Verspätete Züge, ausgefallene Flüge: Beschwerden lohnen sich für Reisende
Bahn verspätet, Koffer verschollen, Flug storniert – wer seine Rechte als Reisender nicht durchsetzt, verschenkt leichtfertig Geld.
So viel Arbeit hatte die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) in Berlin noch nie. „Auch im August haben wir einen neuen Rekord an Beschwerden, das steht jetzt schon fest“, sagt Geschäftsführer Heinz Klewe. Vor allem die immer häufigeren Chaostage im Flugverkehr lassen die Zahl der Entschädigungsanträge bei der kostenlosen Schlichtungsstelle stark ansteigen.
Im ersten Halbjahr 2018 haben 7745 enttäuschte Airline-Kunden bei der SÖP eine außergerichtliche Einigung beantragt, 45 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Allein im Juli verdreifachte sich die Zahl auf fast 3000, bis Mitte August kamen schon weitere gut 1600 Beschwerden dazu. An die Berliner Schlichter können sich Flug-, Bahn-, Schiffs- und Busreisende wenden, wenn es Reiseärger gibt und ein Unternehmen eine Entschädigung verweigert.
SÖP ist kostenlos
Im besten Fall lenken die Anbieter rasch ein, sobald die SÖP-Juristen sich einschalten. Das Verfahren ist einfach, von der Bundesregierung anerkannt und für Verbraucher völlig kostenlos. Anders als bei den zahlreichen kommerziellen Dienstleistern wie Flightright, Fairplane oder Airhelp, die bei Erfolg bis zu einem Drittel der erstrittenen Entschädigung für sich kassieren.
Die SÖP wird von mehr als 370 Verkehrsunternehmen finanziert, darunter sind die meisten Airlines, Bahnen, Schiffs- und Busunternehmen sowie Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs. In mehr als 80 Prozent der Fälle werden die Schlichtungsvorschläge, die die SÖP vorlegt, akzeptiert und damit für beide Seiten verpflichtend. Es kann sich also lohnen, sich an die Einigungsstelle zu wenden, wenn sich Anbieter stur stellen.
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Dennoch verzichten viele enttäuschte Reisende darauf, ihre Rechte einzufordern, und lassen sich von Unternehmen einfach abwimmeln. Als Gründe vermutet SÖP-Geschäftsführer Klewe eine Mischung aus Unkenntnis, Bequemlichkeit und Zweifeln, ob sich der Aufwand für eine Beschwerde wirklich lohnt. „Zudem zeigt die Praxis“, erklärt Klewe, „dass bei korrekter und schneller Information seitens des Verkehrsunternehmens Reisende vielfach auch Verständnis für entstandene Unregelmäßigkeiten haben und dann von einer Beschwerde absehen“.
Internetportale Kosten
Auf Basis der häufigen Verspätungen und Flugausfälle rechnen Experten hoch, dass allein in Europa betroffene Reisende sich jedes Jahr mehr als 700 Millionen Euro Entschädigungen entgehen lassen. Daraus haben kommerzielle Fluggasthelfer ein Geschäftsmodell gemacht. Wer ganz schnell Geld haben will, kann seine Ansprüche an einen Sofortentschädiger wie EU-Flight abtreten. Das geht online recht einfach. EU-Flight prüft den Fall und setzt die Ansprüche bei Erfolgsaussicht auf eigenes Risiko gegen die Airline durch. Der Vorteil für den Kunden: Man bekommt unabhängig vom Ausgang des Zwists sofort Geld. Der Nachteil: Die Firma kassiert als Honorar knapp 42 Prozent der strittigen Forderung.
Bei Fluggastportalen dagegen gibt es Geld erst, wenn die Profis die Forderung notfalls vor Gericht erstritten haben. Diese Dienstleister behalten dann meist um die 30 Prozent der Entschädigung als Honorar. Bei Misserfolg muss der Kunde nichts bezahlen, anders als beim Rechtsanwalt, der auch kassiert, wenn eine Klage scheitert. Das Verfahren kann einige Wochen oder auch Monate dauern. Die Verbraucherschützer von Finanztip empfehlen Fairplane, Flugverspätet, Flug-Erstattung und EU-Claim.
Bahn entschädigt direkt
Auch Bahnfahrer leiden oft unter Verspätungen und Zugausfällen. Im Vergleich zu den Airlines sind die gut 1700 Schlichtungsanträge bei der SÖP im ersten Halbjahr aber überschaubar. Die meisten Beschwerden regelt die Deutsche Bahn direkt und gütlich. Allein 2017 zahlte der Staatskonzern in rund 1,5 Millionen Fällen insgesamt 30 Millionen Euro. Viele Unwetter und die Streckensperrung bei Rastatt sorgten auch im Schienenverkehr für Chaostage und trieben die Zahlungen in die Höhe. 2018 sieht es nicht viel besser aus, im Gegenteil: Bis Juni zählte die DB bereits eine Million Entschädigungsfälle, sagt ein Sprecher. Die Bearbeitungsdauer liege aber dennoch im Schnitt bei unter zehn Tagen.
Pauschalurlauber im Stress
Wer bei Pauschalreisen eine Enttäuschung erlebt, ist beim Veranstalter an der richtigen Adresse, falls der Flug verlegt wird, der Koffer verloren geht oder das Hotel nicht hält, was im Katalog versprochen wird. Bei TUI, der Nummer eins der Branche, liegt die Reklamationsquote „recht stabil bei rund zwei Prozent“. Die Reiseleiter seien geschult, möglichst binnen 24 Stunden für Abhilfe oder eine Entschädigung direkt vor Ort zu sorgen, falls ein Gast unzufrieden ist. Damit sei man sehr erfolgreich.
Noch offen ist, wie das neue Pauschalreiserecht wirkt, das seit 1. Juli europaweit gilt. Eine wichtige Änderung: Für Reisemängel kann nun zwei Jahre lang Schadensersatz gefordert werden, bisher verfielen Ansprüche schon nach einem Monat. Wer zu lange wartet und schmutzige Hotelzimmer, schlechtes Essen oder leere Pools nicht gleich vor Ort anzeigt, hat später aber schlechtere Karten vor Gericht.