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Zu wenig? 30.000 neue Wohnungen sollen in den nächsten Jahren in Berlin entstehen.
© dpa

Zu wenig neue Wohnungen in Berlin: Experten halten Mietsteigerungen für unvermeidbar

30.000 neue Wohnungen sollen in dieser Legislaturperiode entstehen. So steht es im Koalitionsvertrag. Und so will Rot-Schwarz Druck vom Berliner Wohnungsmarkt nehmen. Doch diese Rechnung geht nicht auf.

Investoren und Makler sagen stetig steigende Mieten und Kaufpreise für die kommenden Jahre voraus. Und haben dafür eine einfache Erklärung: Die Zahl der neu gegründeten Haushalte liegt fast doppelt so hoch wie die Summe der neu gebauten Wohnungen – auch wenn SPD und CDU den Neubau ankurbeln.

„30 000 neue Wohnungen decken nicht den Bedarf der neu in Berlin entstehenden Haushalte“, sagt etwa Jörg Schwagenscheidt. Er ist Geschäftsführer bei der Wohnungsbaugesellschaft GSW. Die gehörte einmal dem Land Berlin, ist nun aber eine Aktiengesellschaft. Und der Kurs der GSW-Aktie steigt ordentlich. Weil Mieten und Kaufpreise von Wohnungen in Berlin steigen – und das den Wert der GSW erhöht.

Das liegt an der Nachfrage, sagt der GSW-Chef. Alle wollen Immobilien in Berlin mieten und kaufen. Und die Käufer kommen nicht mehr aus einzelnen prosperierenden Regionen, sondern aus aller Herren Länder – sogar aus dem Irak. Der Immobilienverband Deutschland (IVD) liefert die Zahlen dazu: „Im ersten Halbjahr dieses Jahres verdoppelte sich der Umsatz mit Wohnhäusern im Vergleich zum Vorjahreszeitraum“, sagt Vorstand Michael Schick. 860 Mietgebäude im Wert von 1,8 Milliarden Euro wechselten den Eigentümer. Ähnlich stark ist das Plus beim Handel von Eigentumswohnungen, der um fast ein Drittel zunahm auf 1,3 Milliarden Euro. 8000 Wohnungen haben seit Anfang dieses Jahres einen neuen Eigentümer, das sind doppelt so viele, wie im ganzen Jahr gebaut werden.

Investoren halten Berlin für das New York von Europa. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

„Berlin ist das New York von Europa“, sagt Einar Skjerven. Der norwegische Investor kauft Wohnhäuser, teilt sie auf in Eigentumswohnungen und verkauft diese einzeln mit Profit an Privatleute. Er wirbt damit, dass Wohnungseigentum den „besten Schutz gegen Mietsteigerungen“ bietet. Dass die Preise nämlich steigen, das sei ein Trend, der „die nächsten zehn Jahre ganz sicher anhalten“ werde.

Das trifft besonders Haushalte, die sich höhere Mieten nicht leisten können – und auch keine Eigentumswohnung. Der neue Senat will deshalb den Bau günstiger Miethäuser ankurbeln, indem er Bauträgern landeseigene Grundstücke billiger oder sogar kostenlos überlässt. Die SPD hat dabei die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften im Auge, die CDU will auch die Privaten ins Boot holen. Der börsennotierte schwedische Baukonzern NCC hat den Ruf erhört: „Wenn wir das Grundstück umsonst bekommen, dann können wir Wohnungen für Mieten von 5,80 Euro pro Quadratmeter und Monat bauen“, sagt NCC-Berlinchef Fred Weber. Das liegt nur leicht über den Mittelwerten im Mietspiegel – und wäre eine kleine Sensation. Denn bisher hatten Bauträger die Errichtung von Wohnhäusern zu Mieten von weniger als acht Euro ausgeschlossen. Doch Weber versichert, er verhandle bereits mit einer Genossenschaft über ein entsprechendes Projekt. Außerdem liege seiner Kalkulation die NCC-Siedlung in der Niederschönhausener Heinrich-Böll-Straße zugrunde. Kurzum, er stehe zu seinem Wort.

Die stetig steigenden Mieten haben für Bauträger, Makler und Wohnungsgesellschaften auch ihr Gutes: Wer viel Miete zahlen muss, wird eher über den Kauf einer Wohnung nachdenken. Zumal die Zinsen für das Baugeld auf einen historischen Tiefstand abgesackt sind. Doch die Chance, mehr Berlinern zur eigenen Wohnung zu verhelfen, verringert Rot-Schwarz wiederum mit der Erhöhung der Grunderwerbsteuer. Diese treffe ausgerechnet private Haushalte mit mittleren Einkommen, die sich ohnehin schwer damit tun, das für den Grunderwerb erforderliche Eigenkapital zusammenzubekommen, so die Experten.

Für alle, die auf ihre Mietwohnung angewiesen sind, hat das IVD noch mehr schlechte Nachrichten: Die Mieten sind in diesem Jahr um 3,3 Prozent in „Standardwohnlagen“ und um 4,8 Prozent in guten Lagen gestiegen – und sie treiben so die Teuerung in der Stadt kräftig an.

Ralf Schönball

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