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Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU, l.) mit US-Botschafter Richard Grenell (l.) und Jörg Steinert vom LSVD.
© Tsp

Queer-Funktionär streitet mit Gleichstellungbeauftragter: „Einen Gesinnungstest in Spandau mache ich nicht“

In Spandau soll, wie in allen Bezirken, die Regenbogen-Fahne gehisst werden. Das Problem: ein Foto des LSVD-Geschäftsführers mit US-Botschafter Grenell.

An diesem Montag will der Regierende Bürgermeister die Regenbogen-Fahne hissen, am Mast am Roten Rathaus, zusammen mit Jörg Steinert. Am Dienstag wird Stephan von Dassel, der Bezirksbürgermeister von Mitte, mit seinen Bezirksstadträten die Flagge hochziehen, natürlich auch mit Jörg Steinert. Der Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) Berlin soll bei beiden Terminen eine kurze Rede halten.

Das hat Tradition, die Flagge ist das Symbol der queeren Menschen. Toleranz, Respekt, Offenheit, das alles sind die Botschaften, die mit dieser Flagge verbunden sind. In allen Bezirken wird es diese Flaggen-Zeremonie geben, in der Regel mit prominenten Bezirkspolitikern. So weit alles normal.

Nicht normal ist allerdings ein Streit, der jetzt zwischen Steinert und Juliane Fischer, der Frauen-Gleichstellungsbeauftragten des Bezirksamts Spandau, entbrannt ist. Es geht um eine Frage: Darf man sich als Funktionär, der queere Menschen repräsentiert, mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika ablichten lassen? Besser gesagt: Mit diesem Botschafter. Steinert jedenfalls sagte dem Tagesspiegel: „Einen politischen Gesinnungstest mache ich nicht.“

Am 4. Juli sollte eigentlich Steinert auch in Spandau die Flagge hissen, zusammen mit Juliane Fischer. Die würde Bürgermeister Helmut Kleebank vertreten, weil der an diesem Tag im Urlaub ist. Aber nun stieß Fischer auf das Foto von Steinert und Grenell und ist höchst alarmiert.

Also schickte sie dem verblüfften LSVD-Geschäftsführer Mitte vergangener Woche eine Frage: „Sie sind auf einem Foto mit Richard Grenell zu sehen, der selbst unter Republikanern noch weit rechts steht. Wie passt das für Sie zu den Themen Vielfalt, Toleranz & Respekt, die wir mit der Hissung der Fahne einfordern.“ Da die Flaggenhissung eines gewisse Symbolkraft besitze, müsse der Bezirk sensibel damit umgehen. Auf eine Anfrage des Tagesspiegels reagierte Juliane Fischer nicht.

LSVD-Geschäftsführer ist empört

Steinerts Verblüffung wich schnell heftiger Empörung. Er warf Fischer vor: „Ihr Demokratieverständnis ist empörend.“ Kurios ist auf jeden Fall schon mal, dass Fischer sich erst jetzt an dem Foto stört. Es wurde bereits im Juli 2018 aufgenommen, beim schwul-lesbischen Stadtfest. Damals veröffentlichte Steinert es auch auf Facebook. Und der Anlass, sagt Steinert, war denkbar banal. Er habe beim Stand des LSVD gestanden, Anlaufpunkt für viele Besucher. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey war da, auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn habe bei ihm gestoppt.

Neben Spahn habe ein Mann in Freizeitkleidung gestanden, den Spahn als US-Botschafter Grenell vorgestellt habe. Mit dem Minister habe er sich dann unterhalten. Es sei um HIV-Präventionsmedikamente gegangen und um die Frage, ob Krankenkassen diese Mittel bezahlen sollten. Der US-Repräsentant, der offen homosexuell lebt, habe dann noch zwei, drei Fragen gestellt. Er, Steinert habe erklärt, dass der LSVD in Schulen gehe und dort um Toleranz und Respekt werbe. Der Botschafter zeigte sich interessiert. „Alles in allem eine Geschichte von wenigen Minute“, sagt Steinert.

Wie üblich bei Besuchen von Polit-Prominenz, sagt Steinert, habe er um ein gemeinsames Foto gebeten. Spahn habe sofort eingewilligt und gefragt, ob auch der US-Botschafter aufs Foto dürfe. So sei das Bild von Steinert und Grenell entstanden. „Botschafter Grenell ist ein Funktionsträger, ich war in diesem Moment auch Funktionsträger, also rede ich mit ihm, das ist doch vollkommen klar. So funktioniert unsere Gesellschaft“, sagt Steinert. Er fühlt sich ausgeladen. „Das ist keine Willkommenskultur von offizieller Seite.“

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Juliane Fischer sagte zwar gegenüber dem Tagesspiegel nichts, aber Steinert schrieb sie in einer Mail, sie habe ihn keineswegs ausgeladen, sie habe lediglich nachgefragt, das sei auch gewissermaßen ihr Job. Doch Steinert ist unverändert sauer. Er schrieb zurück: „Das ist keine Terminvorbereitung, sondern eine Beleidigung. So eine schlechte und respektlose Terminvorbereitung habe ich in 13 Jahren beim LSVD noch nicht erlebt.“

Er will eine förmliche Entschuldigung der Gleichstellungsbeauftragten. Ansonsten werde er der Zeremonie fernbleiben. Botschafter Grenell twitterte: „Die Champions der Vielfalt von gestern sind heute die Intoleranten.“

Sichtlich stolz präsentierte Steinert dann eine Nachricht, die er von Reinhard Naumann, dem Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf erhalten hat. Der SPD-Politiker schrieb als Reaktion auf die Vorgänge in Spandau auf Facebook: „Ich freue mich schon wieder auf unser schon Tradition gewordenes gemeinsames Hissen vor dem Rathaus Charlottenburg.“

Unterstützung durch Bezirksbürgermeister Naumann

Die Fahnen-Zeremonie gehört längst zum politischen Alltag der Politiker in der Stadt. Seit 2007 wird in allen Bezirken drei bis vier Wochen vor dem Christopher Street Day (CSD), der großen Party der queeren Menschen, die Regenbogenflagge gehisst. Sie bleibt bis zum CSD hängen, der dieses Jahr am 27. Juli gefeiert wird. Inzwischen sind auch andere Institutionen einbezogen. