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Der Mehringplatz wird zurzeit umgebaut.
© Kitty Kleist-Heinrich

Mehringplatz in Berlin-Kreuzberg: Fifty Shades of Kiez: Quartiersmanagement in der Kritik

Das Quartiersmanagement am Mehringplatz kostet viel Geld. Aber bringt es auch was? Der zuständige Verein plant umstrittene Kunstprojekte – und sein früherer Chef organisierte Erotikpartys.

Weit oben auf der Liste von Berlins schwierigsten Brennpunkten steht der Mehringplatz. Seit zehn Jahren ist das so. Dabei ist Kreuzberg Kult und der Bezirk ließ sich zuletzt knapp 200 000 Euro im Jahr ein Quartiersmanagement kosten, das den Mehringplatz nach vorne bringen soll. Das Geld kassiert der Verein „Kunstwelt“. Seit zehn Jahren ist der zuständig. Doch der Verein zieht Ärger engagierter Anwohner auf sich. Weil ein langjähriger Vorstand „Sklavenauktionen“ in Sexclubs organisierte. Und weil in umstrittene Kunst- und Kiezprojekte Geld fließt, das sie besser im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit investiert sehen.

Das jedenfalls erklären zwei Anwohner des Mehringplatzes, die das Quartiersmanagement, kurz QM, heftig kritisieren. Französischdozentin Margit Boé und Informatiker Conrad Beckert kennen das Quartier aus nächster Nähe, sie leben hier, geben die Kiezzeitung „Victoria-Gazette“ heraus und waren selbst mal als gewählte Quartiersräte ganz nahe am QM dran. Ihr Eindruck: Finanzierte Projekte erreichen die Bewohner des Kiezes nicht.

Diese wissen oft nicht mal von den Aktivitäten. Ein Fehler, der aus Sicht der früheren Quartiersräte im System liegt: Die Mitsprache sei auf ein paar gewählte Bewohner begrenzt, der Quartiersrat tage nicht öffentlich und bei der Vergabe von Fördergeldern für neue Projekte dürften alte bereits mit Geld bedachte Initiativen mit abstimmen. „Intransparent“ nennen die Kritiker das – und eine Kontrolle der Projekte gebe es schon gar nicht. Der Tagesspiegel ist den vielfältigen Vorwürfen nachgegangen.

Versteigerungen von Sklaven

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der Bezirk weisen die Kritik jedenfalls zurück: „Gerade im QM-Verfahren Mehringplatz findet eine ständige und außergewöhnlich intensive Überprüfung statt“, teilt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit. Dem Bezirk zufolge wird „die Arbeit des QM durch die Steuerungsrunde Integrierte Handlungs- und und Entwicklungs-Konzept“ und die „intensive Kontrolle der Arbeitspläne ständig begleitet und außergewöhnlich intensiv überprüft“. Gibt es aber einen messbaren Erfolg durch unabhängige Gutachter? „Für die seit 2005 bestehenden QM-Gebiete steht diese Überprüfung noch aus“, so die Senatsverwaltung, also auch für den Mehringplatz.

So ganz die Augen verschließen konnten die Verantwortlichen aber wohl nicht vor den vielfältigen, teils streitbaren Aktiväten vom Chef des Kunstwelt-Vereins V. Der führte unter dem Namen „Stolz und Demut“ Veranstaltungen mit striktem „Dresscode LLL“ (Leder, Latex, Lycra) durch, bei denen auch Sklavinnen und Sklaven versteigert werden und das „zarteste, hingebungsvollste Fleisch“ je nach Einsatz „bis hin zur deutlichen Benutzung“ zur Verfügung steht.

"Fifty Shades of Grey" Themenabende

„Diffamierung“ nennt V. diese Vorwürfe in einer vom Kunstwelt über das Quartiersmanagement verteilten Mail: Er habe „als selbständiger Künstler“ Veranstaltungen „im Themenfeld des Romans ’Fifty Shades of Grey’ choreografiert“ und dies auch „in bekannten erotischen Diskotheken“. Er stehe „absolut für eine aufgeklärte, gleichberechtigte, selbstbestimmte und emanzipierte Gesellschaft“.

V. trat dennoch als Vorstand der Kunstwelt zurück, „um Schaden vom Kunstwelt Verein abzuwenden“, dies sei aber „kein Schuldanerkenntnis“. Auch sei er „nie mit konkreten Aufgaben des Quartiersmagement betraut“ gewesen.

