Taiwans Repräsentant: "China kümmert sich nicht um Demokratie"
Die Sicherheitskonferenz beschäftigt sich am Samstag mit der Supermacht China. Taiwans Repräsentant in Deutschland erklärt die Bedrohung durch Peking.
Shieh Jhy-Wey (64) ist zurzeit zum zweiten Mal Repräsentant an der Taipeh Vertretung in Deutschland. Der promovierte Germanist lehrte bis 2016 an der Soochow-Universität in Taipeh und moderierte eine politische Talkshow auf Formosa TV.
Herr Shieh, am Samstag ist die Weltmacht China Schwerpunktthema auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Dessen Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte Anfang des Jahres gedroht, die Wiedervereinigung mit Taiwan notfalls mit Gewalt vollziehen zu wollen. Wie bedrohlich ist die Lage für Taiwan?
China ist ein unberechenbarer Staat, in dem die Regierung keinen Widerspruch duldet und der auch noch wirtschaftlich, militärisch, strategisch stark ist. Gegenüber einem solchen Staat kann es sich Taiwan nicht leisten, die Drohung auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir haben gute Gründe, uns ernsthaft Sorgen zu machen. Schauen wir uns an, was seit 1997 in Hongkong passiert. Schauen wir an, was nach 1959 mit Tibet passiert ist. Schauen wir uns an, welches tödliche Schicksal den Nobelpreisträger für Frieden getroffen hat…
…Sie sprechen von Liu Xiaobo, der 2017 in Gefangenschaft im Krankenhaus gestorben ist…
…das ist ein friedlicher Mensch, der auf das Wohl der Bevölkerung bedacht war. Er hat nicht einmal demonstriert. Er hat geschrieben, dass aus China eine sozialere Gesellschaft werden soll, indem es zum Beispiel eine richtige Verfassung zustande bringt. Das hat dem Regime gereicht, um ihn für 11 Jahre ins Gefängnis zu werfen. Der Friedensnobelpreis für ihn hat China überhaupt nicht beeindruckt. Er wurde vom Regime zu Tode gequält.
China bezeichnet Taiwan als abtrünnige Provinz, aufgrund der Ein-China-Politik erkennen nur noch 17 Länder Taiwan diplomatisch an. Hat die Bedrohung zugenommen?
Es gibt die Hardliner in China, die sagen: Nach einem Jahrhundert der Unterdrückung ist China endlich wieder aufgestanden; Hongkong ist zurück, Macau ist zurück, jetzt fehlt nur noch Taiwan. Das Gefährliche dabei ist: Die meisten Chinesen würden sie in diesem Punkt unterstützen. Dabei gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen China und Taiwan.
Welcher ist das?
Wir kennen den Unterschied zwischen Diktatur und Freiheit. Die Taiwaner haben in den vergangenen Jahrzehnten 38 Jahre lang Kriegsrecht erlebt, davor 50 Jahre lang japanische Fremdherrschaft. Die verhältnismäßig kurze Erfahrung mit Demokratie wiegt derart schwer für uns, dass wir sagen: Diese Freiheit, für die viele Menschen auf der Strecke geblieben sind, die geben wir auf keinen Fall wieder her. Auch nicht für eine Wiedervereinigung, bei der man von vornherein weiß, dass der Preis dafür die Freiheit wäre.
Die Freiheit wird durch den Verbündeten USA geschützt, der erst kürzlich mit einem Militärschiff in der Taiwanstraße Präsenz gezeigt hat. Wie gut fühlt sich Taiwan von US-Präsident Donald Trump unterstützt?
Trumps kritische Einstellung zu China findet man am besten in der Rede seines Vizepräsidenten Mike Pence. Das war eine Abrechnung. Unter Barack Obama hingegen hatten die USA einen Rückzug aus Asien begonnen. Schon damals fing China im Südchinesischen Meer an, aus einem unter Wasser liegenden Felsen eine Insel und dann einen Militärstützpunkt zu machen. Die alarmierten Anrainerstaaten haben davor gewarnt. Wenn man China den kleinen Finger gibt, wird es die ganze Hand nehmen. Wenn die USA jetzt nichts machen würden, werden die Anrainerstaaten vor der Wahl stehen, sich aufzugeben und anzunähern an China oder ständig unter Drohungen leben zu müssen.
Was hätte das für Folgen?
China ist eine aufsteigende Macht, für die ein ganz anderes Wertesystem herrscht. China kümmert sich nicht um Menschenrechte und Demokratie. Es hat in letzter Zeit unverhohlen gesagt, dass sich die westlichen Demokratien als ineffizient erwiesen hätten und die chinesische Demokratie die effizientere sei. Die Chinesen verkaufen jetzt ihre Wertvorstellungen, zum Beispiel in Afrika an Länder, die weniger entwickelt sind. Sie spalten auch noch die EU, indem sie einzelne Mitgliedsstaaten durch finanzielle Angebote manipulieren.
Was bedeutet das für Europa?
Das wird für eine lange Zeit, eine Herausforderung für USA und Europa sein. Die große Frage ist, ob man es sich leisten kann, mit China zu brechen. Deutschland zählt noch zu den Ländern, die mehr Wert auf Menschenrechte, Fairness im Geschäft und Transparenz beim Regieren legen, aber insgesamt hat man nicht selten Gründe zu fürchten, dass anstatt Tauwetter ein Kotauwetter die Szene beherrschen wird.
Wie ist es dazu gekommen?
China hat aus den Handelsbeziehungen ein Erpressungsgeschäft gemacht. Das bedeutet, es profitiert zweimal. Einmal beim Geschäfte machen und zum zweiten Mal durch politische Erpressung. Die Europäer, die sagen, wir können es uns nicht leisten mit China zu brechen, machen einen Kotau. Dabei werden ihre Gewinne immer kleiner, und das Risiko immer größer. Man würde sogar mehr bekommen, wenn man ein bisschen härter wäre und bei seinen Prinzipien bliebe. Wir kennen die Chinesen, wir gehören doch auch zur chinesischen Kultur, sie sehen darin nicht den guten Willen, sie sehen darin den Kotau. Allerdings ändert sich gerade etwas in Deutschland, weil es immer schwieriger wird, mit China Geschäfte zu machen. Auch die nationale Sicherheit spielt eine wichtigere Rolle.
Warum ist Taiwans Schicksal wichtig?
Taiwan hat eine symbolische Aussagekraft für 1,4 Milliarden Menschen in China. Für die Hongkonger, für die Tibeter, für die Uiguren. Für die Länder in Asien. Dass ein kleines Land, das insgesamt fast 100 Jahre Fremdherrschaft gehabt hat, mit Unterstützung von außen, aber oft auf eigene Faust eine ziemlich gut funktionierende Demokratie geworden ist. Wo die Menschen ein Wertesystem wie im Westen genießen dürfen. Wenn dieses untergeht, nur weil das Gegenteil, China, in dem keine Rede von demokratischen Freiheiten sein kann, ausgerechnet mit Gewalt dieses Land an sich anschließt. Das würde sich sicherlich sehr entmutigend auf die Länder der Welt auswirken, die sich sehr um Demokratisierung bemühen und bemüht haben. Es wäre eine nicht zu verkraftende moralische Niederlage für die Werte des Westens.
Benedikt Voigt