Berlin-Mitte: Experten kritisieren Pläne für den Checkpoint Charlie
Seit Montag können Bürger Ideen für den Checkpoint Charlie einbringen. Doch der Prozess drohe zur "Farce" zu werden, sagen Experten. Wird die Bebauung dem historischen Ort gerecht?
Der Checkpoint Charlie wird zugebaut. Das ist zumindest die Sorge derjenigen, die dem Bauprojekt am ehemaligen Grenzübergang an der Friedrichstraße kritisch gegenüberstehen. Und das sind viele. Der ehemalige Kultursenator Thomas Flierl, die Berliner Architektin Theresa Keilhacker, der Landeskonservator Jörg Haspel und andere Experten warnen in einem Positionspapier vor einer „Kommerzialisierung“ des für die Berliner Geschichte so wichtigen Ortes. Auch der Landesdenkmalrat rät von einer Blockrandbebauung ab und empfiehlt, die Umgebung des Checkpoint Charlie „so weit wie möglich in ihrer heutigen Form zu erhalten“.
Was ist hier geplant? Schon im November 2015 sicherte sich der Investor Heskel Nathaniel, Geschäftsführer der Trockland Gruppe, die auch an der East Side Gallery baut, drei Grundstücke entlang der Zimmerstraße, darunter auch die zwei Brachen zu beiden Seiten der Friedrichstraße, welche die letzten authentischen Zeugnisse der geteilten Stadt an diesem Ort darstellen.
Hier sollen nun auf 26.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche im Obergeschoss und 7600 Quadratmetern im Untergeschoss ein „Hard Rock“- Hotel, ein Museum, Büros, Läden und Wohnungen entstehen. Für letzteres sind 30 Prozent der Bruttogeschossfläche vorgesehen, also 7800 Quadratmeter, 30 Prozent davon (2340 Quadratmeter) mietpreis-und belegungsgebunden. Auf 3000 Quadratmetern ist ein Museum des Kalten Krieges geplant, das sich der Senat wünscht und für das er durchschnittlich 25 Euro Miete pro Quadratmeter bezahlen soll. All das geht aus einem „Letter of Intent“ zwischen Senat und Investor hervor.
Die Panorama-Box „The Wall“ des Künstlers Asisi auf dem Baufeld West und das zur Zeit in einem Container untergebrachte Museum über den Kalten Krieg im Baufeld Ost werden weichen müssen, wenn die Bauarbeiten beginnen. Vom Panorama "The Wall" heißt es, man habe eine Standortgenehmigung bis 2019. Was danach passiert, sei noch offen. Man sei aber jederzeit zu Gesprächen bereit, um eventuell in die Planungen einzusteigen. "Sollten wir den Standort verlassen müssen, sehen wir uns nach neuen Standorten in der Innenstadt um", sagte Pressesprecher Karsten Grebe auf Anfrage.
Am Montagabend startete nun im Panorama "The Wall" der Beteiligungsprozess für die Bevölkerung. „Riesengroßes Chaos“ steht an einer Plakatwand, an der die Stadtentwicklungsexperten von Urban Catalyst, die das Partizipationsverfahren durchführen, Meinungen und Ideen der Anwohner zum „Alltagsort Checkpoint Charlie“ notieren. Knapp 200 Interessierte sind gekommen, in dem dunklen Raum steht die Luft, draußen sind es noch weit über 25 Grad. "Die Verkehrsführung hier ist eine Katastrophe", klagt Anwohnerin Marianne M. Ihr ist es wichtig, eine Lösung vor allem für die Reisebusse zu finden, die jeden Tag Hunderte Touristen am Nachbau der Kontrollbaracke auf dem Mittelstreifen der Friedrichstraße ausspucken.
"Wieso nutzt der Senat hier sein Vorkaufsrecht nicht?"
