Streit ums Lageso in Berlin: Flüchtlingsheime: Diepgen verteidigt Politik-Einflussnahme
Streit um Flüchtlingsheime: Haben Parlamentarier private und politische Interessen miteinander vermischt? Grüne fordern Rücktritt von Mario Czaja
Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hat die Einflussnahme von Politikern auf die Standortwahl von möglichen Flüchtlingsheimen verteidigt. Dem Tagesspiegel schrieb Diepgen: "Zu den Aufgaben eines Parlamentariers gehört selbstverständlich auch die Frage, ob in seinem Wahlkreis sinnvoller Weise einzelne öffentliche Einrichtungen angesiedelt werden. Dazu gehört auch die Unterbringung von Flüchtlingen."
Diepgen, der sich in Flüchtlingsfragen engagiert und auch zum Berliner Beirat für Zusammenhalt der Flüchtlingspolitik gehört, sagt, dass auch er als Politiker "Hinweise zu notwendigen Abwägungen zu einzelnen Standorten gegeben" habe; dazu gehörten die "Einbeziehung der Nachbarschaft, Größen der Einrichtungen, etc."
Rückblickend sagt Diepgen: "Die Entwicklung der Flüchtlingszahlen hat dabei Entscheidungen, die vor einem Jahr noch möglich, richtig oder falsch waren, überrollt. Daher können Standortüberlegungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schule, Kita, Spielplätzen und Seniorenheim vor einigen Jahren überprüfenswert gewesen sein, weil andere Standorte durchaus denkbar und möglich waren."
Wie berichtet soll auch Eberhard Diepgen sich eingemischt haben, als das Lageso 2012/2013 ein Flüchtlingsheim in einem Hostel in Berlin-Wilmersdorf errichten wollte. Das geht aus Mails von Lageso-Mitarbeitern hervor, die am Wochenende die "B.Z." abgedruckt hat. Im Kern geht es um die Frage: Wie sehr werden private und politische Interessen miteinander vermischt?
Lageso-Mitarbeiter: "Diese Eigentümer sehen einen Werteverlust ihrer Immobilien"
In der Mail vom Januar 2013, aus der die "B.Z." zitiert und diese auch abdruckt, heißt es wortwörtlich: "Lieber Herr Allert, - genau bedeutete dies, dass Herr Evers (gemeint ist offenbar Stefan Evers ist stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender; die Redaktion) erläutert, u. a. welche CDU-Mitglieder im Umkreis des Jugendgästehauses Eigentum besitzen (Herr Diepgen und Herr Pflüger) sowie dass es sich um den Wahlkreis einer SPD-Abgeordneten handelt, die zur Bundestagswahl antritt." Und weiter heißt es: "Diese Eigentümer sehen einen Werteverlust ihrer Immobilien und werden - so die Aussagen von Herrn Evers - entsprechende politische Wege gehen, um dieses Vorhanden zu verhindern.". Am Montagmittag sagte Evers dem Tagesspiegel: "Ich habe nie mit dem Lageso gesprochen" (Mehr lesen Sie unter diesem Tagesspiegel-Link).
Diepgen: "Ich habe hier kein Eigentum"
Dem Eindruck aus der Mail, er wolle kein Flüchtlingsheim, weil sein Eigentum sonst an Wert verliere, widersprach Diepgen am Wochenende: "Ich wohne im Umfeld, habe aber kein Eigentum hier. Von meiner Seite aus gab es nie eine Intervention, das Heim zu verhindern."
Diepgen: "Der Bezirk würde heute jeden Strohhalm nutzen."
"Was letztlich am Nikolsburger Platz die Entscheidung des Bezirksamtes vor einigen Jahren bestimmt hat, entzieht sich meiner Kenntnis", erklärte Diepgen weiter. "Sicher ist aber wohl, dass heute die Unterbringungsschwierigkeiten das BA (Bezirksamt) zwingen würde, jeden Strohhalm zu nutzen und damit auch das ehemalige Jugendgästehaus. Aber auch das kann ich nicht genau beurteilen, da ich die finanziellen Forderungen des damaligen Betreiber nicht kenne."
