Die meisten wurden eingestellt: Fast 1000 Strafverfahren gegen Rückzahler von Berliner Corona-Hilfen beendet
Um die Strafverfolgung von Menschen, die fälschlich Hilfsgelder beantragten hatten und später zurückzahlten, gab es Streit. Nun liegen Zahlen der Justiz vor.
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat inzwischen fast 1000 Strafverfahren gegen Rückzahler von Corona-Hilfen abgeschlossen. Das geht aus einer Antwort der Wirtschaftsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage von FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja hervor.
Von den insgesamt 949 Verfahren mussten 909 eingestellt werden, weil sich entweder kein ausreichender Tatverdacht finden ließ (852 Fälle) oder eine Geringfügigkeit der Tat festgestellt wurde (57 Verfahren).
In 16 Verfahren wurde keine Straftat festgestellt, ein Verfahren wurde wegen Todes eingestellt. Nur in elf Verfahren wurden Strafbefehle erlassen, allerdings ohne eine Freiheitsstrafe, in einem Verfahren wurde eine Geldstrafe erlassen.
Politischen Streit hatte es vor allem um die Strafverfolgung von Menschen gegeben, die – bewusst oder unbewusst – fälschlich Zahlungen aus den Corona-Hilfsfonds beantragt hatten, diese aber später zurückzahlten. Das sind inzwischen mehr als 35.000 Menschen, wie die Wirtschaftsverwaltung auf Czajas Anfrage erklärt.
Die Investitionsbank Berlin (IBB) verzeichnete demnach bis Anfang August Rückzahlungen in Höhe von 256 Millionen Euro. Insgesamt wurden seit Beginn der Pandemie 4,8 Milliarden Euro an mehr als 355.000 Menschen ausgezahlt.
Offenbar in nur wenig Fällen Menschen bestraft
Mehr als 5000 der Menschen, die Geld zurückzahlten, erhielten später Schreiben des Landeskriminalamtes Berlin, in dem sie über ein eingeleitetes Strafverfahren wegen Computerbetruges oder Subventionsbetruges belehrt wurden. Auf Basis eines Auskunftsersuchens der Staatsanwaltschaft hat die IBB danach die Daten von 2050 Anträgen übermittelt. Die Zahlen der abgeschlossenen Strafverfahren zeigen nun, dass offenbar in sehr wenigen Fällen auch Menschen bestraft worden sind.
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FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja sagte dem Tagesspiegel dazu: „Es war richtig und wichtig, die Soforthilfen schnell und unbürokratisch auszuzahlen.“ Er forderte, dass die IBB auch Lösungen für all jene finden müsste, die „irrtümlicherweise das Geld zurückgezahlt haben, obwohl es Ihnen zustand“.
Weiter sagte der FDP-Politiker: „Am Ende dürfen nicht diejenigen leiden, die alles richtig machen wollten, aber an der miserablen Informationspolitik des rot-rot-grünen Senats verzweifelt sind.“
Streit zwischen Senat und Staatsanwaltschaft
Im Juni hatten die Verfahren gegen die Rückzahler von Corona-Hilfen zu einem Streit zwischen Mitgliedern des Berliner Senats und der Staatsanwaltschaft geführt.
Dass die Ermittler gegen Selbstständige und Kleinunternehmer strafrechtlich vorgingen, obwohl diese unberechtigterweise erhaltene Hilfsgelder wieder zurückgezahlt hatten, sei „sehr fragwürdig“, hatte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) damals gesagt. „Mich ärgert dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft ganz besonders.“
Auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) lies seiner Wut über das Vorgehen freien Lauf. „Was läuft eigentlich bei der Staatsanwaltschaft, dass diese öffentlichen Ressourcen eingesetzt werden, um diese Verfahren zu betreiben?“ Mit den Verfahren setze man „eine bürokratische Lawine in Gang“ und löse bei den Betroffenen „Angst und Schrecken“ aus. Er finde, „etwas mehr Respekt vor der Gesamtlage“ von Seiten der Ermittler sei angebracht.
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Die Berliner Justiz wehrte sich mit einem Brandbrief gegen die politische Einmischung der Senatsebene. Deren Kritik wertete der Hauptrichter- und Hauptstaatsanwaltsrat als Frontalangriff auf die Grundlagen des Rechtsstaats und unzulässigen Eingriff der Politik.
„Dass Senatsmitglieder mit den Grundpfeilern der Rechtsstaatlichkeit nicht vertraut sind, zumal wenn sie Politikwissenschaftlerin beziehungsweise Volljurist sind, ist schlichtweg erschreckend“, heißt es in dem Schreiben des Gremiums. „Wir leben nicht in einem System, wo die Politik nach eigenem Gusto entscheiden darf, wer mit staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren konfrontiert wird oder nicht. Und das ist auch gut so.“
Nur in Berlin gab es so viele Strafverfahren gegen Rückzahler
Die Staatsanwaltschaft selbst hatte erklärt, dass es bei Betrug „keine Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts“ gebe. Bei Betrug handle es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt – bei solchen muss von Amts wegen ermittelt werden. Dann muss es aber nicht zur Anklage kommen.
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Die Ermittlungen könnten auch eingestellt werden, etwa wenn sich zeigt, dass der Betrug nicht mit Vorsatz begangen wurde. Entlastend wirke auch die schnelle Rückzahlung. Das hatte auch Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im Abgeordnetenhaus auf Anfrage der Opposition noch einmal klarstellen müssen.
Bundesweit wurden inzwischen fast eine Milliarde Euro Corona-Hilfen freiwillig zurückgezahlt. Doch nur in Berlin gab es so viele Strafverfahren gegen Rückzahler.
Schon im Juni sagte Veronika Mirschel, Leiterin des Referats Selbstständige beim Bundesverband der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi: „In Berlin kommt einem das wie eine konzertierte Aktion vor. In anderen Bundesländern sind das nur Einzelfälle.“
Auch Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), erklärte, diese Art der Verfahren sei „kompletter Irrsinn“ und stelle „ehrliche Leute an den Pranger“. Die Zahlen aus der Anfrage von Sebastian Czaja zeigen immerhin: einige wenige Sünder wurden durch das Vorgehen erwischt.
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