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Fahrradfahren in Berlin: Manchmal ein Parcours.
© Alexander Heinl/dpa

Verkehr in der Hauptstadt: Für gleichwertige Mobilität in Berlins Kiezen

Nicht nur für Autofahrer, nicht nur für Radfahrer: Berlins Verkehr muss für alle funktionieren – in der ganzen Stadt. Ein Gastbeitrag.

Berlin wächst und damit wachsen die Herausforderungen für das Zusammenleben: Wohnen, Sicherheit und Mobilität. Das sind Grundbedürfnisse der Berlinerinnen und Berliner, welchen die Politik einen Rahmen geben muss, damit wir geordnet und friedlich zusammenleben können.

Mit der wachsenden Stadt verstärkt sich auch der Kampf um den immer knapperen öffentlichen Raum. Das spüren wir alle bei der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung. Und das spüren wir alle, wenn wir morgens und abends auf und von dem Weg zur Arbeit sind. Die S-Bahn ist unpünktlich oder fällt aus, auf den Straßen und Wegen stellen wir einen Verdrängungswettbewerb fest: ÖPNV, Fußgänger, Fahrradfahrer, Autofahrer und Wirtschaftsverkehr sind in Einklang zu bringen.

Darum ringt die rot-rot-grüne Regierung seit 2016. Nicht ganz freiwillig, denn erst ein Volksbegehren „Fahrrad“ brachte die Berliner Politik in die Situation, Lösungen finden zu müssen, die in den vergangenen Jahren nicht hinreichend angestrebt wurden. Wie kann die Mobilität in unserer Stadt interessengerecht gesteuert werden? Wie können sich Fahrradfahrer endlich gefahrlos in Berlin bewegen?

Schnell war sich die Koalition einig: Nur eine Lösung pro Fahrradverkehr, wie vom Fahrrad-Volksbegehren gefordert, sichert nicht die Mobilität in unserer Stadt. Deshalb haben sich die Koalitionsfraktionen verständigt, ein Mobilitätsgesetz zu verabschieden.

Menschen zum Umstieg bewegen

Als erstes Bundesland wollen wir das Miteinander von Autos, Fahrrädern, Bussen, Bahnen sowie Fußgängern gesetzlich regeln. Wir wollen mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV und das Fahrrad bewegen und dazu beitragen, den Verkehr für alle sicherer zu machen. Das Mobilitätsgesetz zählt zu einem der wichtigsten Koalitionsvorhaben in dieser Legislaturperiode.

Im März 2018 wurde der Senatsentwurf für ein Mobilitätsgesetz dem Berliner Abgeordnetenhaus zur Beratung vorgelegt. Und obwohl wesentliche Teile im Gesetz fehlten, steht der bisherige Stand für einen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik unserer Stadt. Denn die Politik der letzten 60 Jahre hat sich größtenteils auf das Auto konzentriert.

Mit dem Gesetzentwurf legen wir nun den Schwerpunkt auf den stadt-, umwelt- und klimaverträglichen Verkehr. Unsere Stadt bekommt ein Gesetz, das neben dem Radverkehr zusätzlich die öffentlichen Verkehrsmittel stärkt, deren Ausbau priorisiert und beschleunigt. Der erste Teil des Gesetzes enthält Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs und des Personennahverkehrs.

In einem zweiten Teil werden sich weitere, noch nicht final ausgearbeitete Abschnitte schwerpunktmäßig mit der Situation der Fußgänger und mit dem Wirtschaftsverkehr, zu dem unter anderem der Taxiverkehr, Paket- und Lieferdienste zugeordnet werden, beschäftigen.

Kulturkampf in sozialen Netzwerken

Der Abschnitt „intelligente Mobilität“ soll die Themen Car- und Bikesharing, autonomes Fahren, intelligente Ampeln und Ähnliches umfassen. Ein Mobilitätsgesetz für Berlin muss nach Auffassung der SPD-Fraktion aber alle Verkehrsträger abbilden und sollte demzufolge im zweiten Teil auch Regelungen zum stadtverträglichen Autoverkehr beinhalten.