Am Sonntag hatte sich auch Reinhard Naumann (SPD), Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, zum Hostel in Wilmersdorf zu Wort gemeldet. Es wäre „skandalös, wenn es diese Intervention gegeben haben sollte“. Das Hostel wurde tatsächlich nicht zum Flüchtlingsheim, aber diese Entscheidung, sagt Naumann sei im Bezirksamt parteiübergreifend gefallen. Der Betreiber des Hostels habe das Haus heruntergewirtschaftet und deshalb zu wenig Gäste gehabt.
„Der wollte dann einen schnellen Euro machen und Flüchtlinge bei sich unterbringen“, sagt Naumann. „Wir hatten aber einen Vertrag über eine Hostelnutzung mit ihm. Außerdem gab es zum damaligen Zeitpunkt genügend Alternativstandorte für ein Flüchtlingsheim.“ Allerdings sähe die Situation heute ganz anders aus. „Heute würden wir natürlich sofort der Umwandlung in eine Flüchtlingsunterkunft zustimmen.“
Dienstag soll Mario Czaja in die Senatssitzung
Der verantwortliche Sozialsenator Mario Czaja (CDU) gerät zunehmend unter Druck. Am Dienstag muss er sich offenbar in der Sitzung des Berliner Senats erklären, berichtet die "Berliner Morgenpost". Es ist keine Sondersitzung, sondern ein regulärer Termin.
Am Montag hat sich auch die frühere Berliner Spitzenkandidatin Renate Künast zu Wort gemeldet. Sie fordert Czajas Rücktritt. "Wir sind im Katastrophenmodus", sagte die Grünen-Politikerin "Spiegel Online". Sie warne deshalb vor unüberlegten Entscheidungen, die für neue Unruhe sorgen könnten.
Renate Künast: Mario Czaja muss weg
"Auf der anderen Seite hat die Berliner Landesregierung nach so langer Zeit noch immer keine sinnvolle Struktur auf die Beine gestellt. Es gibt mancherorts zu wenige Toiletten, Flüchtlinge werden mit Bussen zum Duschen gefahren, ganz zu schweigen vom Chaos vor dem Lageso", sagte die Bundestagsabgeordnete weiter. "Kluges und effizientes Krisenmanagement: das kann Mario Czaja nicht. Deshalb ist es richtig zu sagen: Der Mann muss weg." Am Wochenende hatte bereits Ramona Pop, designierte Spitzenkandidatin der Berliner Grünen ebenfalls den Rücktritt Czajas gefordert.
Grüne vergleichen Lageso mit BER
Am Montag legten die Grünen noch einmal nach: "Der Sozialsenator hatte monatelang Zeit, um die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Berlin zu organisieren. Zum Jahresende stellen wir fest: Er ist an seiner Aufgabe gescheitert. Das Chaos am Lageso hält an, die Unterbringung und medizinische Versorgung ist in vielen Notunterkünften katastrophal, tausende Neuankömmlinge sind nach wie vor nicht registriert. Nach dem BER-Desaster ist Berlin mit dem Lageso bundesweit erneut zum Symbol für Politik- und Verwaltungsversagen geworden." Die aktuellen Vorwürfe wegen parteipolitischer Klientelpolitik bei der Suche nach geeigneten Flüchtlingsunterkünften seien dabei "nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt". Schlusswort: "Wir brauchen dringend einen Neustart in der Flüchtlingsunterbringung. " Die Forderungen wurden unterzeichnet von Bettina Jarasch und Daniel Wesener, (Landesvorsitzende) und Ramona Pop und Antje Kapek (Fraktionsvorsitzende).
Im Tagesspiegel hatte Sozialsenator Mario Czaja das Vorgehen der Politik verteidigt. "Mit Parteiklüngel hatte das alles nichts zu tun." Das Interview lesen Sie unter diesem Tagesspiegel-Link.