - diese will FUSS bis auf wenige Abstellzonen gleich ganz von Bürgersteigen verbannen.

Scharfe Kritik äußert FUSS auch hinsichtlich der Verfolgung bei Verkehrsverstößen. Besonders jene zu Lasten von Fußgängern würden „zu selten geahndet“, heißt es im Papier, „die Sanktionen sind viel zu schwach“. Die Bußgelder müssten „üblichen europäischen Standards angepasst“ sowie nach Schweregrad des Verstoßes gestaffelt werden. Eine „Schwarznutzung“ des Gehwegs müsse „mindestens in gleicher Höhe“ wie das Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln belangt werden. Die Gefährdung anderer solle zudem nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat eingestuft werden.

Parken soll nur noch in Zonen erlaubt werden

Zur Sicherheit der Fußgänger müsse auch der Autoverkehr in Städten stärker reguliert werden. FUSS will hier mehr Entscheidungsfreiheit in Verkehrsfragen für Kommunen, um sich über fußgängerfeindliche StVO-Regelungen hinwegsetzen zu können. Zudem soll Tempo 30 innerorts aus Sicherheitsgründen zur Regel und der Parkraum für Autos in Städten reduziert werden.

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Laut StVO ist Parken heute überall am Fahrbahnrand gestattet, wo es nicht ausdrücklich verboten ist. Dies müsse umgedreht werden: „In neu zu schaffenden Parkerlaubnis-Zonen (z.B. verdichteten Stadtgebieten) darf nur noch auf markierten Parkflächen geparkt werden.“ Die Gemeinden sollten vor dem Zulassen des Parkens diese Nutzung stets mit anderen Belangen abwägen, wie Bänke, Spielen, Grün oder Gastronomie. Außerdem sei der Parkraum am Fahrbahnrand „so zu nutzen und zu gestalten, dass pro Quadratmeter eine möglichst große Zahl von Fahrzeugen abgestellt werden kann. Damit erhalten kleine Fahrzeuge Vorrang vor großen.“

Auch die Ampelschaltungen müssten endlich „rechtlich verbindlich“ fußgängerfreundlich geändert werden. Bisher definiere die StVO hier keinerlei Mindeststandards. FUSS schlägt als solche vor, dass Fußgänger nie länger als 45 Sekunden auf Grün warten sollten und die Straße dann in einem Zug ohne Wartezeit auf einer Mittelinsel überquert werden könne.

Eine weitere fußgängerfeindliche Regelung ist laut FUSS der Grünpfeil für Autos und seit kurzem auch Radfahrer. Dieser gefährde und behindere Fußgänger und durchbreche das Tabu „Rot heißt Warten“.  FUSS fordert daher die Abschaffung der Grünpfeile oder alternativ das gleiche Recht: „Wenn das Rotlicht-Tabu für den Fahrverkehr durchbrochen ist – warum dann nicht auch für Fußgänger? Diese dürfen bei Rot über die Fahrbahn, wenn sich kein Fahrzeug nähert.“

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