In Berlin sind ca. 1,3 Millionen private Pkw zugelassen. Wenn wir im Gesetz Qualitäts- und Quantitätskriterien für Fußgänger und Radfahrer sowie Standards für den ÖPNV festlegen, dann bedarf es in ähnlicher Form entsprechender Kriterien für den Autoverkehr. Wir wollen nicht den Status Quo aufrechterhalten, sondern machen uns für einen stadtverträglichen Autoverkehr der Zukunft stark.

Dahingehende Änderungsvorschläge der SPD-Fraktion in der vorletzten Woche führten zu einer Diskussion, die jeden Kompass vermissen ließ: Die Betreiber des Volksentscheides Fahrrad warfen in den sozialen Netzwerken der SPD vor „An Euren Händen klebt Blut“, nachdem es einen weiteren tragischen Unfall mit einer Radfahrerin zwischen der Straße des 17. Juni und dem Platz des 18. März gab, die offenbar trotz Rotlicht die Straße überquert hatte.

Der Initiator und Kampagnenführer des Volksentscheids „Fahrrad“ Heinrich Strößenreuther kündigte eine Kampagne gegen die SPD an und wollte von Abgeordneten wissen, ob diese Autofahrer seien und Kinder hätten.

In den sozialen Netzwerken und öffentlichen Kommentaren wird ein wahrer Kulturkampf aufgemacht, in dem sich die Seiten offenbar unversöhnlich gegenüberstehen. Auf der einen Seite die Radfahrer, die zu Recht ihre Belange berücksichtigt sehen wollen und sogar so weit gehen, dass Autofahrer aus Berlin verbannt werden sollen. Auf der anderen Seite Autofahrer, die den Radfahrern rücksichtsloses und verkehrswidriges Verhalten vorwerfen.

Gegenseitige Rücksicht gilt für alle

Fahrradfahren in Berlin: Manchmal ein Parcours.
Fahrradfahren in Berlin: Manchmal ein Parcours.
© Alexander Heinl/dpa

Die Wahrheit liegt wie immer dazwischen: Paragraph 1 Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung hat bereits eine gesetzliche Regelung, die nicht oft genug wiederholt werden kann: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“ Dies gilt übrigens für alle, die am Straßenverkehr teilnehmen: Radfahrer, Autofahrer, Fußgänger und ÖPNV.

Aufgabe von Politik ist es, die Interessen in unserer Stadt auszugleichen, auch dafür sind wir gewählt. Weder kann und wird Berlin eine ausschließliche Autostadt sein, noch wird Berlin eine ausschließliche Fahrradstadt sein. Einzel- oder Partikularinteressen zu vertreten, spaltet unsere Stadt und führt nicht zusammen. Deshalb hat die SPD-Fraktion Änderungsvorschläge beschlossen, damit alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt und in allen Berliner Kiezen berücksichtigt werden.

Denn schon heute ist ein Auseinanderdriften von Innen- und Außenbezirken festzustellen. Nicht nur beim Wohnen, sondern auch bei der Mobilität: Auf der S 5 von Kaulsdorf in die Berliner City fallen am Tag eine Vielzahl an Zügen aus. Eine Folge der S-Bahnkrise, die insbesondere in den Außenbezirken spürbar ist.

Aus unterschiedlichsten und nachvollziehbaren Gründen nutzen Berlinerinnen und Berliner ein Auto: Die alleinerziehende Mutter aus Kaulsdorf-Nord, die morgens ihr Kind zur Kita bringt, welche nicht direkt im Wohnkiez ist, fährt mit dem Auto in die Stadt, um das Kind abends abzuholen und zum Sport zu bringen. Das Seniorenehepaar aus Pankow fühlt sich abends mit dem Auto zum Konzert sicherer, als mit der U-Bahn zum Alexanderplatz zu fahren. Der Kioskbetreiber, der mit dem Auto seine Ware vom Großmarkt zum Späti bringt.

Wir werden keine Berlinerin und keinen Berliner zwingen, ein bestimmtes Verkehrsmittel zu nutzen. Jeder soll selbst entscheiden, welches Verkehrsmittel er favorisiert. Auch das zählt zur vielgelobten ‚Berliner Liberalität‘. Aber klar ist auch, es wird Einschränkungen für den Autoverkehr geben.

