China und Japan: Fünf Inseln, drei Felsen - ein Konfliktherd
Wie Japan auf den Aufstieg Chinas zur neuen militärischen Supermacht reagiert. Und welche Gefahren lauern. Eine Analyse.
Im Hafen der südjapanischen Insel Ishigaki ruht die tödliche Gefahr achtlos auf der Mole. Eine Anglerin hat einen Fugu aus dem Becken gezogen und neben ihrem Stuhl auf den Boden gelegt. Der Kugelfisch darf in Japan nur von Spezialisten zubereitet werden, weil das in ihm enthaltene Gift Tetrodotoxin im Schnitt fünf Japaner pro Jahr tötet. „Ja, es ist ein Fugu“, bestätigt die Anglerin, lacht kurz auf, und blickt wieder auf ihre Angel im Hafenbecken.
Dort ankern an diesem Januarmorgen sieben Patrouillenschiffe und drei Patrouillenboote der Japanischen Küstenwache. Bei subtropischen 22 Grad Celsius im Januar wirken sie wie eine Mahnung für die Urlauber, dass es abgesehen vom Fugu nordwestlich des Hafenbeckens ebenfalls sehr bedrohlich werden kann.
170 Kilometer von Ishigaki entfernt befinden sich fünf Inseln und drei Felsen, die nicht nur große Gefahr für den Frieden in der Region bringen könnten. Sie könnten sogar einen Krieg zwischen den Supermächten China und Japans Schutzmacht USA auslösen. Die Inselgruppe wird von den Japanern Senkaku und von den Chinesen Diaoyu genannt. Beide Länder sowie Taiwan reklamieren sie und das umliegende Gewässer für sich.
Es geht um drei felsige unattraktive Inseln
Dabei wirken die felsigen Inseln, die zurzeit nur von wilden Ziegen bewohnt werden, nicht sonderlich attraktiv. Die Gas- und Ölvorkommen in ihrer Nähe dürften einen größeren Reiz ausüben. China hat bereits begonnen, mit 16 Bohrplattformen Gas zu fördern. Japan hat unlängst erneut gegen dieses Vorgehen in Peking protestiert.
Einige Beobachter vermuten allerdings, dass es China in dem Konflikt vor allem darum geht, die Kontrolle über die Miyako-Straße zu erlangen, um damit leichter mit seiner Militärflotte und Fischereibooten auf den offenen Pazifik zu gelangen.
Unbewältigte Kolonialzeit
Der Territorialstreit schwelt ungelöst vor sich hin. Als Japan im Jahr 2012 seinen Anspruch auf die Inseln untermauerte, indem es sie einem Privatmann ankaufte, kam es in China zu von der Regierung gebilligten antijapanischen Demonstrationen. Auch japanische Autos wurden angezündet.
Der Territorialstreit findet vor dem Hintergrund einer weitgehend unbewältigten kolonialen Vergangenheit Japans in China und der wachsenden Rivalität zwischen der Regionalmacht Japan und der neuen Weltmacht China statt. Peking hat mächtig aufgerüstet, von 1992 bis 2017 wuchs der Militärhaushalt um 740 Prozent. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt gab laut dem aktuellen Bericht des Friedensforschungsinstituts Sipri im Jahr 2017 schätzungsweise 228 Milliarden US-Dollar für das Militär aus. Nur die USA investierten mit 610 Milliarden US-Dollar noch mehr.
Bau künstlicher Inseln
Zwar betont die Kommunistische Partei Chinas immer den „friedlichen Aufstieg“. Doch Anfang des Jahres drohte Staats- und Parteichef Xi Jinping unverblümt, Chinas Anspruch auf eine Wiedervereinigung mit Taiwan, das von der KP als abtrünnige Provinz angesehen wird, notfalls auch mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Sorgen bereitet China seinen Nachbarn auch mit seinem Anspruch auf 90 Prozent des Südchinesischen Meeres.
Mit dem Bau künstlicher Inseln und ihrer fortschreitenden Militarisierung stellt Peking die Anrainerstaaten Vietnam, Philippinen, Malaysia, Brunei sowie Taiwan vor vollendete Tatsachen. Und es fordert die bisherige pazifische Hegemonialmacht USA heraus. Washington schickt immer wieder Militärschiffe durch die von China beanspruchte Zone im Südchinesischen Meer, um die Freiheit der Schifffahrt sicherzustellen.
Nimmt man die mögliche Bedrohung durch nordkoreanische Atomraketen hinzu, so zählt die Sicherheitslage in Ostasien zu den schwierigsten weltweit. Das ist auch ein Grund, warum viele Teilnehmer an der Münchner Sicherheitskonferenz aus Asien gekommen sind.
Militarisierte Region
Wer auf dem Flughafen von Naha auf Okinawa landet, dem wird die Militarisierung der Region vor Augen und Ohren geführt. Nach einem Passagierflugzeug der japanischen Fluggesellschaft JAL dröhnen zwei F15-Kampfjets der japanischen Luftselbstverteidigungskräfte über die Startbahn, anschließend folgt wieder ein Passagierflugzeug von ANA.
