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Auf dem Flughafen Tegel fehlt es an Bodenpersonal.
© Kai-Uwe Heinrich
Update

Flughafen Tegel: Erst BER, jetzt TXL: Der nächste Krisenflughafen in Berlin

Frust? Am BER längst Routine. Ärger macht auch TXL – Fluggäste brauchen in Tegel zunehmend starke Nerven. Eine Analyse.

In Tegel zu landen, ist für Piloten und Fluggäste längst kein Vergnügen mehr. Immer öfter entschuldigen sich die Flugkapitäne bei ihren Passagieren für Verzögerungen und Unannehmlichkeiten. „Ist leider so in Berlin“ – „Tegel macht einfach keinen Spaß“ – „Wer öfters mit uns hierhin fliegt, kennt das Spiel bereits: Es ist wieder mal keiner da, der uns erwartet. Wir werden jetzt mal telefonieren.“ – „Wir entschuldigen uns für das Chaos an diesem Flughafen.“

Diese Kommentare aus dem Cockpit werden über Twitter verbreitet oder erreichen den „Checkpoint“ des Tagesspiegels, derzeit auch als Fluggastbeschwerdeportal erfolgreich. Ärger gibt es vor dem Abflug und nach der Ankunft. Erst muss man oft stundenlang aufs Abfertigen warten und nach der Landung gesellen sich zu den Beschwerden über stillstehende Gepäckbänder – eine Achillesferse des überlasteten Flughafens – seit Wochen Klagen über fehlende Einweiser, um die Flugzeuge in die Parkposition zu lotsen. Anschließend wartet die Schicksalsgemeinschaft an Bord auf den „Rampenfahrer“, der die Treppen an die Türen bugsiert.

Das Kurzprotokoll einer Passagierin vom 11. September: „22.20 Uhr aus Frankfurt gelandet. Halten 30 Meter vor Gate. Einwinker fehlt; 22.49 Uhr Ankunft am Gate, Stillstand, kein Rampenfahrer; 22.55 Uhr Öffnen der Tür.“ Und ein anderer Fluggast schrieb vor Kurzem auf Twitter: „Keine Bodencrew in Sicht. Pilot: Das wird noch einiges an Zeit dauern, setzen Sie sich ruhig. Die Kollegen der Easyjet Maschine nebenan haben 45 Minuten auf Treppen zum Aussteigen gewartet.“

Durchhalten bis Ende 2020

Der Flughafen Tegel muss mindestens noch bis Ende 2020 durchhalten, ehe der BER in Betrieb gehen soll – doch schon jetzt zeigen sich deutliche Erschöpfungssymptome. Einer der beiden Dienstleister für die Flugzeugabfertigung, Wisag Aviation, spricht von „Passagierhöchstständen“, zugleich fehlen Mitarbeiter. „Aktuell sind unsere Kunden am Flughafen Tegel nicht immer zufrieden, was die Qualität der Abfertigungsprozesse betrifft“, sagte Wisag-Sprecherin Jana Eggert. An allen großen Flughäfen der Republik suche man händeringend nach Personal. „Wir haben kurzfristig Mitarbeiter vom Standort Frankfurt nach Berlin versetzt, um dort zu unterstützen.“ Ansonsten hoffe man, dass sich die Lage im Oktober entspanne, zum Ende die Hauptreisezeit.

Flughafensprecher Daniel Tolksdorf bestätigt, dass die Passagierzahlen nach dem Rückgang wegen der Air-Berlin-Pleite zuletzt wieder gestiegen sind, um 6,4 Prozent im August im Vergleich zum Vorjahresmonat. „Tegel arbeitet an der Kapazitätsgrenze.“ Auch dieser Satz gehört inzwischen zum festen Repertoire der Flughafensprecher. „Wir sind nicht glücklich mit der Gesamtsituation. Es gibt regelmäßig Qualitätsgespräche mit den Dienstleistern.“

Allerdings habe man keinen direkten Einfluss. Die Dienstleister würden von den Fluggesellschaften beauftragt und bezahlt. Und die Bezahlung könnte besser sein. Für „einfache Tätigkeiten“ wird derzeit ein Stundenlohn von 11,50 Euro gezahlt – wer schon ein paar Jahre dabei ist und ein Team führt, bekommt 15 bis 17 Euro. An den heißen Tagen des Sommers gab es wohl überdurchschnittlich viele Krankmeldungen. Zudem gärt es in der Belegschaft des Wisag-Unternehmens.