Für Fahrradfahrer soll es Fahrradschnellwege in die City und sichere Fahrradwege geben. Das ist unser erklärter politischer Wille ganz unabhängig vom Mobilitätsgesetz und darauf brauchen die Berlinerinnen und Berliner auch nicht zu warten. Deshalb stellen wir mit großer Sorge fest, dass alleine im Jahre 2017 mit rund 10 Millionen Euro, die das Abgeordnetenhaus zusätzlich für die Fahrradinfrastruktur zur Verfügung stellte, der ganz überwiegende Teil der verfügbaren Mittel von der Verkehrsverwaltung noch nicht verbaut wurde.

Auch die weiteren 16 Millionen Euro der Koalitionsfraktionen aus Mitteln des Programms „SIWA“ für die Fahrradinfrastruktur sind bisher nicht ansatzweise verbaut. Wem es mit einer Verkehrswende ernst ist, muss dann aber auch die Mittel dafür ausgeben.

Emissionsfreier ÖPNV

Auch für den Öffentlichen Personennahverkehr wollen wir endlich eine Verkehrswende hin zu einem emissionsfreien ÖPNV ab 2025. Gerade erst war Wirtschaftssenatorin Ramona Pop in China und hat eindrucksvoll nach Berlin mitgebracht, dass die Volkswirtschaft mit immenser Bevölkerung in den Städten schon heute E-Busse in 20 Minuten lädt, übrigens in Kooperation mit Daimler gebaut. Als Gastgeschenk hat Pop einen Bus im Maßstab 1:100 mitgebracht. Wir wollen, dass die BVG in Berlin eine Vorreiterrolle für E-Mobilität einnimmt, nicht nur im Maßstab 1:100, sondern zu 100 Prozent. Deshalb wollen wir verbindliche Regelungen im Gesetz, wann der ÖPNV in Berlin emissionsfrei sein muss.

Und wir stehen für eine Mobilität, die gleichwertig in allen Berliner Kiezen angeboten wird. Was durch Artikel 72 des Grundgesetzes seit Jahrzehnten angestrebt wird, muss auch für die Berliner Lebensverhältnisse selbstverständlich sein. Dies bedeutet für uns auch, dass die Innenstadtmobilität nicht gegen die Außenstadtmobilität ausgespielt wird.

Auch am späten Abend muss es möglich sein, dass in Spandau oder Marzahn-Hellersdorf ein öffentliches und sicheres Verkehrsangebot besteht. Und das wollen wir mit unseren Änderungen auch im neuen Mobilitätsgesetz gesetzlich festgelegt wissen.

Die Zeitleiste der Koalitionsfraktionen zur Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes im Juni 2018 war dabei durchaus ambitioniert. Erst im März wurde das Mobilitätsgesetz durch den Senat in das Abgeordnetenhaus eingebracht. Und natürlich haben die Abgeordneten das Recht, das Gesetz zu beraten und zu diskutieren, frei nach dem „Struck’schen Gesetz“: Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es eingebracht wurde.

Dabei ist es völlig legitim in einer Demokratie, dass Vorschläge diskutiert werden. So hat der BUND-Berlin mit einem öffentlichen Brief einen richtigen Weg für den öffentlichen Diskurs gewählt: Während einzelne Vorschläge begrüßt werden, werden andere Vorschläge abgelehnt. Diese Anregungen finden Berücksichtigung in der Entscheidungsfindung in den Ausschüssen im Parlament und in den Fraktionen. Denn es geht immer darum, wie wir gemeinsam in unserer Stadt leben wollen.

Dabei müssen wir um die besten Ideen werben und anerkennen, dass die Vorstellungen von Verbänden und Koalition, von Opposition und Koalition auch innerhalb der verschiedenen Kieze unterschiedlich sind. Und das ist auch gut so. Diesem Wettbewerb der besten Ideen stellen wir uns verantwortungsbewusst und treffen Entscheidungen, die für die gesamte Stadt gut sind: Für die Innen- wie die Außenbezirke, für Ost und West und für Fahrrad- und Autofahrer. Denn dies alles gehört zu Berlin.

Sven Kohlmeier ist Abgeordneter aus Kaulsdorf/Hellersdorf und rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Tino Schopf ist Abgeordneter aus Prenzlauer Berg-Ost und Weißensee und verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Sven Kohlmeier, Tino Schopf

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