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Besucher stehen in einem Flur der neuen Flüchtlingsunterkunft in Marzahn.
© dpa
Update

Tag der offenen Tür im Flüchtlingsheim Marzahn: Eskalation nach einem friedlichen Tag

In Marzahn wird ein neues Containerdorf für Flüchtlinge errichtet, 400 Menschen ziehen ein. Nach einem erfolgreichen "Tag der offenen Tür" eskaliert die Situation - zwei Flüchtlingsaktivisten müssen ins Krankenhaus. Die Polizei ermittelt noch.

Ein grauer Freitagvormittag in Marzahn. Die Traube von Menschen vor der Baustelle am Blumberger Damm ist schon von weitem zu sehen. Ältere Herren in beigen Regenjacken neben jungen Müttern mit Kinderwagen. Sie alle warten darauf, endlich einen Einblick hinter die Kulissen zu bekommen. Oder besser: in die Container. Hier, hinter den hohen Bauzäunen, sind nämlich innerhalb der letzten Wochen die neuen Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge entstanden.

Die dreistöckigen Containerbauten, in die ab der kommenden Woche die zukünftigen Bewohnern einziehen, und die auch an anderen Stellen der Stadt entstehen, konnten die Nachbarn am Freitag besichtigen. Insgesamt ziehen hier 400 Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsgebieten nach ihrem dreimonatigen Aufenthalt in der Erstaufnahme her. Am Abend hatte die NPD vor dem Heim eine kleine Demo angemeldet; gegen die Rechten hatte die Linke mobil gemacht – den ganzen Tag standen Flüchtlingsunterstützer vor dem Heim. Wie berichtet, hatte es im Vorfeld Drohungen gegen Flüchtlingsinitiativen gegeben. Unter anderem fanden Mitglieder der Flüchtlingsinitiative "Hellersdorf Hilft!" Patronen vor ihrer Begegnungsstätte "Laloka".

Ein sicheres Zuhause statt heimeliger Komfort

„Man muss wissen, wie die Flüchtlinge hier überhaupt leben, bevor man sich ein Urteil bilden kann“, erzählt Ingrid Waschulewski, 67, an diesem Vormittag. Die Rentnerin lebt ganz in der Nähe und wundert sich über die Größe der Containeranlage. „Dass so viele Menschen auf so engem Raum zusammenleben können?“ Für Susan Hermenau, Sprecherin des Wohnheimbetriebs, ist die Größe der Anlage kein Problem. „Die Gebäude sind nach dem Baukasten-Prinzip konzipiert, sodass Großfamilien ihre Zimmer zusammenlegen können. Platzmangel gibt es keinen.“

Die Zimmer, von denen Hermenau spricht, haben den Charme einer Nasszelle. Knappe 16 Quadratmeter, graues Linoleum, zwei schmale Betten, Schränke, ein Tisch, Kühlschrank und ein Fenster. Darüber das Licht der energiesparenden Deckenleuchte. Heimelig ist das nicht, aber sicher, und das ist es, was den oft traumatisierten Flüchtlingen hier geboten werden soll: ein sicheres Zuhause.

Das Ziel: Integration fördern

„Vielen Bürgern können wir allein durch die Möglichkeit der Besichtigung viele Sorgen und Befürchtungen nehmen“, sagt Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD). Im Gespräch mit den Wartenden kristallisieren sich diese Sorgen schnell heraus: Lärmbelästigung, Verschmutzung und eine Abwertung der Eigenheime in der Umgebung.

In der Einrichtung, in der sich neben den Schlafräumen und Toiletten auch Gemeinschaftsräume, Büroräume, ein Behandlungszimmer sowie eine Kinderstube befinden, werden Sozialarbeiter, Betreuer und Pädagogen den Asylbewerbern mit Rat zur Seite stehen. „Wir haben die Aufgabe, alle bei ihrer Integration zu unterstützen“, sagt Hermenau. Schnell fügt sie noch hinzu: „Darauf freuen wir uns sehr.“

Die Beschützer und die "Besorgten"

Die Begeisterung, die noch aus Hermenaus Stimme klingt, ist bei den Security-Angestellten eher verhalten. Die beiden jungen Männer in Uniform stehen vor dem Containerdorf und haben die Besucher im Auge. Bisher sei der Morgen ruhig verlaufen. "Nur einer hat uns hier vor die Füße gespuckt. Aber das ist ja harmlos", fügt nach kurzem überlegen der Größere der beiden hinzu. Doch noch herrsche die berühmte Ruhe vor dem Sturm, sagen sie. Die vielen Polizisten, die sich auch auf der Straße vor dem neuen Flüchtlingsheim postiert haben, rechnen mit Stress.

"Wir wollen nicht den Teufel an die Wand malen, aber wenn es hier heute Abend richtig kracht, wundert mich das nicht", sagt einer der Beamten, der nicht namentlich genannt werden möchte.

Frau Waschulewski meint, zumindest einige der Motive derjenigen zu kennen, die heute Abend auf der NPD-Demo protestieren wollen. "Manche haben das Gefühl, die Flüchtlinge würden bevorzugt. Hier das neue Heim, aber da drüben die kaputte Sporthalle der eigenen Kinder," sie deutet vage in die Ferne. Woher sie diese Einschätzung habe? Frau Waschulewski schaut befremdet. "Na, das ist doch bekannt."

Konflikte am Abend: Flüchtlingsaktivisten im Krankenhaus

Nach Ende der Veranstaltung und eines aus Sicht der Flüchtlingsinitiative erfolgreichen Tages kommt es dann doch noch zu einer Eskalation. Es gibt verbale Auseinandersetzungen zwischen Vertretern rechter Demonstranten und Flüchtlingsaktivisten, darunter einer Vertreterin der Initiative "Hellersdorf hilft". Die Polizei greift in den Konflikt ein, wie die im Wahlkreis direkt gewählte Bundestagsabgeordnete Petra Pau dem Tagesspiegel berichtet. Die Beamten hätten die Flüchtlingsaktivistin in Gewahrsam genommen, seien dabei so grob vorgegangen, dass die junge Frau mehrere Hämatome am Arm habe und im Unfallkrankenhaus Marzahn behandelt werden musste.

Regina Kittler, Linken-Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus, schaltete sich nach Darstellung von Pau in den Konflikt ein und sei dann unter dem Vorwurf des Versuchs der Gefangenenbefreiung angezeigt und von einem Polizisten angegriffen worden. "Auch sie hat nach der groben Behandlung durch die Polizei ebenfalls blaue Flecken am Arm", sagte Pau, die beide am Abend in die Klinik begleitete.

Die Polizei bestätigte am Sonnabend auf Tagesspiegel-Anfrage, dass es zu am Rande der Demonstrationen zu polizeilichen Maßnahmen gekommen sei. Nach bisherigen Erkenntnissen habe es unter anderem den Versuch einer Gefangenenbefreiung durch Demonstrationsteilnehmer gegeben. Es seien mehrere Anzeigen aufgenommen worden, etwa wegen Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung und Körperverletzung im Amt. "Die Ermittlungen dauern an", sagte eine Polizeisprecherin.

Lesen Sie auch die Geschichte über Flüchtlingsaktivisten in Sachsen - heute auf der Seite 3: "Der Rassismus organisiert sich - aber auch seine Gegner".

Matthias Meisner, Sandra Dassler, Tatjana Kennedy

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