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Bis 20 km/h schnell dürfen die Elektrokleinstfahrzeuge sein, die das Verkehrsministerium auf Rad- und Gehwegen zulassen will.
© imago/ITAR-TASS

Unfallforscher im Interview: "E-Roller sind eine große Gefahr für Fußgänger"

Das Verkehrsministerium plant, E-Roller auf Gehwegen zuzulassen. Der Unfallforscher Brockmann findet das falsch, er erwartet dadurch mehr Unfälle.

Die neuen Elektroroller sind eine große Gefahr für Fußgänger und sollten nicht wie geplant auf dem Gehweg fahren dürfen. Zu diesem Schluss kommt Siegfried Brockmann, Leiter bei der Unfallforschung der Versicherer (UdV) im Interview.

Herr Brockmann, ab dem Frühjahr sollen Elektrokleinstfahrzeuge in Deutschland zugelassen werden. Wo sollten die aus Ihrer Sicht fahren?

Die Straße wäre für die Nutzer dieser Mobile in der Tat zu riskant. Sie sind relativ langsam, man rechnet nicht mit ihnen, sie haben eine ungewöhnliche Silhouette. Der Plan, sie grundsätzlich auf Radwege zu bringen, ist daher aus meiner Sicht nachvollziehbar. Auch das maximale Tempo 20 ist auf den Radwegen vergleichsweise unproblematisch. Das Problem fängt da an, wo ich Gehwege freigebe.

Laut der geplanten Verordnung soll das per Zusatzschild gehen.

Und man muss davon ausgehen, dass das großflächig angewandt wird.

Der Verband Fuss e.V. befürchtet dadurch einen „Dammbruch“ für Fahrzeuge auf dem Gehweg.

Ja, den Dammbruch sehe ich auch und halte ihn für problematisch. Ein Fußweg ist für Fußgänger da. Wenn man das aufweicht, ist die Schutzfunktion für den Fußgänger auf seiner Verkehrsfläche in Gefahr.

Wird der Gehweg durch die E-Roller also schleichend zur Fahrfläche?

Das hängt davon ab, wie erfolgreich die Roller am Markt sind. Ich könnte mir vorstellen, dass sie recht erfolgreich sind. Dann werden wir sie auch regelmäßig auf dem Gehweg sehen, ob das erlaubt ist oder nicht. Das ist für mich ganz klar.

Vernünftig wäre sowieso eine Dreiteilung des öffentlichen Straßenlandes: Gehwege für Schrittgeschwindigkeit [...], Radwege für relativ schmale Fahrzeuge mit Geschwindigkeiten bis 20 km/h und Fahrbahnen für breite und für schnellere Fahrzeuge, zu denen auch schnell fahrende Fahrräder gehören sollten.

schreibt NutzerIn geruempelsynchronisierer

Der Fahrradverband ADFC und Fuss e.V. warnen vor massenhaften Unfällen durch E-Roller. Erwarten Sie das auch?

Das hängt von der Verbreitung ab. Je höher die Stückzahlen, desto höher die Unfallzahlen. Die Frage ist einmal, ob die Unfälle proportional oder überproportional zur Verbreitung geschehen. Und zweitens, wer dabei verletzt wird. Selbst wenn die Unfallzahlen proportional zur Verbreitung sind, aber dabei überwiegend Fußgänger verletzt werden, ist das nicht hinnehmbar.

Sehen Sie die Fußgänger gefährdet?

Ja. Die Chancen, dass die Fahrer auf Fußgänger Rücksicht nehmen, sind eher gering – so wie bei Radfahrern auch.

Wie kann festgestellt werden, ob es überproportional viele Unfälle gibt?

Bisher gar nicht. Die amtliche Polizeistatistik kennt diese Geräte nicht, kein Polizist kann das auf seiner Verkehrsunfallanzeige ankreuzen. Deswegen haben wir angemahnt, dass diese Bögen zügig angepasst werden. Sonst werden diese Unfälle nicht dokumentiert.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) plant zudem eine Ministererlaubnis für E-Fahrzeuge ohne Lenkstange wie Hoverboards, Elektroskateboards oder One-Wheeler auf Gehwegen.

Bei diesen Geräten bin ich noch kritischer  und der Meinung, man sollte sie überhaupt nicht zulassen. Man muss nicht alles erlauben, nur weil Elektro draufsteht.

Warum so kritisch?

Bei den großen E-Rollern sehe ich wegen der sogenannten letzten Meile noch einen gesellschaftlichen Nutzen. Bei Hoverboards und One-Wheelern kann ich den nicht erkennen. Das sind gefährliche Spielzeuge. Der Nutzer hat keine Lenkstange und muss das Gerät selbst balancieren, deshalb kann er viel schwieriger bremsen, ausweichen und auf die Umgebung achten. Das ist ein großes Risiko.

