Bundesfamilienministerin: Führt Franziska Giffey die Berliner SPD aus der Krise?
In der Berliner SPD hat die Suche nach einer Alternative zum Regierenden Bürgermeister Michael Müller begonnen. Im Zentrum aller Überlegungen: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.
"Nicht jammern, machen." Das ist das Credo von Franziska Giffey, die als Neuköllner Bürgermeisterin in der Berliner SPD nur eine Nebenrolle spielte, jetzt aber Bundesfamilienministerin ist – und zur sozialdemokratischen Hoffnungsträgerin in der Hauptstadt werden könnte. Zwar wird das Abgeordnetenhaus erst im Herbst 2021 neu gewählt, doch bei den Genossen in der Hauptstadt wächst die Angst, die Macht im Roten Rathaus zu verlieren. Die einst so stolze Berlin-Partei SPD läuft sogar Gefahr, in der Opposition zu landen.
Nicht sparen, bis es quietscht, nicht abwarten, bis es brennt, sondern anpacken, machen. Da kann man auch etwas falsch machen - das stimmt. Aber irgendwas anzupacken, zu machen, Probleme anzugehen und zu verändern, würde dieser Stadt wirklich gut tun.
schreibt NutzerIn reporterchen
Also muss rechtzeitig jemand her, mit dem sich erfolgreich Kampagne machen lässt. Dem Regierenden Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller trauen die meisten Genossen dies kaum noch zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass er noch einmal Spitzenkandidat wird, schätzen auch jene Sozialdemokraten, die es gut mit ihm meinen, „fifty-fifty“ ein. Müller selbst wisse, berichten Vertraute, dass er nicht wieder antreten kann, wenn seine Partei in den Meinungsumfragen nicht mehr auf die Beine kommt. Mit 17 Prozent lässt sich nicht siegen.
Die SPD-Bundesspitze, so wird kolportiert, habe Müller für die nächste Berliner Wahl schon nicht mehr auf der Rechnung. Stattdessen schaue man auch im Willy-Brandt-Haus auf die neue Bundesministerin Giffey, weil sie am ehesten verhindern könne, dass die Berliner SPD in der Versenkung verschwindet. Natürlich wird der ausgesprochen linke und in der Bundespartei eher verrufene SPD-Landesverband selbst über sein künftiges Führungspersonal entscheiden. Aber die 40-jährige Frau aus dem Osten, promovierte Politologin, zupackend, charismatisch und nah bei den Leuten, findet bei den Genossen zwischen Pankow und Zehlendorf zunehmend Rückhalt.
Ideologieferne Parteirechte
Das war nicht immer so. Giffey gilt als ideologieferne Parteirechte, keine gute Voraussetzung, um in der Berliner SPD nach vorn zu kommen. Es waren die ostdeutschen SPD-Landesverbände, die Giffey zum Karrieresprung von der Kommunal- in die Bundespolitik verhalfen, indem sie beharrlich Druck auf die Parteispitze ausübten. Die Berliner Genossen hielten sich fein raus oder waren ahnungslos. Landeschef Müller soll sogar versucht haben, Giffey als Ostbeauftragte der Bundesregierung ins Spiel zu bringen, um sie als Ministerin zu verhindern.
Aber jetzt sitzt sie im Bundeskabinett. „Das ist eine große Aufgabe und eine große Chance“, sagte sie kürzlich in einem Interview. Ob sie gewillt wäre, die risikoreiche Spitzenkandidatur in Berlin zu übernehmen, ist nicht bekannt. „Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass die Stadt funktioniert“, fordert sie. Das ist noch kein Bewerbungsschreiben. Sollte Giffey tatsächlich die SPD in den Wahlkampf führen, trifft sie auf starke Konkurrenz. Klaus Lederer, unangefochtener Spitzenmann der Linken, will die Wahl gewinnen. Aber auch die CDU-Landeschefin Monika Grütters.
Giffey könnte, so hoffen Vertreter diverser Strömungen und Kreisverbände, enttäuschte Wähler wieder an die SPD binden, die dem glücklos amtierenden Regierungschef Müller nicht mehr vertrauen. Als personelle Alternative wird aber auch Berlins Innensenator Andreas Geisel genannt. Eine stattliche Erscheinung mit guten Manieren. Verlässlich und fleißig, ein moderater SPD-Rechter mit Ost-Biografie, der innerparteilich wohlgelitten ist. Für eine Erneuerung der Berliner SPD steht der 52-jährige Betriebswirt eher nicht. Dennoch gibt es das Gerücht, dass Müller seinem engen Vertrauten rechtzeitig vor der Wahl 2021 den Regierungsjob überlassen könnte, damit Geisel mit einem Amtsbonus in den Wahlkampf starten kann.
Auch Eva Högl wird nachgesagt, dass sie an einer Spitzenkandidatur interessiert sei. Der Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion ging es nach der Bundestagswahl im September 2017 nicht so gut. Sie stand früh auf der Liste des Parteivorstands für das neue Bundeskabinett, musste aber in letzter Minute der Überraschungskandidatin Giffey weichen. Der Frust wog schwer, aber eine einflussreiche Parteifreundin sagt: „Eva würde alles daran setzen, um für den Wahlkampf in Berlin in die enge Auswahl zu kommen.“
Was wird aus Raed Saleh?
