Vorwürfe gegen gefeuerten BER-Technikchef: "Es liegt nach wie vor kein Terminplan vor"
Ein anonymes Insider-Papier wirft dem zunächst von Mühlenfeld gefeuerten Technikchef Marks Versagen vor. Jetzt soll er wieder zurückkehren. Hier das Original-Papier und die Hintergründe.
Die Risiken auf der Baustelle des unvollendeten Berliner Hauptstadtflughafens für einen Start 2018 sind offenbar noch größer als bislang bekannt. Das geht zumindest aus einer von einem BER-Insider im Zuge der aktuellen Auseinandersetzungen unter der Überschrift „Problemthemen Bau“ verfassten Defizit-Analyse hervor.
Das Zwei-Seiten-Papier listet detailliert Versäumnisse des bisherigen Technikchefs Jörg Marks auf und kursiert im Aufsichtsrat vor der heutigen Sondersitzung zur Nachfolge von Flughafenchef Karsten Mühlenfeld. Berlins Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup wird wie am Mittag bekannt wurde neuer BER-Chef.
Nach Zerwürfnissen mit dem vom Berliner Regierenden Michael Müller (SPD) geführten Aufsichtsrat muss Mühlenfeld selbst seinen Posten räumen. Darin sind sich die Eigner Berlin, Bund und Brandenburg einig. Auslöser des Konfliktes war, dass der Flughafenchef gegen den ausdrücklichen Willen des Aufsichtsrates den Technikchef ablöste, den 2014 Hartmut Mehdorn von Siemens zum BER geholt hatte. Marks soll, darauf lief es am Wochenende hinaus, im Zuge des bevorstehenden Wechsels an der Flughafenspitze wieder zurückgeholt werden. Mühlenfeld hatte die Trennung in einem Tagesspiegel-Interview damit begründet, dass mit Marks als BER-Bauleiter in jüngster Zeit alle Termine verfehlt worden sind und mit ihm bis Frühjahr kein vom Aufsichtsrat verlässlicher BER-Eröffnungstermin festgelegt werden könne.
Nach Tagesspiegel-Informationen hat Karsten Mühlenfeld bereits am Wochenende eine vorzeitige Vertragsbeendigung unterschrieben.
"Unterdimensionierung und fehlende Berechnungen"
Nach dem Zwei-Seiten-Papier, das eine Zuarbeit aus der FBB für Mühlenfeld oder von der Geschäftsführung selbst sein könnte, sind die Probleme am BER weit größer. Dass eine Eröffnung 2017 nicht möglich ist, war von den Verantwortlichen jüngst etwa damit begründet worden, dass in der Sprinkleranlage jetzt knapp zwei Kilometer Rohre ausgetauscht werden müssen. So hatte es Mühlenfeld im Aufsichtsrat Anfang Februar erklärt, und danach auch Müller im Abgeordnetenhaus.
In Vorlagen der Flughafengesellschaft für den Aufsichtsrat wurde angekündigt, dass bis März die Planungen für den Umbau vorliegen sollen. Im Schreiben „Problemthemen Bau“ heißt es im Gegensatz dazu unter dem Stichwort „Sprinkleranlagen/Hydrauliche Berechnungen)“, Zitat: „Ende 2016 wurden die Unterdimensionierung und fehlenden Berechnungen bekannt. Die Bauleitung suggeriert nun, dass bis Anfang März Überschlagsberechnungen vorliegen.“ Und weiter: „Tatsächlich liegen aber nur qualitative Bewertungen zu (Anm. offenbar ein Tippfehler) zu, die zur Neudimensionierung und dem Umbau genutzt werden sollen. Das Risiko verbleibt, dass spätere Rechnungen weitere Änderungen erfordern. Dies wurde nicht kommuniziert. Es liegt nach wie vor kein Terminplan vor.“ Bislang kalkuliert der Flughafen damit, dass die Bauarbeiten – auch der Sprinkleranlage – bis 30. Juni 2017 beendet sind, mit einem Risikopuffer bis September. Dauert es länger, könnte der BER 2018 nicht starten.
