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Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis90/Grüne) sind verärgert über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum möglichen Betrug mit Corona-Hilfen.
© Wolfgang Kumm/dpa

Staatsanwaltschaft verbreite "Angst und Schrecken": Pop und Lederer kritisieren Ermittlungen zu Coronahilfen-Betrug

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen 2000 Coronahilfen-Empfänger, obwohl sie die Gelder freiwillig zurückgezahlt haben. Der Senat ist erzürnt.

Am 14. April 2020 überwies der Publizist und Sachbuchautor Holm Friebe freiwillig 5000 Euro an die Investitionsbank Berlin (IBB), Verwendungszweck: „Rücküberweisung von Coronahilfen, weil nicht bezugsberechtigt“. Friebe hatte die Hilfe kurz zuvor beantragt, dann aber in einem Zeitungsartikel gelesen, dass er nicht die Kriterien erfüllt, die für eine Hilfe notwendig sind. Für ihn war der Fall damit erledigt. Für die Staatsanwaltschaft Berlin nicht.

Die schrieb Friebe am 7. Mai 2021, dass er im Verdacht stehe, unberechtigt Coronahilfen beantragt zu haben. Er habe bei der Antragstellung „bewusst falsche Angaben gemacht“. Das ganze sei „ein Schildbürgerstreich“, sagte Friebe dem Tagesspiegel. „Er reiht sich ein in das System der Ignoranz, dem Freiberufler und Soloselbstständige ausgesetzt sind.“ Friebe redet von „bürokratischem Terror“. Eine „gut gemeinte Idee, nämlich schnelle unbürokratische Hilfe, ist krachend nach hinten los gegangen“.

Kultursenator Lederer spricht von „bürokratischer Lawine“

Was den Autoren ärgert, sorgt auch für Wut in der Berliner Politik. Der Berliner Senat übt massive Kritik an der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Bezieher von Coronahilfen vorzugehen, die die Gelder selbstständig zurückgezahlt haben. Dass die Ermittler gegen Selbstständige und Kleinunternehmer strafrechtlich vorgingen, obwohl diese unberechtigterweise erhaltene Hilfsgelder wieder zurückgezahlt hatten, sei „sehr fragwürdig“, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) am Dienstag.

„Mich ärgert dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft ganz besonders.“ Auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) lies seiner Wut über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft freien Lauf. „Was läuft eigentlich bei der Staatsanwaltschaft, dass diese öffentlichen Ressourcen eingesetzt werden, um diese Verfahren zu betreiben?“

Mit den Verfahren setze man „eine bürokratische Lawine in Gang“ und löse bei den Betroffenen „Angst und Schrecken“ aus. Er finde, „etwas mehr Respekt vor der Gesamtlage“ von Seiten der Ermittler sei angebracht.

mKultursenator Klaus Lederer (Linke) sieht mit dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft eine "bürokratische Lawine" in Gang gesetzt.
mKultursenator Klaus Lederer (Linke) sieht mit dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft eine "bürokratische Lawine" in Gang gesetzt.
© Annette Riedl/dpa

In den ersten Wochen der Pandemie hatten tausende Kleinunternehmer und Solo-Selbstständige in einem sehr einfachen Verfahren staatliche Soforthilfe beantragt. Nicht immer zurecht, wie sich in vielen Fällen später herausstellte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt dabei derzeit auch gegen jene Personen, die die zunächst erhaltenen Gelder selbstständig wieder zurückgezahlt haben.

Friebe ist kein Einzelfall. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt aktuell in 5200 Fällen wegen Betrugsverdacht „im Zusammenhang mit den diversen Corona-Hilfspaketen“, davon 2050 Verfahren gegen jene, die die Geld zurückgezahlt haben.

Ermittlungen gegen IBB selbst wegen unzureichender Kontrolle

Eine Sprecherin der IBB teilte mit, „dass die IBB, Stand 14. Mai, 276 Strafanzeigen im Zusammenhang mit den Corona-Hilfsprogrammen gestellt hat“. Insgesamt habe die IBB 3,7 Milliarden Euro an gut 325.000 Unternehmen und Soloselbstständige ausbezahlt, davon 1,8 Milliarden Euro im Rahmen der Soforthilfe II.

Davon seien von den Empfängern insgesamt 257,3 Millionen. Euro in 35.024 Fällen wieder zurückgezahlt worden. Der Großteil davon entfalle mit 34.738 Fällen und einem Volumen von 243,6 Millionen Euro auf den Corona-Zuschuss der Soforthilfe II.