Raed Saleh ist aus dem Rennen. Der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus ist zwar noch in der Lage, einflussreiche Minderheiten in der Partei hinter sich zu scharen. Aber der Traum vom SPD-Landesvorsitz und einer Spitzenkandidatur ist ausgeträumt. Das wisse er selbst, sagen Genossen, die ihn gut kennen. In der Fraktion, die in Freunde und Gegner Salehs in der Mitte gespalten ist, muss der umtriebige Netzwerker mit palästinensischen Wurzeln sogar ums politische Überleben kämpfen. Im März 2019 wird der Vorstand neu gewählt. Viele jüngere Abgeordnete fänden es charmant, eine Doppelspitze mit jeweils einem moderaten Vertreter beider Lager zu bilden, um mit dieser „integrativen Lösung“ die Regierungsfraktion zu versöhnen.
Doch gilt es als sicher, dass sich Saleh gegen eine Entmachtung mit allen Mitteln wehren wird. Also grübeln die einen und anderen Funktionäre darüber nach, ihm einen Weg zu ebnen, der ohne Gesichtsverlust gangbar ist. Einige meinen, Saleh könne im nächsten Jahr die glücklose Bildungssenatorin Sandra Scheeres beerben. Wobei es schwer vorstellbar ist, dass sich Müller seinen hartnäckigsten Widersacher freiwillig ins Kabinett holen wird. Eine plausiblere Lösung wäre ein Bundestagsmandat. Gleiches gilt auch für den Regierungschef Müller, dessen größte Horrorvision es ist, von den eigenen Leuten gestürzt zu werden. Er will, wenn es sein muss, erhobenen Hauptes neue Wege gehen.
Wobei es im SPD-Landesverband ein offenes Geheimnis ist, dass Müller den Posten des Berliner Parteichefs in absehbarer Zukunft aufgeben will. Mit lediglich 64 Prozent der Stimmen wurde er Anfang Juni auf einem Landesparteitag wiedergewählt. Ein guter Zeitpunkt für den Abgang wäre nach der Europawahl am 26. Mai 2019, dessen mögliches Ergebnis den Genossen jetzt schon den Schweiß auf die Stirn treibt. An dieser Stelle kommt der Juso-Bundeschef Kevin Kühnert ins Spiel. Ein hoch talentierter Nachwuchsmann, – wenn auch mit 29 Jahren ganz sicher kein Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl 2021.
Aber es sieht so aus, als wenn Kühnert 2021 über den Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg in den Bundestag einziehen wird. Das würde seine Position in der Berliner SPD nachhaltig stärken. Außerdem soll der No-Groko-Organisator, der in den deutschen Talkshows ein Dauergast ist, eine Schlüsselrolle für die programmatische und organisatorische Wiederbelebung der Berliner SPD übernehmen. Zuerst als neue Leitfigur des linken Parteiflügels. Die „Berliner Linke“ ist zersplittert, weitgehend sprach- und wirkungslos. Stattdessen sind die Jusos, in Berlin mit 5700 Mitgliedern, zur innerparteilichen Großmacht aufgestiegen.
Und Kühnert?
Da liegt es nahe, dass Kühnert, vielleicht auch die Juso-Landeschefin Annika Klose eine zentrale Rolle spielen, wenn sich die SPD-Linke ab diesem Herbst reorganisiert. Auch Klose gehört zu den Erneuerern, die den Kampf um die politische Hegemonie in Konkurrenz zu Linken und Grünen noch nicht aufgegeben haben. Auch der Bundes-Staatssekretär und Ex-Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, sollte als innerparteiliche Einflussgröße in der Landes-SPD noch nicht abgeschrieben werden.
Wenn Kühnert es schafft, den linken Flügel zu einen, hat er Chancen, schon im nächsten Jahr den SPD-Landesvorsitz zu übernehmen. Vielleicht sogar mit dem Segen Müllers. Der hat ihm den Job schon vor der Neuwahl des SPD-Landesvorstands im Juni überraschend angeboten. Doch Kühnert schlug aus, weil diese äußerst vertrauliche Offerte in der Partei nicht abgestimmt war. Er wollte sich nicht gegen andere, längst gesetzte Vorstandskandidaten der Parteilinken ausspielen lassen. Außerdem hätte er den Juso-Bundesvorsitz schon nach einem halben Jahr wieder aufgeben müssen.
Kühnert kommt zugute, dass er in Müllers Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg sozialisiert wurde. Das erleichtert den gegenseitigen Umgang, man geht respektvoll miteinander um. Ohnehin will Müller den Landesvorsitz, der ihm wie ein Klotz am Bein hängt, vorzeitig loswerden. Das Kurt-Schumacher-Haus in der Weddinger Müllerstraße ist unter Müllers Führung weder ein lebendiges Diskussionsforum noch eine kampagnenfähige Schaltzentrale. Im Vorstand werde, so die Kritik von Spitzengenossen, oft „nur herumgelabert“. Für Müller sei nur wichtig, dass ihm die SPD beim Regieren nicht in die Quere komme.
Sollte Giffey die nächste SPD-Spitzenkandidatin werden, hätte sie in einem SPD-Landeschef Kühnert einen kongenialen Unterstützer. Eine bürgernahe Macherin träfe auf einen Strategen, der eine linke, aber bodenständige Politik verfolgt. Vielleicht ein versöhnliches Angebot für die verunsicherte Hauptstadt- SPD, die ein verwegenes Ziel eint: 2021 die Macht im Roten Rathaus zu behaupten und Rot-Rot-Grün zu retten.