"Fehler in der ursprünglichen Planung"
In Punkt 6 der Auflistung „Technische Themen“ geht es unter der Überschrift „Zonen Checks Sprinkler/BMA“ um die Schnittstelle zur Brandmeldeanlage, abgekürzt BMA. Es wird gewarnt: „Seit Frühjahr 2016 ist im Baubereich bekannt, dass die Alarmierungsbereiche von Sprinkler und BMA nicht übereinstimmen (Zuordnung Land-/Luftseite). Dies ist ein Fehler in der ursprünglichen Planung und erfordert einen Umbau.“ Und weiter: „Erst nach Bedenkenanzeige XXXX wurde dieses Thema außerhalb des Baubereiches bekannt und ist zur Zeit einer der größten Terminrisiken.“ Wie aktuell das Papier ist, zeigen folgende Passagen, in denen der von Mühlenfeld als neuer BER-Projektleiter angeheuerte frühere Bahnmanager Christoph Bretschneider erwähnt ist. Zitat: „Klagen sowohl aus der Bauorganisation als auch der Geschäftsleitung, dass die Objektüberwachung nicht ausreichend auf der Fläche präsent ist und damit die Arbeit nicht kontrolliert, wurden von Herrn Marks trotz regelmäßiger Aufforderung nie umgesetzt. Herr Bretschneider hat dies in der 1. Woche umgesetzt.“
"Kein technisches und kaufmännisches Controlling"
Noch dramatischer aber ist die Auflistung unter der Überschrift „Kommerzielle/Organisatorische Defizite“. Da ist sogar davon die Rede, dass „bis zum heutigen Tage vergaberechtswidrig“ Aufträge an Fach- und Objektplaner ausgelöst würden. Oder: „Die Bauleitung wollte in Nachtragsverhandlungen mit der Firma ….. 30 Mio Euro zahlen, obwohl eine Begründung fehlte und kein Zeitdruck existiert“. Und weiter: „Im Bau herrscht die Meinung weiterhin vor, dass man auf die Forderungen der Firmen eingehen muss, um sie zu motivieren weiter zu arbeiten, auch wenn die Forderungen nicht sauber begründet sind.“ Unter Punkt „Baukostencontrolling“ wird für den neuen, immer noch nicht fertigen Airport, für den einst 2,5 Milliarden Euro kalkuliert, mittlerweile 6,5 Milliarden Euro bewilligt wurden, festgestellt: „Der Bau hat kein technisches und kaufmännisches Controlling und Risikomanagement aufgebaut, um etwaige technische, baubetriebliche, wirtschaftliche und rechtliche Risiken zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu definieren."
Das vertrauliche Dokument im Original
Nachfolgend veröffentlicht der Tagesspiegel das interne Dokument mit dem Titel "Problemthemen BER" zur Arbeit von Jörg Marks. Die im Dokument genannten Firmen haben wir durch XXXX ersetzt.
"Technische Themen
1. Bahntunnel
Bis Mitte 2016 hat Herr Marks immer wieder behauptet, dass das Thema Bahntunnel in guter Klärung ist, obwohl über 2 Jahre keine Einigung auftrat
Durch die Nachfrage des Generalplaners bei KM, sich dieses Themas anzunehmen, wurde der 2 jährige Stillstand aufgelöst und durch Eskalation gemeinsam mit BB in einer Runde beim regierenden Bürgermeister gelöst. Seitdem existiert eine enge Zusammenarbeit zwischen KM und den Leitern der Bahn
2. Präsenz der OÜ in der Fläche
Klagen sowohl aus der Bauorganisation als auch der Geschäftsleitung, dass die Objektüberwachung nicht ausreichend auf der Fläche präsent ist und damit die Arbeit nicht kontrolliert, wurden von Herrn Marks trotz regelmäßiger Aufforderung nie umgesetzt. Herr Bretschneider hat dies in der 1. Woche umgesetzt
3. Bauappell:
XXXX als auch die Geschäftsführung zu täglichen Baubesprechungen zur Koordination wurden von Herrn Marks nicht umgesetzt. Herr Bretschneider hat dies ab Woche 2 umgesetzt
4. Planung
Herr Marks hat Ende 2016 die Planung als fertig gemeldet. Tatsächlich wird in erheblichem Umfang weiter geplant und es gibt erhebliche Mängel in den Planungsunterlagen. Diese Defizite wurden nicht durch klare organisatorische und fachliche Anweisungen korrigiert. Es fehlt an Kontrolle der Planungsbüros. Dies wird zusätzliche SV-Begehungen erfordern
5. Änderungsmanagement
Trotz mehrfacher Aufforderung hat Herr Marks nie ein formelles Änderungsmanagement aufgezogen und damit Planungsänderungen verhindert.
