Lascher Umgang mit Linksextremen?: Ex-Polizeiführer nimmt Slowiks Rigaer-Weisung auseinander
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hat eine bestehende Weisung zu Einsätzen in der Rigaer Straße neu gefasst. Das gefällt nicht allen in der Polizei.
Eine Anweisung von Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik sorgte vor einem Monat für Unruhe unter Beamten. Es ging um einen „Entscheidungsvorbehalt der Behördenleitung zum gewaltsamen Eindringen in linke Szeneobjekte“. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Bereich Rigaer, Ecke Liebigstraße in Friedrichshain, wo die Polizei aus ehemals besetzten Häusern regelmäßig mit Steinen, zuletzt aber vor allem auch mit Farbbeuteln beworfen wird. Slowik hatte angewiesen, dass vor dem gewaltsamen Eindringen in die Szeneobjekte zunächst die Behördenleitung darüber befinden muss.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nannte Slowiks Vorgehen in der „B.Z.“ unerträglich: Es werde beim Thema Linksextremismus in Berlin gekuscht, die Anweisung sei ein Freifahrtsschein für Linksextreme und würde die Kriminalitätsbekämpfung gefährden. Die von Slowik geforderten Amtswege würden viel zu lange dauern.
Tatsächlich lag die Sache etwas anders, Slowiks Anweisung war auch differenzierter, also es zunächst den Anschein hatte. Denn weiter hieß es in der Anweisung: „Sollte bei Gefahr für Leib und Leben oder bei Verfolgung auf frischer Tat eine Eilbedürftigkeit für das gewaltsame Eindringen in ein Szeneobjekt bestehen, obliegt die Entscheidung einer durch die örtlich zuständige Direktionsleitung festgelegten Dienstkraft des höheren Dienstes.“ Weil es da Missverständnisse gab, ergänzte Slowik später: Bei gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, die nur durch „sofortiges Einschreiten“ abgewendet werden kann, muss auch nicht die Führungskraft befragt werden.
Ranghoher Beamter soll bei akuten Einsätzen entscheiden
Im Klartext bedeutet das: Wenn größere Einsätze etwa in der Rigaer geplant werden, behält sich die Polizeiführung die Entscheidung darüber vor. Bei akuten Einsatzlagen, also wenn Straftäter verfolgt werden und die Polizisten, um die Verdächtigen zu schnappen, sofort in die Szeneobjekte eindringen müssten, muss ein ranghoher Beamter mit mindestens einem goldenen Stern auf der Schulterklappe darüber entscheiden – aus der Direktion oder sogar aus dem Abschnitt. Also ein Beamter, der sich vor Ort auskennt.
Nach der alten, von Slowik aufgehobenen Fassung ihres Vorgängers Klaus Kandt vom Mai 2015, musste bei Eileinsätzen noch der Direktionsleiter gefragt werden – nicht wie jetzt ein höherer Beamter. Slowiks Sprecher sagte deshalb: „Die Entscheidungswege wurden verkürzt und die Handlungssicherheit gestärkt. Der Weg für schnelles Einschreiten wurde – anders als bisher – freigemacht.“ Das gelte auch, wenn etwa Polizeiwagen mit Steinen beworfen werden.
Der konkrete Ablauf soll dann nach Schilderung der Innenverwaltung wie folgt ablaufen: „Die vor Ort eingesetzten Polizeidienstkräfte nehmen Verbindung zum zuständigen Lagedienst der örtlichen Direktion auf. Dieser wiederum nimmt unverzüglich Verbindung zur durch die örtlich zuständige Direktionsleitung festgelegten Dienstkraft des höheren Dienstes mit Entscheidungskompetenz auf.“ Und dann gebe es kurze Wartezeiten, das Anfordern weiterer Einsatzkräfte, Absperrungen und Sicherungsmaßnahmen sind ohnehin übliche Polizeipraxis.
Innenverwaltung war nicht in Slowiks Entscheidung eingebunden
War die ganze Aufregung um Slowiks Anweisung also umsonst? Interessant ist die Entstehung der vorherigen Weisung von Kandt. Der hatte den Entscheidungsvorbehalt für die Polizeiführung für längerfristige und für die Direktionschefs für eilbedürftige Einsätze festgelegt. Anlass waren nach Tagesspiegel-Recherchen Einsätze, die aus Sicht der Polizeiführung aus dem Ruder gelaufen waren. Dabei wollten Teile einer Hundertschaft Linksextreme verfolgen – bis die Lage eskalierte. Der Vorwurf der Polizeiführung damals: Die Beamten vor Ort hätten viel zu hitzig reagiert. Rückzugsmöglichkeiten, Absicherung durch weitere Kräfte, Einschätzung der Gefahr auch für die eingesetzten Beamten - alles, was zwingend notwendig gewesen wäre, sei damals nicht geklärt worden.
