Nach Schließung der Aufnahmestelle in Berlin: Flüchtlinge sollen zu Freunden und Verwandten
Die Lageso-Zentrale ist zu, aber viele Fragen sind offen: Asylbewerber sollen erst mal bei Freunden bleiben - bis mindestens nächsten Montag.
Der Mann hat eine Plastiktüte in der Hand. Er sieht ratlos aus. Es ist Donnerstagvormittag, der Mann ist ungefähr 40 Jahre alt, er will Asyl, er will Unterstützung, Unterkunft, Essen; er steht an der Adresse, wo er diese Hilfe erwartet: die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Moabit, Turmstraße 21. Hier ist auch das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) untergebracht, hier ist das erste Ziel in Berlin für neue Asylbewerber. Doch der Mann stößt auf eine Mauer aus Uniformen, strengen Mienen und abwehrenden Gesten. Zwei Wachleute, ganz schwarz gekleidet, stehen vor dem Eingang, sie reden nicht viel, ihr bevorzugtes Kommunikationsmittel ist die Kopfbewegung. „Hier ist geschlossen“, heißt das, „gehen Sie bitte weiter“. Aber wohin? Das sagen die Security-Leute nicht. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass sie irgendwelche Ratschläge erteilen. Sie stehen da, ihre Pflicht ist damit erfüllt.
Seit Mittwoch ist die Aufnahmestelle geschlossen, der Andrang war zu groß, bis Montag wird kein einziger neuer Antrag bearbeitet. Und jetzt stellen sich Fragen: Wo gehen die abgewiesenen Menschen hin? Wie erhalten sie eine Unterkunft? Wie erhalten sie Essen?
Die Flüchtlinge bekommen keine Verpflegung
Die Flüchtlinge sollten bis auf weiteres zu Freunden und Verwandten gehen, sagt Silvia Kostner, Sprecherin des Lageso. Das funktioniere in der Regel sehr gut, fast jeder Flüchtling habe Bekannte in Berlin, und dass Behördengänge manchmal etwas Zeit brauchen, sei für Menschen mit Fluchterfahrung auch nicht ungewöhnlich. Die Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes sprächen mehrere Fremdsprachen wie Arabisch, Englisch oder Französisch, um die Flüchtlinge zu informieren.
Ob sie aber auch instruiert sind, Flüchtlinge, die niemanden in Berlin kennen, etwa an Obdachlosenheime weiterzuleiten, weiß sie nicht. Die Schließung sei zu kurzfristig erfolgt, um beispielsweise Flugblätter mit Informationen vorzubereiten. Der Berliner Flüchtlingsrat sprach daher von einem Rechtsbruch des Senats, da das Land Berlin gesetzlich verpflichtet sei, asylsuchenden Menschen eine Unterkunft zuzuweisen.
Die Aufnahmestelle sei geschlossen, sagte Kostner – daher gebe es für die Flüchtlinge auch keine Verpflegung oder medizinische Versorgung. „Unsere Leute arbeiten die Stapel ab, die sich in den vergangenen Wochen angesammelt haben.“ Das bedeute, die Unterlagen der bereits angekommenen Flüchtlinge ans Bundesamt für Migration weiterzuleiten, Unterkünfte zu organisieren und beispielsweise neue Kooperationen mit Hostels einzuleiten. Die anderen Bundesländer seien über diesen Schritt informiert worden –„aber natürlich fragen wir nicht um Erlaubnis, ob wir schließen dürfen“.
Canan Bayram: "Das absolute Chaos"
Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram, die sich intensiv um Flüchtlinge und Migranten kümmert, konstatiert dagegen „das absolute Chaos“. Es gebe keine Stelle, über die Abgewiesene genauer informiert würden. Und wenn die Flüchtlinge keine Bekannten oder Freunde in der Stadt hätten, bei denen sie unterkommen, „müssen sie auf der Straße schlafen“. Dabei sei Berlin verpflichtet, diesen Menschen „Unterkunft und Essen zu geben. Wir leben hier ja nicht im Ausnahmezustand.“ Zumindest eine Not-Annahmestelle müsse eingerichtet werden.
Für sie ist es sogar fraglich, ob die anderen Bundesländer aufgefordert wurden, erstmal keine Flüchtlinge nach Berlin weiterzuleiten. Nach dem so genannten „Königsteiner Schlüssel“, der Flüchtlinge, nach Nationalitäten unterteilt, verschiedenen Bundesländern zuweist, muss Berlin zum Beispiel afghanische Asylbewerber aufnehmen.
Polizei verlegt Mahnwache in der Gürtelstraße
Völlig hilflos stehen abgewiesene Flüchtlinge allerdings nicht da. Obdachloseneinrichtungen nehmen jeden auf, zudem gibt es Suppenküchen oder andere Anlaufstellen, bei denen Mittellose Essen erhalten. Die Frage ist allerdings, wie die Flüchtlinge, die ansonsten keine Unterkunft haben, über diese Adressen informiert werden. Zudem „gehen viele einfach nicht in Obdachlosenheime, weil dort möglicherweise Familien getrennt werden“, sagt Bayram. Überhaupt müsse erst mal gesichert sein, dass diese Heime überhaupt Platz haben.
Währenddessen hat die Polizei die Mahnwache am Hostel in der Friedrichshainer Gürtelstraße um etwa 100 Meter verlegt, so dass die Unterstützer nun keinen Sichtkontakt mehr zu den Flüchtlingen haben, die sich seit zehn Tagen weigern, das Hostel zu verlassen und teilweise mit Suizid gedroht haben. „Durch das Verhalten der Teilnehmer an der Mahnwache hat sich die Gefährdungslage auf dem Dach erhöht“, sagte ein Polizeisprecher. So hätten die Unterstützer den Flüchtlingen immer wieder zugerufen, sie sollten durchhalten. Um zu antworten, hätten die Flüchtlinge stets an eine gefährliche Stelle auf dem Dach klettern müssen. Zu dem Zeitpunkt waren nach Polizeiangaben etwa 180 Polizeibeamte im Einsatz, um das Lager der rund 40 Unterstützer zu verlegen.