6. Zonen Checks Sprinkler/BMA
Seit Frühjahr 2016 ist im Baubereich bekannt, dass die Alarmierungsbereiche von Sprinkler und BMA nicht übereinstimmen (Zuordnung Land-/Luftseite). Dies ist ein Fehler in der ursprünglichen Planung und erfordert einen Umbau. Erst nach Bedenkenanzeige xxx wurde dieses Thema außerhalb des Baubereiches bekannt gegeben und ist zur Zeit einer der größten Terminrisiken
7. Sprinkleranlagen/Hydraulische Berechnungen
Die mangelhafte Planung und Dimensionierung der Sprinkleranlage war bereits seit Jahren durch Sachverständigengutachten und durch TÜV-Bestandsaufnahmen im Bau bekannt. Die Bauleitung hat aber die Mahner aus dem Projekt entfernt und verhindert, dass die Bedenken offen analysiert werden.
Ende 2016 wurden die Unterdimensionierung und fehlenden Berechnungen bekannt. Die Bauleitung suggeriert nun, dass bis Anfang März die Überschlagsberechnungen vorliegen. Tatsächlich liegen aber nur qualitative Bewertungen zu, die zur Neudimensionierung und dem Umbau genutzt werden sollen. Das Risiko verbleibt, dass spätere Rechnungen weitere Änderungen erfordern. Dies wurde nicht kommuniziert. Es liegt nach wie vor kein Terminplan vor.
8. Technische IBN
Die Vorgehensweise für die Teil-Wirk- und Prinzipprüfungen wurde bauintern geändert auf interne Interaktionstest ohne ÜSV, weil die Dokumentation nicht vorliegt. Es besteht ein hohes Risiko, dass die Tests zusammen mit der ÜSV wiederholt werden müssen. Dies wurde nicht kommuniziert.
9. Genehmigter/geduldeter Bau
In 2016 wurden die Fortlufttürme durch die Gebäudedecke gestoßen, obwohl dies vom BOA weder geduldet noch genehmigt war, noch der Geschäftsführung bekannt war.
Kommerzielle/Organisatorische Defizite
1. Mangelnde Organisation des Bereiches TB
Die BER-Bauorganiosation ist mit ca. 160 Mitarbeitern überdimensioniert und fachlich nicht bereit gewesen Defizite in Zuständigkeiten und Verantwortungen zu lösen, obwohl dies mehrfach durch die Geschäftsführung eingefordert wurde
2. Baunebenkosten
Derzeit betragen die Baunebenkosten ca. 200% der Baukosten vor Ort. Im Regelfall betragen diese Kosten nur ca. 20-30%. Trotz Forderungen zur Reduzierung von Fachleuten und der Geschäftsführung war die Bauleitung nicht bereit die notwendige Straffung und Reduzierung der Organisation vorzunehmen, da er diese hohen Baunebenkosten aufgrund der Besonderheit des Projektes für erforderlich hält.
3. Baukosten-Controlling
Der Bau hat kein technisches und kaufmännisches Controlling und Risikomanagement aufgebaut, um etwaige technische, baubetriebliche, wirtschaftliche und rechtliche Risiken frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu definieren. Die Bauleitung hat auch aktiv zusammen mit den Projektbeteiligten die Unterlagen für die Lenkungskreise abgestimmt, damit kritische Themen für die Sitzungen mit der Geschäftsführung abgemildert wurden.
4. Generalplaner xxx
Entgegen der Absprache werden bis zum heutigen Tage vergaberechtswidrig Fach und Objektplaner beauftragt, obwohl viele diese Leistungen vergaberechtskonform über den Generalplaner beauftragt werden hätten können. Dies würde zwar zu etwas längeren Planungszyklen führen, aber zu einer abgestimmteren Planung führen.
5. Nachtragsprüfung
Die Geschäftsführung hat in 2016 ein XXXX Gutachten zur AVL- und Nachtragsprüfung erstellen lassen, welches nachgewiesen hat, dass der definierte Prozess akzeptabel ist, dieses aber nicht eingehalten wird. Auch nach 3 monatiger Forderung der Korrektur der Vorgehensweise, zeigte die Nachprüfung noch keine Korrektur der Vorgehensweise im Bau.
6. Nachtragsverhandlungen xxx
Die Bauleitung wollte in Nachtragsverhandlungen mit der Firma XXXX 30 Mio € zahlen, obwohl eine Begründung fehlte und kein Zeitdruck existiert. Prüfungen durch xxx zeigten, dass eine derartige Höhe nicht gerechtfertigt wäre und ein Vergleichsangebot in Höhe von ca. 10 Mio € wurde der Firma XXXX vorgelegt. Im Bau herrscht die Meinung weiterhin vor, dass man auf die Forderungen der Firmen eingehen muss, um sie zu motivieren weiter zu arbeiten, auch wenn Forderungen nicht sauber begründet sind.