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Im Zuge der Auszahlung der Corona-Hilfen laufen auch Verfahren gegen die IBB selbst. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelte seit August 2020 gegen fünf Vorstände und Mitarbeiter der Berliner Förderbank. Aktuell sind es nur noch vier Verfahren, in einem Fall wurden die Ermittlungen eingestellt. Es ging um den Anfangsverdacht, dass bei der Vergabe der Gelder nicht für eine ausreichende Kontrolle der Anträge auf Missbrauch Sorge getragen worden sei. Die Ermittlungen dauerten noch an, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Staatsanwaltschaft verteidigt Vorgehen: „Entscheidung nach Recht und Gesetz“

Im Senat kann man das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Hilfen-Empfänger nicht nachvollziehen. „Es war Teil unseres Senatsbeschlusses, dass diese Hilfe auch im Sinne einer Liquiditätshilfe zu begreifen ist“, sagte Wirtschaftssenatorin Pop. Es sei von Anfang an intendiert gewesen, dass mit den Geldern kurzfristige Engpässe überbrückt werden sollten.

„Allein die Tatsache, dass man sein Geld zurückgezahlt hat, kann überhaupt keinen Anfangsverdacht begründen", erklärte Lederer. Die Betroffenen hätten gerade genügend andere Probleme. Er selbst habe „ein paar Bemühungen“ in Richtung Staatsanwaltschaft unternommen. Jedoch erfolglos. „Man läuft da gegen einen Schrubber.“ Nach Tagesspiegel-Informationen hat Lederer auch Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) mehrfach mit der Bitte kontaktiert, gegenüber der Staatsanwaltschaft klarzustellen, dass diese Verfahren „inakzeptabel“ seien.

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Für die Staatsanwaltschaft geht es nicht darum, was politisch gewollt ist, sondern was die Strafprozessordnung vorsieht. „Wenn eine, zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht anspruchsberechtige Person einen Antrag auf Leistungen aus den sogenannten Corona-Hilfspaketen stellt und sodann entsprechende Gelder ausgezahlt bekommt, ergibt sich aus der Tatsache der fehlenden Anspruchsberechtigung zunächst ein Anfangsverdacht wegen Betruges“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

„Mit der Auszahlung der Leistung ist der Straftatbestand vollendet, so dass es keine Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts gibt.“ Bei Betrug handle es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt – bei solchen muss also von Amts wegen ermittelt werden. „Die Annahme eines Anfangsverdachts führt bei dem vorliegenden Delikt zwingend zur Aufnahme von Ermittlungen. Das sieht die Strafprozessordnung so vor“, sagte die Sprecherin.

Auf Twitter legte die Staatsanwaltschaft nach: „Über den Anfangsverdacht entscheidet die Staatsanwaltschaft nach Recht und Gesetz und nicht nach politischen Wunschvorstellungen."

Allerdings bedeutet ein Ermittlungsverfahren nicht, dass sich ein Verdacht bestätigt und es zur Anklage kommt. Die Ermittlungen könnten auch eingestellt werden, etwa wenn sich zeigt, dass der Betrug nicht mit Vorsatz begangen wurde. Entlastend wirke auch ein „unverzüglicher und vollständiger Schadensausgleich“ – die schnelle Rückzahlung also. Auch das Bundeswirtschaftsministerium hat sich bereits im Februar auf eine Anfrage der Linksfraktion geäußert: „Eine Strafbarkeit wegen Subventionsbetruges setzt gemäß Paragraf 264 des Strafgesetzbuches vorsätzliches oder leichtfertiges Verhalten voraus. Bei einer bloß irrtümlich unberechtigten Beantragung verlangt die Strafbarkeit wegen Subventionsbetruges daher, dass die gebotene Sorgfalt in besonders hohem Maße verletzt wurde.“

Verband der Gründer und Selbstständigen: „Strafverfolgung ist ein Skandal“

Möglicherweise ist das Vorgehen der Berliner Staatsanwaltschaft dennoch ein Sonderfall. „In Berlin kommt einem das wie eine konzertierte Aktion vor. In anderen Bundesländern sind das nur Einzelfälle“, sagte Veronika Mirschel, Leiterin des Referats Selbstständige beim Bundesverband der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Auch Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) erklärte, diese Art der Verfahren aus anderen Bundesländern nicht zu kennen. „Das ist kompletter Irrsinn, diese Strafverfolgung ist ein Skandal. Das stellt die ehrlichen Leute an den Pranger und lähmt die Staatsanwaltschaft mit unnötigen Verfahren.“

Der Autor Holm Friebe „spekuliert jetzt auf die Einstellung des Verfahrens“. Einen Anwalt jedenfalls hat er nicht eingeschaltet, erstens weil ihm dazu das Geld fehle, zweitens aus Prinzip. „Ich möchte nicht noch Geld ausgeben, nachdem ich die Hilfe schon freiwillig zurückgezahlt habe.“

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