CDU-Wirtschaftsexperte zu Giga-Factory und BER: „Es bedarf einer neuen Struktur der Zusammenarbeit“
Vom BER über Grünheide bis Marzahn: Die Tesla-Entscheidung eröffnet Chancen für die gesamte Hauptstadtregion.
Christian Gräff ist wirtschafts- und baupolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus und Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der CDU Berlin.
Mit der Bekanntgabe des Termines für die Eröffnung des Großflughafens Berlin-Brandenburg (BER) am 31. Oktober 2020 steigt die Hoffnung einer ganzen Region und dies nicht nur, weil der Flughafen jetzt wirklich eröffnet und mehr Flug-Direktverbindungen in den kommenden Jahren für die Hauptstadtregion gewonnen werden.
Mit der Ankündigung zur Ansiedlung der „Giga Factory“ des Automobilherstellers Tesla, der in Grünheide Batterien und Elektrofahrzeuge herstellen möchte, verändert sich die wirtschaftliche Geographie der Region komplett.
Berlins Industrie hatte zur Wiedervereinigung rund 390.000 Arbeitsplätze. Heute sind es in Berlin knapp 105.000 und in Brandenburg knapp 100.000. Damit ist die Region im Vergleich zu deutschen Großstädten, aber gerade im internationalen Vergleich ziemlich hinten dran. Bisher! Denn bei den Technologien der Zukunft, die als „Neue Produktion“ (New Manufactoring Economy/NME) bezeichnet werden, wächst die Region.
Der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung wird sich in den Berliner Südosten verlagern
Vor allem durch die hervorragende Wissenschafts- und Hochschullandschaft hat die Region beste Voraussetzungen, um Talente aus Deutschland und der ganzen Welt anzuziehen. Außerdem lockt Berlin als die Stadt, die vor allem bei jungen Menschen nach wie vor einfach „hip“ ist. Im Vergleich zu anderen Metropolenregionen wie London oder New York sind die Lebenshaltungskosten zum Glück auch noch wesentlich geringer.
Unabhängig davon, ob der BER nun 2020 oder ein wenig später eröffnet, der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung wird sich in den Süden und Südosten der Stadt Berlin und Brandenburgs verlagern. Das ist nicht nur an den Autohäusern entlang der Zubringerautobahn A113 sichtbar. Der Euref-Campus, die Wirtschafts- und Wissenschaftsstadt Adlershof, aber auch Oberschöneweide als Ortsteil von Treptow- Köpenick boomen sowohl als Standorte für schnell wachsende Unternehmen als auch für das Wohnen am Wasser.
Es braucht eine enge Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg
Ist der Flughafen am Netz, werden nicht nur Hotels und Logistikunternehmen, sondern auch alle Unternehmen, die mit Ansiedlungen Geschäfte machen wollen, nachziehen.
Südlich und östlich des Flughafens – aber noch mehr östlich des Berliner Autobahnringes A10 – stehen weitere Flächen für Industrieansiedlungen zur Verfügung. Gleichzeitig wird auch der Platz selbst für klein- und mittelständische Unternehmen in Berlin, gerade im Handwerks- und Industriebereich, knapp, nicht wenige schauen bereits nach Brandenburg.
Sollte die Ansiedlung einer „nationalen Fabrik“ für die Herstellung von Batterien für die Elektromobilität tatsächlich in die Lausitz kommen, ist die Region ein „Hotspot“ für die Elektromobilität – und zwar international.
Aber natürlich ist das auch mit großen Aufgaben für beide Länder verbunden. Fachkräfte ausbilden, neue Wohnflächen ausweisen und vor allem die Verkehrsinfrastruktur anpassen. Das alles wird nur gelingen, wenn beide Bundesländer viel enger zusammenarbeiten. Und übrigens in all diesen Fragen auch die Gemeinden, Landkreise und Berliner Bezirke.