Auch die Überwachungsflugzeuge der japanischen maritimen Selbstverteidigungskräfte nutzen den Flughafen, der demnächst eine zweite Start- und Landebahn erhalten wird. Der Flughafen von Naha zeugt vom wirtschaftlichen Wachstum und der militärischen Bedeutung Okinawas. Von hier aus überwacht Japan Luft und See.
Seit 2012 haben auch die Konfrontationen auf dem Meer zwischen beiden Ländern stark zugenommen. Einmal musste die japanische Küstenwache Boote von Hongkonger Aktivisten auf ihrem Weg zu den Inseln stoppen. Auch in der Luft, wo beide Länder sich überschneidende Flugverbotszonen eingeführt haben, kommen sich die Militärflugzeuge näher.
Japan sieht China offiziell nicht als Bedrohung
Nach Angaben des japanischen Verteidigungsministeriums ist die Zahl der Lufteinsätze aufgrund von chinesischen Militärflugzeugen im japanischen Luftraum von 2012 bis 2016 stark gestiegen. Anschließend ist sie zurückgegangen, was auch die zuletzt etwas verbesserten politischen Beziehungen beider Länder widerspiegeln könnte.
Chinesische Militärschiffe nutzen auch immer öfter Wege durch die japanische Inselkette, um auf den offenen Pazifik zu gelangen. Im Dezember 2016 fuhr der chinesische Flugzeugträger „Liaoning“ erstmals zwischen Okinawa und der Miyako-Insel hindurch, im April 2018 wurden im japanischen Luftraum erstmals Flugzeuge gesichtet, die von der „Liaoning“ gestartet sein dürften.
Trotz der Aufrüstung und der Zunahme an militärischen Begegnungen betrachtet Japan den Nachbarn nach offizieller diplomatischer Lesart nicht als Bedrohung, stattdessen bereitet China „große nationale Sicherheitsbedenken“.
Japanische Aufrüstung
Japan hat auf den Aufstieg Chinas und die atomare Bewaffnung Nordkoreas mit einem neuen Richtlinienprogramm für die Nationale Verteidigung reagiert, das Ende 2018 veröffentlicht wurde. Dieses sieht unter anderem die Umrüstung von zwei Hubschrauber-Trägern der Izumo-Klasse in zwei Flugzeugträger vor. Auch die militärischen Fähigkeiten im Cyberraum, in der Raumfahrt und der elektronischen Kampfführung sollen ausgebaut werden.
„Der wichtigste Punkt aber ist der Wechsel der japanischen Sicherheitslage von reaktiv zu proaktiv“, analysiert Leo Lin von der Denkfabrik Yokosuka Council in der Zeitschrift „The Diplomat“. Offenbar als Reaktion auf die isolationistischen Tendenzen der USA will Japan die eigenen militärischen Fähigkeiten stärken und die Abhängigkeit von den USA verringern. Ohne sie in Frage zu stellen. Denn der japanischen Aufrüstung sind Grenzen gesetzt.
Artikel neun der Verfassung aus dem Jahr 1946 schreibt dem Land nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs strikten Pazifismus vor und verbietet kriegerische Aktivitäten und den Unterhalt von Streitkräften. Später ermöglichte ein Gerichtsurteil die Einrichtung von Selbstverteidigungskräften, um ein Mindestmaß an Verteidigung gegen direkte Angriffe zu gewährleisten.
Die rechtskonservative Regierung von Premierminister Shinzo Abe erweiterte 2014 die Interpretation der Verfassung um das Recht auf kollektive Selbstverteidigung. Seitdem darf Japan auch einem Verbündeten beistehen. Immer wieder schwebt der Regierung Abe eine Verfassungsänderung vor, die ein offizielles Aufstellen einer Armee erlauben würde – doch dafür benötigt sie eine Dreiviertelmehrheit im Unterhaus. Die ist nicht in Sicht.
Formationstanz auf See
Rund 2000 Kilometer trennen die Insel Ishigaki von Japans politischer Zentrale Tokio, sicherheitspolitisch aber liegt sie im Zentrum. Im Hafen berichtet der japanische Konteradmiral Hiroyasu Hanai, dass er am Vortag im Gewässer vor den Senkaku-Inseln wieder auf vier Schiffe der chinesischen Küstenwache gestoßen sei.
Gestenreich beschreibt er die Begegnung auf dem Meer, die fast schon ritualisiert ist. Die chinesischen Schiffe warnen die japanischen per Lautsprecherdurchsage und Leuchtschriftzeichen davor, in das Gewässer vorzudringen, und verkünden die territorialen Ansprüche Chinas. Die japanische Küstenwache macht dasselbe, nur pocht sie auf die eigenen Ansprüche. Es wirkt wie ein Formationstanz auf See, allerdings ein nicht ungefährlicher. Anschließend drehen die Schiffe ab. Noch.
Die Reise erfolgte auf Einladung des japanischen Außenministeriums.