Personalmangel allerorten

Den Personalmangel spüren Lufthansa-Passagiere derzeit bereits beim Einchecken. Die Kranichlinie hat die Abfertigung im Terminal B konzentriert. Vor kurzem, so berichtet ein Betroffener, waren von den rund einem Dutzend Schaltern an einem Sonntagmorgen nur zwei besetzt; die Mitarbeiter sollten mehrere Flüge mit weit über hundert Passagieren abfertigen. Die Schlange der Wartenden wurde lang und länger. Selbst wer gut zwei Stunden vor dem Abflug gekommen war, erreichte das Flugzeug schließlich nur noch mit Müh und Not.

Lufthansasprecher Wolfgang Weber bestätigte, dass das Personal derzeit knapp ist. Ursache sei die Insolvenz des Abfertigungsunternehmens Airlink, das im Auftrag der Lufthansa die Schalter besetzt hatte. Nach der Pleite hatte die Wisag den Auftrag übernommen. Anders als erwartet, hätten aber nicht alle Mitarbeiter den Arbeitgeber gewechselt, sagte Weber. Man hoffe aber, dass sich die Lage in wenigen Wochen bessern werde.

Lange Wartezeiten kann es derzeit auch vor den Sicherheitskontrollen vor allem im Terminal A geben, wo es pro Bereich maximal vier Kontrollanlagen gibt. Vor kurzem waren davon im Lufthansa-Bereich nur drei besetzt. Die lange Schlange vor beiden Eingängen der Gates 4 und 5 bewegte sich nur im Schneckentempo. Auch wer sich eineinhalb Stunden vor dem Abflug angestellt hatte, sah die Zeit bis zum Abflug schwinden.

Beim 12-Uhr-Flug nach München gab der Pilot zwar einen Nachschlag von rund 20 Minuten; danach aber rollte er zum Start. 21 noch nicht kontrollierte Passagiere mussten nach Angaben der Flugbegleiter zurückbleiben. Da die Maschinen nach München und Frankfurt (Main) häufig gut gefüllt sind, war unklar, ob die verhinderten Passagiere mit der nächsten Maschine fliegen konnten.

Die Kontrollen macht Securitas

Die für die Kontrollen zuständige Bundespolizei hat dafür die Sicherheitsfirma Securitas beauftragt. Der Einsatz des Personals richte sich nach dem Verkehrsaufkommen, sagte der Sprecher der Bundespolizei in Berlin, Jens Schobranski. Den Einsatz müsse Securitas planen. An dem beschriebenen Tag hätten in diesem Zeitraum gleichzeitig zusammen 274 Passagiere für drei Flüge kontrolliert werden müssen. Das Öffnen von drei der vier Kontrollspuren sei dafür als ausreichend eingeschätzt worden. Warum es trotzdem zu dem langen Stau kam, sei nicht mehr nachzuvollziehen. Die lange Schlange sei unter anderem wohl auf vorangegangene Verspätungen von Flügen zurückzuführen, sagte Securitassprecher Bernd Weiler.

Nach Angaben eines Passagiers standen trotz der langen Schlange vier Securitas-Mitarbeiter untätig herum. Deren Begründung: Ihre Schicht beginne erst später. Sie könnten sich auch gar nicht irgendwo selbst einsetzen, sagte Weiler. Zudem müssten die Mitarbeiter dort arbeiten, wo sie eingeteilt seien. Ein Einsatzwechsel müsse erst abgestimmt werden.

Die langen Wartezeiten seien weder von der Bundespolizei noch von Securitas zu verantworten, sagte Schobranski weiter. Zuständig sei die Flughafengesellschaft, die vorgebe, wie die Gates belegt werden. Durch die Enge in Tegel müssen die Mini-Kontrollstellen häufig gleichzeitig für mehrere Flüge genutzt werden. An der Position 4/5 gibt es aus dem gemeinsamen Warteraum heraus Zugänge zu den Flugzeugen über zwei Brücken und einen Bus-Transfer, so dass drei Flüge gleichzeitig abgewickelt werden können. Eine zentrale Anlage kann im alten Sechseck nicht eingebaut werden. Wer erst am Schalter und dann vor den Kontrollen stundenlang warten muss, hat weiter einfach Pech. Die Flughafengesellschaft rät, mindestens zwei Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein.

Um Regressforderungen von Flugpassagieren kümmert sich die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Die Anträge auf Schadensersatz wegen Flugverspätungen und -ausfällen sind im ersten Halbjahr bundesweit um 45 Prozent gestiegen, im August sogar um 278 Prozent. Grund sind vor allem die Folgen der Air-Berlin-Pleite und die Streiks bei Ryanair. Nur rund sechs Prozent der Verspätungen im Flugverkehr seien auf „Verzögerungen im Flugzeughandling“ zurückzuführen, sagte Tolksdorf.

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