Dafür bedarf es einer neuen Struktur der Zusammenarbeit, aber vor allem einer neuen Kultur des Miteinanders für die Wirtschaftsregion.
Man staunt, wie zwei Ministerpräsidenten derselben Partei aneinander vorbeireden
Klar ist auch heute schon, dass zehntausende Fachkräfte zusätzlich nach Berlin und nach Brandenburg ziehen müssen, um die Funktionsfähigkeit der Ansiedlungsprojekte und der Dienstleister und Zulieferer sicherstellen zu können. Berlin und auch manche Gemeinde um Berlin herum scheint aber genug damit zu tun zu haben, den derzeitigen Bedarf an neuen Schulen und Kitas bauen zu können.
Schlüssel dafür wird der öffentliche Personennahverkehr sein. Nicht nur tausende Mitarbeiter von Tesla wollen sicher zukünftig in Berlin das kulturelle Angebot nutzen und aus der Stadt heraus pendeln, auch der Lieferverkehr wird massiv zunehmen.
Hier muss vor allem Berlin seine Hausaufgaben machen. Nicht kleckern, sondern eiligst klotzen, muss das Motto sein. Die Tangentiale Verbindung Ost muss endlich gebaut werden, schon um den östlichen Nord-Süd-Verkehr innerhalb Berlins aufzunehmen. Die Eingangstore nach Berlin von der A10 kommend, die B158/Ortsumfahrung Ahrensfelde und der vierspurige Ausbau der L33 in Hönow sind nur einige Beispiele dafür, wie groß die Aufgaben sind. Gelingt dies nicht, wird Berlin im wahrsten Sinne des Wortes „stecken bleiben“– und zwar mit dem Verkehr und ohne weitere Ansiedlungen.
Berlin zieht Talente aus der ganzen Welt an
Mit dem mehr als 90 Hektar großen Cleantech Business Park hat Berlin ein einzigartiges Areal für zukünftige Produktionsunternehmen zur Verfügung. Dort passt Elon Musks Designzentrum perfekt hin. 30 Minuten von Grünheide entfernt – und trotzdem innerhalb des Stadtgebietes. Die Chancen für die Berliner Bezirke Neukölln, Treptow-Köpenick, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf waren nie größer, wirtschaftlich zu Regionen in Baden-Württemberg und Bayern mindestens ein gutes Stück aufzuholen.
Was wir in Berlin brauchen: einen Staatssekretär für die „Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg“ in der Senatskanzlei, mit Durchgriffsrecht auf alle Senatsverwaltungen. Er muss in Steuerungsrunden zum Thema Stadtentwicklung/Verkehr und Wirtschaftspolitik-Entscheidungen Weisungsrecht gegenüber allen Senatsverwaltungen haben.
Die Brandenburger Politik ist inzwischen pragmatisch ausgerichtet
Außerdem braucht es endlich einen gemeinsamen, ständigen Ausschuss beider Parlamente: dem Landtag von Brandenburg und dem Abgeordnetenhaus von Berlin, der die gemeinsamen Vorhaben und Projekte begleitet.
Und natürlich müssen wir die Zusammenarbeit auch wollen. Der Berliner Blick von oben herab auf die Brandenburger Politik und Gesellschaft ist völlig unangebracht. Inzwischen ist die Brandenburger Politik pragmatisch ausgerichtet und packt die Herausforderungen – beispielsweise den industriellen Wandel in der Lausitz weg von der Braunkohle – parteiübergreifend und mutig an. Und auch Landes- und Kommunalverwaltung scheinen weitgehend reibungslos zu funktionieren. Man staunt nur, dass zwei Ministerpräsidenten derselben Partei dann doch so viel aneinander vorbeireden. Brandenburg ist jedenfalls auf dem besten Weg. Man hat den Eindruck – auch mental – erfolgreich werden zu wollen und zu werden.
Tun wir alles dafür, dass auch an Berlin Arbeitsplätze und Unternehmenssteuer nicht vorbeigehen.
Christian Gräff