Da geht’s lang. Unfallforscher Siegfried Brockmann kennt sich in der Stadt aus.
Da geht’s lang. Unfallforscher Siegfried Brockmann kennt sich in der Stadt aus.
© Doris Spiekermann-Klaas

Die Pläne sehen eine Höchstgeschwindigkeit von 11 km/h für die Gehweg-Boards vor. Kann es da schwere Unfälle geben?

Wenn es so kommt: Natürlich! One-Wheeler und E-Skateboards sind sehr massiv, und 11 km/h wären keine Peanuts. Ein Jogger joggt mit 7 bis 8 km/h, bei 11 km/h müssen Sie schon rennen. Rennen Sie mal richtig gegen eine Scheibe, dann haben sie die kinetische Energie eines solchen Unfalls. Und mit dieser Geschwindigkeit rast man auf Kinder, Alte, Schwache und Blinde zu. Deswegen vermag ich überhaupt nicht einzusehen, warum man das legalisieren sollte.

Ja, warum denn?

Bei uns gibt es in der Politik zwei Zauberworte. Das sind "Digital" und "Elektroantrieb". Die sorgen dafür, dass man das alles erst einmal gut finden soll. Ich bin ja nicht komplett dagegen, aber wir müssen gucken, wo wir die Grenzen ziehen.

Für die Gehweg-Boards soll es eine zweijährige Testphase geben. Wie soll dieser Test ausgewertet werden?

Ich würde sagen: Das wird schwierig. Das ginge nur, wenn man es auf ein Gebiet, einen Polizeipräsidiumsbereich begrenzen würde. Dort wäre die Polizei dann angehalten, Unfälle im Testzeitraum per besonderer Meldung aufzunehmen. Ein bundesweiter Test ergäbe nur einen Sinn, wenn alle Länderpolizeien dafür sensibilisiert und explizit jeden Unfall mit einem solchen Gerät melden würden. Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich kenne zurzeit auch keine einzige wissenschaftliche Studie weltweit dazu.

Müssten Fußgänger künftig besonders vorsichtig auf dem Gehweg sein?

Nein. Außer der gegenseitigen Rücksichtnahme treffen ihn keine besonderen Sorgfaltspflichten. Die E-Fahrzeuge müssen auf die Fußgänger Rücksicht nehmen.

Und wer zahlt, wenn es einen Unfall gibt?

Wenn ein Fußgänger angefahren wird, zahlt die Versicherung des E-Fahrers. Für die E-Roller ist immerhin eine Kfz-Haftpflichtversicherung geplant und ein Versicherungskennzeichen.  So ist wenigstens für Unfallopfer gesorgt.

Was ist bei einem Unfall mit einem One-Wheeler oder Hoverboard?

Auch da können vor allem Fußgänger und Radfahrer schwer verletzt werden. Da das Kraftfahrzeuge sind, würde die Privathaftpflicht aber nicht zuständig sein.

Sie fordern Versicherungsplaketten für alle E-Fahrzeuge?

Das erscheint mir für den Opferschutz sehr sinnvoll. Außerdem würde sich ohne Versicherung das Risiko der Unfallflucht erhöhen. Wenn ich einen Schaden selbst bezahlen müsste, mache ich mich deutlich häufiger aus dem Staub, als wenn ich versichert bin.

Kann man für die schicken E-Roller da nicht eine Ausnahme machen?

Nein. Der Gesetzgeber hat sich vor vielen Jahren etwas beim Kfz-Pflichtversicherungsgesetz gedacht: Kfz können erhebliche Schäden verursachen, und die dürfen nicht an den Geschädigten hängenbleiben. Auch Hoverboards sind Kraftfahrzeuge, also müssen auch sie eine Kfz- Haftpflichtversicherung haben.

Die Hersteller sehen das anders.

Mag sein, aber aus meiner Sicht ist das unstrittig: Alles, was über 6 km/h fährt und nicht muskelbetrieben ist, ist ein Kfz. Das steht im Wiener Übereinkommen über den Kraftfahrzeugverkehr, dem sich auch die Bundesrepublik unterworfen hat. Darüber haben wir uns schon bei den Pedelecs leicht hinweggesetzt, aber immerhin muss man da noch treten.

Die Rollerhersteller weisen darauf hin, dass es der Umgang mit E-Fahrzeugen vielen anderen Ländern laxer gehandhabt wird.

Das stimmt. Und dadurch, dass diese Fahrzeuge mit Geschwindigkeit und Macht in den Markt drängen, gerät der Verkehrsminister zusätzlich unter Druck. Aber wir brauchen eine sinnvolle Regelung. Idealerweise europäisch harmonisiert, aber das sehe ich kurzfristig nicht.

Wie sähe die Ihrer Meinung nach aus?

Wie gesagt: E-Fahrzeuge sollten auf dem Radweg fahren und ausnahmslos eine Kfz-Haftpflicht haben. Auf dem Gehweg haben sie nichts zu suchen. Wenn wir das aber nicht verhindern können, muss man wenigstens eine fußgängerkompatible Höchstgeschwindigkeit wählen. Für Fußgängerbereiche sollten das meiner Ansicht nach maximal 6 km/h sein.

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