Ein Rückzug auf Druck? Laut Stadtrat Hans Panhoff, im Bezirk für das QM zuständig, „bedurfte es dieses Schrittes“, weil „angesichts der Stimmung, die von interessierten Kreisen geschürt wird, eine sachliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und der unterstellten Vermengung von Interessen nicht zu führen ist“. Weiter im Amt ist V.s langjährige Weggefährtin im Verein Kristijana Penava. Anfragen zum Quartiersmanagement beantwortete sie nicht.

Bezirk soll 300 000 Euro zahlen

Wie berichtet, war V. auch beschuldigt worden, eine landeseigene Sozialwohnung im Kiez illegal als Ferienwohnung vermietet zu haben. Die landeseigene Gewobag hatte ihn deshalb abgemahnt. Darüber hinaus wirft auch eines der zentralen Projekte des Kunstweltvereins Fragen auf: der „Pfad der Visionäre“. Initiator auch hier: Ex-Vereins-Chef Bonger Voges.

Mehr als 300 000 Euro sollten 33 in den Boden eingelassene Tafeln mit sinnreichen Sätzen internationaler Dichter und Denker kosten. Das „Wahrzeichen der Werte und Kulturen der Welt“ vom Mehringplatz die Friedrichstraße hinauf soll der Bevölkerung der südlichen Friedrichstadt ein „Identifikationsmoment“ bieten – und der Bezirk soll zahlen.

Keine Eltern im Elterncafè

Doch nachdem V. und Penava ihre Pläne der Kommission für Kunst im öffentlichen Raum Friedrichshain-Kreuzberg vorgestellt hatten, hagelte es Kritik: „naiv“ und „an der Realität vorbei“, so erste Bewertungen. Weil die Botschaften der Länder selbst über die Sinnsprüche entscheiden sollten, sei eine „kritische, irritierende und gar politische Aussage ausgeschlossen“. „Sozio-kulturell“, wie sich der Pfad definiere, sei dieser „tatsächlich nicht“.

Kurzum, alle Mitglieder erklärten das Projekt „einstimmig“ für „gescheitert“. Trotzdem „befürwortet“ Bezirksstadtrat Panhoff das – auf 100 000 Euro gedeckelte – Projekt: „in Abwägung“ der Bewertung der Kommission „und dem „Wunsch nach Mitwirkung der Gebietsbevölkerung“. Panhoff zufolge hätten sich der „Sanierungsbeirat Südliche Friedrichstadt und die in ihm mitwirkende Gebietsvertretung Mehringplatz für das Projekt ausgesprochen“.

Heftige Kritik ernten auch Projekte im Quartiersmanagement, jedenfalls von zweien, die genauer hinsahen. Boé und Beckert besuchten in ihrer Zeit als Quartiersräte das „Elterncafé“ und das „Boxen gegen Gewalt“. Das Elterncafé habe aus vier Stühlen und einem Teewagen bestanden, die in einer zugigen Halle der Galilei-Grundschule aufgestellt waren – Eltern waren nicht zu sehen.

Beim Boxen kam kein Trainer

Beim Boxen erschien zur angegebenen Zeit nicht mal ein Trainer. Als sie das im Quartiersrat zur Sprache brachten, kam es nicht mal zu einer Diskussion. Panhoff hält dagegen: „Beide Projekte waren während ihrer Laufzeit sehr gut besucht“ – warum bloß bekamen diese dann aber ab 2013 keine QM-Mittel mehr, wie Panhoff einräumt?

„Kritik an den Projekten ist unerwünscht“, sagt Boé. Es fehle an öffentlichen Quartiersratssitzungen. Braucht es also mehr Offenheit? Für Panhoff muss das der „gewählte Quartiersrat“ selber entscheiden. Transparenz gebe es auch so „über Gremien, Newsletter, Homepage und Kiezblatt“.

Kurze Zeit nach der Kritik am QM schloss der Quartiersrat Boé und Beckert aus dem Gremium aus. Die beiden „Querulanten“ hatten ihren Unmut über die aus ihrer Sicht verschwendeten Steuergelder wenigstens öffentlich diskutieren wollen und dazu Petitionen gestartet: für öffentliche Quartiersratssitzungen, für die Veröffentlichung der Protokolle über deren Ergebnisse und für die Absetzung des bestehenden Quartiersmanagements – wegen Erfolglosigkeit.

Ralf Schönball

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