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Sperrzone: der Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus.
© dpa

Tödliche Schüsse am Neptunbrunnen: Experten fordern bessere Ausbildung für Polizeibeamte

Der Mann, der vor dem Roten Rathaus von einem Polizisten erschossen wurde, soll psychisch krank gewesen sein. Oft werden Beamte auf solche Extremsituationen nicht gut genug vorbereitet. Nun fordern Experten mehr Ausbildung und Aufklärung.

Der 31-jährige Mann, der am Freitag von einem Polizisten erschossen wurde, war nach allem, was bisher bekannt wurde, psychisch krank. Ansonsten hatte der Mann bislang offenbar ein relativ normales Leben geführt – aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes soll darauf nicht näher eingegangen werden. Als umso tragischer empfinden Angehörige und Freunde seinen Tod. Aber nicht nur sie fragen sich, ob der Einsatz der Polizei wirklich der Situation angemessen war.

„Natürlich versteht man, dass der Polizist in Panik geriet, als der Mann mit einem Messer auf ihn zurannte“, sagt Alexander Bosch. Er leitet die Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte in der deutschen Sektion von Amnesty International. „Das ist ja auch eine Extremsituation, vor allem, weil psychisch Kranke eben nicht so reagieren wie normale Straftäter. Und genau darauf werden Polizeibeamte – nicht nur in Berlin – einfach nicht genügend vorbereitet.“

Polizisten bestätigen dies. Zwar werde die Eigensicherung trainiert – auch, wie man Angreifer abwehre, wenn diese nicht auf Pfefferspray reagierten, was bei psychisch Kranken oft der Fall ist. Aber dann sei auch nicht mehr möglich, auf Arme oder Beine zu schießen, sagen Beamte: „Dann muss man schon draufhalten, um sich selbst zu schützen.“

Problematisch ist das nicht nur bei psychisch Kranken, sondern auch bei Drogensüchtigen oder Betrunkenen. Die reagieren nicht rational, das heißt, sie kalkulieren im Gegensatz zu Kriminellen ihr eigenes Risiko gar nicht ein. Deshalb fordern Experten beispielsweise des Hamburger Vereins „Irre menschlich“, speziell psychologisch geschulte Polizisten oder Psychologen und Ärzte zu den Einsätzen hinzuzuziehen. In Berlin geschieht dies schon relativ häufig über den 24 Stunden erreichbaren Krisendienst.

Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Bodo Pfalzgraf, fände es zwar gut, wenn es in Aus- und Weiterbildung spezielles Training zum Umgang mit psychisch Kranken gäbe, meint aber: „Jede Bedrohungssituation ist anders. Deshalb wären Taser, die nicht töten, sondern nur handlungsunfähig machen, die bessere Alternative.“ Bei der Polizei selbst konnte man sich am Sonntag zum Thema des Umgangs mit psychisch Kranken nicht äußern.

Nach dem Tod einer 53-Jährigen in Reinickendorf, die erschossen wurde, als sie sich mit einem Messer dagegen wehrte, in eine geschlossene psychiatrische Abteilung eingewiesen zu werden, hatte vor zwei Jahren sogar die Internationale Liga für Menschenrechte interveniert. Und die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission für die Aufklärung der Tötung und ihrer Hintergründe gefordert. Das ist bislang in allen diesen Fällen ausgeblieben.

Sandra Dassler

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