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Prächtige Kulisse. In der Sehitlik-Moschee in Berlin verurteilte der Imam die Gewalttaten von Paris.
© dpa

Wie Berliner Muslime auf den Terror reagieren: Flammendes Plädoyer und Schweigen

Nicht in jeder Moschee in Berlin werden die Morde von Paris gleich bewertet. Während bei vielen Freitagsgebeten Gewalt verurteilt wird, redet man in Neukölln lieber nicht darüber.

Unter der wuchtigen Kuppel der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm hängt ein mächtiger Kronleuchter. Er taucht nicht bloß zwei kugelförmige Lampen, die auf goldenen Podesten stehen, ins Licht, sondern auch eine kunstvoll verzierte Treppe, die zu einem kleinen Podest führt. Hier predigt der Imam, hier stand er auch gestern über den Gläubigen im Gebetsraum. Doch gestern endete das rituelle Gebet mit einem flammenden Plädoyer gegen Gewalt.

Die wortgewaltige Antwort der Türkisch-Islamischen Union auf das Attentat auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und die Geiselnahmen in Paris, die wütende Stellungnahme zu den Toten. In 900 Moscheen in Deutschland wurde am Freitag wortgleich diese Botschaft verkündet, in Berlin in der zentralen Moschee der Türkisch-Islamischen Union. „Diesen grausamen Angriff verurteilt die Türkisch-Islamische Union auf das Schärfste“, verkündete der Imam. „Diesen Terroranschlag bewerten wir als Angriff auf die Menschheit. Dies ist niederträchtig und absolut inakzeptabel.“

Die Galerie der Moschee ist voll mit Journalisten und Kameraleuten, es ist grundsätzlich eine Botschaft für Millionen. Die fasst Ender Cetin, der Vorsitzend des Sehitlik-Moschee-Vereins, so zusammen: „Wir sind gegen Gewalt. Wir wollen bloß, dass man akzeptiert, dass wir unsere Religion ausüben, so wie es Gläubige anderer Religionen auch tun.“ Im Speziellen ist es aber, jedenfalls für Cetin, auch ein Signal an „muslimische Jugendliche, die radikaler denken“. Die sollen raushören, „dass man als Muslim auch aus theologischer Sicht ganz normal in dieser Gesellschaft, in dieser Demokratie leben kann.“ Sein ganzer Verein, das betont er, setze dieses Signal.

Ein Zeichen will auch Heiko Maas setzen, der Bundesjustizminister. Er „hat sich heute Vormittag angekündigt“, erzählte Cetin. Maas taucht vor dem Freitagsgebet auf, betont die Vielfalt der Gesellschaft und betrachtet sein Erscheinen auch als Zeichen gegen Vorurteile.

Ganz anders die Szenerie in der Al-Nur Moschee in Neukölln. Hier wird in der Freitagspredigt über den Anschlag und die folgenden Attentate geschwiegen. Weder der Imam, Nasser El-Issa, noch der Moschee-Vorsitzende Izzeldin Hammad möchten sich auf Nachfragen zu dem Thema äußern. Nur ein junger Besucher namens Khaled sagt: „Als Muslim bin ich sehr wütend über Karikaturen des Propheten.“ Aber ein richtiger Muslim überlasse die haqq (das letztendliche Urteil) Allah. Mord sei im Islam eine Sünde.

Nur wenige Kilometer entfernt liegt ein anderer Gebetsraum mit einer anderen Stimmung. In kleinen runden Löchern an der Wand sieht man verschmorte Kabel, die Decke ist gesprenkelt mit schwarzen Punkten und Mustern, die Fenster sind mit Plastikplanen abgedeckt. Reste einer emotionalen Wunde, die bei den Menschen in der Mevlana-Moschee in Kreuzberg geschlagen wurde. Vor Monaten hatten hier Flammen gewütet, Brandstiftung, der Täter wurde gefasst. Der eigentliche Gebetsraum wurde fast zerstört, die Gläubigen beten in einem Provisorium über dem Aufenthaltsraum.

In diesem Raum sitzen Hasan Aydin und Turan Kavi an einem der Tische, ihre Hände liegen vor kleinen Teetassen. Aydin ist Vorsitzender der Moschee, ein Mann mit wachen Augen und weicher Stimme, Kavi Mitglied der Moschee.

Sie reden über Paris, den Anschlag, die Stimmung unter den Gläubigen, hier in der Skalitzer Straße. „Gewalt kann man nie gutheißen. Das ist der zentrale Punkt für uns“, sagt Aydin. Kavi nickt, er war schockiert über das Blutbad von Paris. Und fast gleichzeitig verkünden beide: „Der Prophet sagt: Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Menschheit.“

Hier setzen sie, zumindest wenn man Aydin und Kavi zuhört, auf das Gespräch. Gut, Mohammed-Karikaturen mögen beide nicht. „Keinen Gott, egal welcher Religion, sollte man so darstellen.“ Aber bitte keine Gewalt als Antwort.

Wobei Gewalt gerade für die Menschen hier eine besondere Bedeutung hat. Der Brand in der Moschee „hat Wunden gerissen“, sagt Aydin. Und wie gehen sie jetzt damit um, mit den Erinnerungen daran, mit Phantasien über einen weiteren Brand, mit dem Gedanken an Rechtsradikale, die vielleicht Feuer legen? Aydin sagt leise, aber zugleich eindringlich: „Wir haben Besorgnis, das schon, aber keine Angst.“ Er lebt seit 40 Jahren hier, Kavi seit 35. „Hier ist unsere Heimat“, sagt Aydin, „wir werden nicht weggehen, da kann es tausendmal brennen.“ Er habe aber noch nie von jemandem gehört, der aus Angst nicht mehr komme.

Und Pegida? Diese Protestbewegung von Menschen, die gegen die angebliche Islamisierung protestieren? Hasan Aydin, der gerade noch die verschmorten Kabel und die Brandflecken gezeigt hat, sagt: „Man muss überlegen, weshalb Tausende demonstrieren, obwohl es kalt und dunkel ist.“ Man müsse sich schon ihre Argumente anhören, heißt das.

Ihren Ängsten will er seine Argumente entgegensetzen. Dass Flüchtlinge keine Gewalt auslösen, dass viele später arbeiten werden, dass sie also die Rente von jenen verdienen, die gegen sie demonstrieren. Viele aus der Moschee haben am Brandenburger Tor gegen Pegida demonstriert, Aydin und Kavi allerdings nicht. Keine Zeit.

Andere blieben aus einem banalen Grund weg. An den Nebentischen sitzen betagte Gläubige. Was denken die über Pegida? „Nichts“, sagt Aydin lächelnd. „Die haben davon nie gehört.“ Wirklich? Aydin lächelt wieder, dann fragt er einen 82-Jährigen, dessen Wangen von einem weißen Bart umrandet werden. „Was hältst du von Pegida?“ Der Alte blickt verständnislos. „Kenne ich nicht.“

Mitarbeit: Pascale Müller

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