Ein anderer Nachbar freut sich auf neue Bewohner. Zurzeit sei die Gegend fast ausschließlich durch Tagestouristen geprägt, so dass alle Kneipen bereits sehr früh am Abend schließen - sehr zu seinem Leid. Der Wohnkomplex „Charlie Living“ auf den Grundstücken Zimmerstraße 92–94 und Mauerstraße 82, für den die Trockland Gruppe ebenfalls verantwortlich ist, wird bereits gebaut. Hier sind 289 Wohneinheiten, darunter 48 "Serviced Apartments" (Wohnungen mit Concierge-Dienst) geplant. Einen Anteil mietpreisgebundener Wohnungen soll es hier nicht geben.
Vier Wochen lang können sich Bürger jetzt im neuen Bauprojekt einbringen, online, auf Veranstaltungen und über ein Beteiligungs-Lastenrad, das im Kiez herumfährt und Touristen, Anwohner und Gewerbetreibende zu ihren Einschätzungen des Orts befragt. Am Ende des Verfahrens soll ein Bebauungsplan aufgestellt werden. Doch die Bürgerbeteiligung drohe „zur Farce zu werden“, schreiben Flierl, Keilhacker und Haspel. Schließlich sei die Planung schon sehr weit fortgeschritten.
Landesdenkmalrat sieht auch geplantes Museum kritisch
„Ich verstehe nicht, warum der Senat hier sein Vorkaufsrecht nicht nutzt“, sagte Keilhacker dem Tagesspiegel. Dann wäre neben dem öffentlichen Erinnerungsfreiraum zwischen den beiden Original-Brandwänden, westlich wie nordöstlich der Friedrichstraße, ein völlig neuartiger Typus von Gebäuden mit Ausstrahlung in das Quartier hinein möglich. „Eine öffentliche Trägerschaft könnte die gewünschte Berliner Mischung von Läden, Ateliers, Kita, Schulen und Wohnungen in einem hybriden Nutzungsmix für das Gemeinwohl errichten, statt als Steigbügelhalter maximale Kapitalinteressen privater Interessenvertreter zu erfüllen.“
Auch das geplante Museum sehen der Landesdenkmalrat und Keilhacker kritisch: Der geplante Erinnerungsort würde zwar zum intellektuellen Bezug des Checkpoints, "dieser wäre nach dem Verlust der aus dem Kalten Krieg überlieferten stadträumlichen Wirklichkeit aber artifiziell und nicht mehr erlebbar". Ein städtebaulicher Wettbewerb, der den westlichen und den östlichen Teil des Geländes umfasst, sollte "für Neubauten diejenigen Potenziale und Baumassen auszuloten, die ohne wesentliche Beschädigung des historischen Ortes und seines Wirkungsraums von Freiflächen und wichtigen Begrenzungen (Brandwände) genutzt werden können".
Brief von Lederer: Eckpunkte "ausgesprochen vorteilhaft"
Um herauszufinden, ob der Senat das Vorkaufsrecht für die Brachen am Checkpoint Charlie nutzen kann, hat die Grünen-Abgeordnete Daniela Billig am Dienstagmorgen eine Anfrage an den Senat gestellt. Es sieht nämlich so aus, als habe die Trockland Gruppe bisher nur die Grundschuld von der Bank aufgekauft. Eigentümer im Grundbuch wäre dann immer noch die Firma, welche die Grundstücke vorher besessen hat. In dem Moment, wo der Investor die Option zieht, die Grundstücke tatsächlich zu kaufen, könnte der Senat theoretisch sein Vorkaufsrecht ausüben.
Es wirkt allerdings nicht so, als sei der Senat daran interessiert. In einem Brief von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) an Thomas Flierl heißt es, die mit dem Investor vereinbarten Eckpunkte zur Fläche, Lage und den Mietkonditionen der Museumsräumlichkeiten seien „im Rahmen der gegebenen eigentumsrechtlichen Konstellation als ausgesprochen vorteilhaft zu bewerten“.
Die bisherigen Entwürfe für die Gebäude, die auch die Integration des Museums auf dem westlichen Baufeld zeigen, stammen vom Architekturbüro Graft. Sie sind allerdings noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben, weil der Planungsstand veraltet sei, heißt es aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Warum gibt der Senat diesen Ort aus der Hand?“, fragt sich auch der Architekturkritiker Wolfgang Kil. „Er ist historisch noch nicht abgekühlt“, es sei also zu früh, ihn neu zu gestalten.