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Flüchtlinge in Berlin haben in Notunterkünften so gut wie keine Privatsphäre.
© Foto: Rainer Jensen/dpa

Erneut Proteste von Anwohnern: Flüchtlinge ziehen nach Alt-Glienicke

Flüchtlinge müssen von Turnhallen in eine Notunterkunft in Alt-Glienicke – dort ist die Stimmung ohnehin schon aufgeheizt.

Wieder einmal waren 250 bis 300 Leute gekommen, ein Ritual, jeden zweiten Montag versammeln sich Menschen in der Venusstraße Alt-Glienicke, um dagegen zu protestieren, dass aus ihrer Sicht zu viele Flüchtlinge in ihrem Ortsteil untergebracht werden. Aus ihren Lautsprechern dröhnen deutliche Kommentare. Ein paar Meter entfernt ist der Quittenweg, Standort eines Tempohomes, einer Art Containerdorf für Flüchtlinge.

Seit Monaten versammeln sich die protestierenden Bürger, am vergangenen Montag aber war etwas anders als sonst: Die ersten Flüchtlinge zogen ins Tempohome, 40 zunächst. Insgesamt 367 werden in Kürze im Quittenweg wohnen. Sie kommen aus drei Turnhallen in Köpenick und Treptow. Die werden derzeit geräumt. Für Schulen und Vereine wird damit ein Problem gelöst. Der Protest der Bürger, zu dem mindestens zeitweilig auch Rechtsextreme mobilisiert hatten, ist damit aber nicht beendet.

Von einer Notunterkunft zur nächsten

Denn in Alt-Glienicke, wo die Stimmung ohnehin schon aufgeheizt ist, prallen nun zwei brisante Punkte heftig aufeinander. Auf der einen Seite wütende Menschen, die keine Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft wollen, auf der anderen Seite frustrierte oder erschöpfte Geflohene, die endlich eine gewisse Ruhe wollen, die nun aber von der einen Notunterkunft in die nächste umquartiert werden.

Die CDU-Abgeordnete Katrin Vogel, Kreisvorsitzende von Treptow-Köpenick, stand am vergangenen Montag auch in der Venusstraße. Sie platziert sich öfter unter den Demonstranten, sie betrachtet es als ihre Pflicht, deren Sorgen aufzunehmen. „Die Grundforderung lautet, dass nicht noch mehr Flüchtlinge in dieses Gebiet kommen“, sagt sie. „Noch mehr“ soll wohl bedeuten, die Unterbringung von 367 Menschen im Quittenweg sei offenbar gerade noch vermittelbar. „Das Tempohome hätte vielleicht noch Akzeptanz gefunden“, sagt Katrin Vogel. „Aber es sind ja innerhalb eines Quadratkilometers vier Flüchtlingsprojekte geplant, mit insgesamt rund 1300 Menschen. Und alle vier sollen 2016 bezogen werden.“

In der Nachbarschaft liegt ein Brennpunkt-Viertel

Teil des Problems ist, dass innerhalb dieses Quadratkilometers auch das Kosmos-Viertel liegt. Ein Areal, in dem der „Refugees welcome“-Gedanke eher wenig ausgeprägt ist. „Das Kosmos-Viertel ist ein sozialer Brennpunkt“, sagt Katrin Vogel. Seit April wird hier mit einem Quartiersmanagement versucht, die Alltagsprobleme in den Griff zu bekommen.

Stark belastend wird die Lebenssituation für die Menschen im Tempohome sein. Wer mit drei Mitbewohnern in einem 15 Quadratmeter großen Raum leben muss, in den außer zwei Doppelbetten, Schrank und Tisch nichts mehr passt, der entwickelt leicht Aggressionen. Das Tempohome ist eigentlich langfristig als Gemeinschaftsunterkunft konzipiert. Weil aber 367 Menschen aus den Turnhallen untergebracht werden müssen, gilt die Einrichtung erst mal als Notunterkunft. Und damit gelten andere Regeln: vier Betten pro Raum zum Beispiel.

Die Enge ist Problem eins. Problem zwei, theoretisch zumindest: Die Bewohner von zwei Zimmern, also acht Personen, müssen sich eine Dusche und eine Toilette teilen. Alleinreisende Frauen und Männer müssten diese sanitären Anlagen dann gemeinsam nützen.

In der Praxis soll dieses Problem allerdings nicht entstehen. Regina Kneiding, die Sprecherin der Senats-Gesundheitsverwaltung, sagt: „Bei der Belegung wird in Abstimmung mit dem Betreiber darauf geachtet, dass möglichst Familien in den Wohneinheiten untergebracht werden.“ Durch die Heimleitung werde darauf geachtet, dass nur Familien sich eine Toilette teilen müssten. „Sollte das im Einzelfall problematisch werden, wird eine Verlegung mit Hilfe des Koordinationsstabs angestrebt.“ Ob diese Verlegung auch tatsächlich stattfinden wird, ist offen.

Heimleiter kritisiert die Belegung mit vier Personen

Für den Leiter eines Flüchtlingsheims, der das Tempohome im Quittenweg kennt, ist die Gesamtsituation „eine kleine Katastrophe“. Denn „die Flüchtlinge, die jetzt kommen, waren acht bis zwölf Monate lang in einer Turnhalle. Da hatten sie gar keine Privatsphäre. Jetzt haben sie zwar eigene Räume, aber vier Personen auf 15 Quadratmetern ist ein Riesenproblem.“ Einen „Käfig“ nennt er so einen Raum. Das Wort „von der Integration wird durch so eine Wohnsituation ja ad absurdum geführt. Wir wollen doch, dass diese Menschen in der Gesellschaft ankommen. Wie soll das funktionieren?“ Die Senatsverwaltung setzt auf die Zukunft. „Ziel ist es“, sagt Regina Kneiding, „dieses Tempohome später mit weniger Menschen zu belegen.“

Zu den Anwohnerprotesten mobilisierten im Sommer auch NPD-Sympathisanten. Da gleichzeitig die CDU-Abgeordnete Vogel demonstrierte, gab es scharfe Kritik an ihr. Am Montag aber, sagt sie, sei von NPD-Sympathisanten nichts zu sehen gewesen. „Man hätte allerdings auch verhindert, dass die etwas sagen. Ich will die nicht, wir wollen die nicht.“

Allerdings sagt Carsten Schatz, Vorsitzender der Linken in Treptow-Köpenick und Mitglied des Abgeordnetenhauses: „Ein Nachbar, der am Quittenweg wohnt, erzählte mir, dass mehrere Demonstranten am Montag Klamotten mit Thor-Steinar-Logo trugen.“ Thor Steinar ist eine bei Rechtsextremen beliebte Marke. Rechtsgerichtete hätten, zitiert Schatz den Anwohner, zwar nicht lautstark das Wort ergriffen, aber sie hätten die Stimmung mitbestimmt. Wie aufgeheizt die Stimmung in Alt-Glienicke vereinzelt ist, hat die SPD-Abgeordnete Ellen Haußdörfer an einem drastischen Beispiel erlebt. Alt-Glienicke gehört zu ihrem Wahlkreis. Am 25. Mai brannte ein Bauzaun am Tempohome. Kurz darauf erhielt die junge Mutter Haußdörfer mit der Post ein Paket Windeln für ihren zweijährigen Sohn. Mitgeliefert wurde eine erschreckende Botschaft. „Windeln brennen genauso wie Bauzäune.“

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