Den FDP-Innenexperte Marcel Luthe will sich damit nicht abfinden. Er hat deshalb bei der Senatsinnenverwaltung nachgefragt. In der Antwort auf seine parlamentarische Anfrage erklärte die Innenverwaltung, nicht in Slowiks Entscheidung eingebunden worden zu sein. Soll heißen: Es habe keine politische Einflussnahme gegeben. Allerdings war der Antwort zufolge auch die Direktion Einsatz, in der die Hundertschaften angesiedelt sind, also jene, die sich mit harten Einsätzen auskennen, nicht eingebunden.
Luthe wollte auch wissen, was Slowik in ihrer Weisung mit dem Begriff „linke Szeneobjekte“ meint -und wo diese Objekte zu finden sind. Die Antwort: Das wird im Einzelfall geprüft und „bedarf jeweils einer eigenständigen polizeilichen Beurteilung“. Ähnliche Weisungen gibt es der Antwort zufolge nicht für „rechte Szeneobjekte“ oder „islamistische Szeneobjekte“, weil „sich eine Erforderlichkeit bisher nicht ergab“, teilte die Innenverwaltung mit.
Für Knape ist Slowiks Weisung ein großes Problem
Luthe verwundert das. „Natürlich ist es sinnvoll, Beamte nicht in vorbereitete Fallen von Extremisten laufen zu lassen - das muss aber dann für alle Extremisten gleichermaßen gelten. Oder findet der Senat Linksextremisten gefährlicher als Rechtsextremisten und Islamisten?“, fragte der FDP-Politiker. „Diese - offenbar völlig unabgestimmte - Weisung verhindert faktisch die Verfolgung eines fliehenden Tatverdächtigen, sobald er ein ,linkes Szeneobjekt‘ erreicht hat und ermöglicht diesem damit die Flucht.“ Slowiks Weisung schaffe keine Sicherheit für Bürger und Polizisten, „sondern nur einen Fluchtvorsprung für Linksextremisten“.
Luthe hat einen Kronzeugen parat – Michael Knape. Der war bis 2014 Chef der Direktion 6 und hat als ranghoher Polizeiführer in Berlin zahlreiche Großeinsätze etwa bei Demonstrationen geleitet. Für Knape ist Slowiks Weisung ein großes Problem, damit werde faktisch eine Straftat begangenen – die Polizei begehe damit, der Anweisung der Präsidentin folgend, Strafvereitelung im Amt. Denn durch die nötigen Schritte würde Verfahren und Ermittlungen unnötig verlängert.
Knapes Urteil als erfahrener Einsatzführer: „Die in der Polizei vorgeschriebene Verfahrensweise bei der Verfolgung von Straftätern im Zusammenhang mit ,besetzten‘ Räumen oder Wohnungen ist in jeder nur denkbaren Weise unzweckmäßig, weil den Tätern die Möglichkeit zur Flucht eröffnet wird. Sie können sich ohne weiteres für geraume Zeit oder sogar endgültig der Verfolgung entziehen.“
Knape hatte einen Ruf als „Nazi-Jäger“
Nach dem Gesetz müssten Beamte beim sogenannten „ersten Angriff“ Straftaten erforschen und eine Verdunkelung verhindern, wie etwa das Vernichten von Beweisen. Doch Slowiks Weisung stehe dem „Legalitätsprinzip diametral“ entgegen, wonach die Polizisten alle Straftaten verfolgen müssen. Mit der Weisung werde es Straftätern erst ermöglicht, ihr Taten zu verdunkeln.
Die von Slowik vorgeschriebene Verfahrensweise sei geradezu dafür geeignet, „die Aussicht auf sachdienliche Ergebnisse zu gefährden“ – wegen eines „sachwidrigen Aufschubs“ wie dem vorgeschrieben Telefonat mit einem Polizeiführer. „Erst ein Anruf bei der vorgesetzten Stelle, die damit einhergehende Zeitverzögerung ermöglicht es den Tätern, sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen“, erklärte Knape.
Knape war in der Polizei nicht irgendwer. Einen Namen hatte er sich wegen seines Einsatzes gegen die rechtsextreme Szene gemacht, was ihm den Ruf als „Nazi-Jäger“ und „harter Hund“ einbrachte – aber auch Bedrohungen bis hinein ins Privatleben. Zudem hatte er seit 1989 einen Lehrauftrag an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR), wo er angehende Polizisten ausbildete.
2017 verlor Knape den Lehrauftrag, er vermutete damals, Anlass für den Rausschmiss sei seine Kritik an der aus seiner Sicht fehlenden Rechtsgrundlage für den Einsatz von Tasern bei der Berliner Polizei. Und Knape vermutete Ex-Polizeipräsident Kandt als Drahtzieher für den Verlust seines Lehrauftrages, was Kandt aber zurückwies. Einen neuen Job fand Knape dann bei der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus – als Referent für den Amri-Untersuchungsausschuss.