zum Hauptinhalt
Eine Runde Tischtennis? Dafür bleibt schon lange keine Zeit mehr. Senator Mario Czaja und Lageso-Chef Franz Allert beim Besuch in einem Berliner Flüchtlingsheim. Die Belastung für alle Beteiligten nimmt extreem zu.
© Doris Spiekermann-Klaas

Ratlos im Chaos: Der Streit um die Flüchtlinge: „Hier kommt kein Papier an, sondern Menschen“

In Friedrichshain verzweifeln die Flüchtlinge im Hostel an der Gürtelstraße, in Moabit die Mitarbeiter der zentralen Erstaufnahme für Asylbewerber. Szenen eines verworrenen Tages.

Sechs Uhr morgens in der Gürtelstraße in Friedrichshain. Die Polizei hat den Straßenabschnitt vor dem Hostel komplett gesperrt. Informationen gibt es kaum. Wie viele Flüchtlinge müssen heute das Hostel verlassen? Weiß niemand so genau. „Zwölf“, sagt ein Unterstützer bestimmt. „Zwei“, sagt die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram, nachdem sie mit dem Besitzer des Hostels gesprochen hat. Der Einsatzleiter der Polizei weiß nur von „einer Person“, die bis acht Uhr die Unterkunft verlassen soll. Und die Flüchtlinge, die einer nach dem anderen aus dem Hostel stolpern – wissen von gar nichts.

Nur neun Flüchtlinge sollen in der Nacht auf Mittwoch überhaupt in der Unterkunft geschlafen haben. Auf der Straße sollen hingegen etwa 30 Personen übernachtet haben – Unterstützer, auch Flüchtlinge. Kerzen stehen da, Marmelade, Ketchup. Jemand hat Streuselkuchen gebacken. Eine Anwohnerin versucht, den Flüchtlingen Brot und Wasser zu bringen, aber die Polizei verweigert ihr den Zutritt. Die Frau diskutiert mit den Polizisten, kontaktiert ihren Anwalt, um den Beamten anzuzeigen. Dass die Flüchtlinge nicht mit Essen versorgt werden dürfen, hatte das Verwaltungsgericht vergangene Woche bestätigt.

Zeitgleich in Moabit: Die Behörde ist überlastet

Dann taucht ein Mann von der Gewerkschaft der Polizei auf und verteilt Müsliriegel an die Beamten. Zeitgleich in Moabit: Dort sitzt in der Turmstraße das Lageso, das für Berlins Flüchtlinge zuständig ist. „Turm A“ ist ein grauer Klotz, bestimmt 30 Meter hoch, normalerweise erste Anlaufstelle für Asylbewerber in Berlin. Heute dürfen nur Journalisten hinein – die Zentrale Erstaufnahme ist ab sofort geschlossen. Senator Mario Czaja (CDU) erklärt, warum. Die Behörde ist überlastet, kann den Ansturm nicht mehr bewältigen. Czaja trägt Zahlen vor: 1047 Asylanträge im Juli, 1145 im August. 6039 Mehraufnahmen im ganzen Jahr 2013, bis Ende August 2014 schon 6141. An den ersten beiden Septembertagen gab es schon 1000 Vorsprachen, davon mehr als 200 Erstaufnahmen.

Jetzt haben Czaja und Lageso-Chef Franz Allert die Reißleine gezogen und die Stelle bis Montag geschlossen: „Die Mitarbeiter kommen an ihre Grenzen, die Anträge abzuarbeiten.“ Hinzu kommt ein hoher Krankenstand. Ob mehr Personal helfen würde? Czaja kramt in seinen Unterlagen, blickt eine Mitarbeiterin fragend an, sagt schließlich: „Wir haben 100 Mitarbeiter, die für die Flüchtlinge zuständig sind, allein 2014 haben wir 19 neue Stellen geschaffen. Aber selbst wenn alle Mitarbeiter des Lageso sich nur noch mit diesem Thema beschäftigen, wäre es nicht möglich, die Flüchtlinge weiterzuleiten.“

Es wird geprüft, Flüchtlinge in leere Gewerbehallen unterzubringen

Zur Bekräftigung weist er auf die bunten Zeichnungen an der Wand, denn sie zeigen die Lösung: Container. Sechs bis acht solcher mobiler Wohneinheiten will er bauen lassen, wegen der Qualität habe er „wenig Bedenken“. Außerdem werde geprüft, die Flüchtlinge in leerstehenden Gewerbehallen unterzubringen. Immer wieder blickt Czaja die Journalisten eindringlich an. Die Leute sollen verstehen, dass er für diesen Schritt keine Alternative sieht. „Hier kommt kein Papier an, sondern Menschen“, ist ein Satz, mit dem er seine Situation deutlich macht.

Die Aussage der Migrationsbeauftragten Monika Lüke, die Flüchtlinge sollten alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen (siehe Interview), will er nicht kommentieren. Vor dem Sozialgericht sind die meisten der Oranienplatz-Flüchtlinge unterdessen gescheitert, ihre Eilverfahren waren fast durchgehend erfolglos. Das teilte das Gericht mit. Eine Woche nachdem 21 Flüchtlinge vom Oranienplatz Eilrechtsschutz beantragt hatten, waren bereits 12 Fälle erledigt. Die übrigen neun Verfahren sind fast abgeschlossen. Gründe für die Ablehnung waren vor allem fehlende und unvollständige Angaben der Flüchtlinge – oder mangelnde Bedürftigkeit. Denn vor dem Sozialgericht geht es nicht ums Bleiberecht, sondern um Geld.

Zur Startseite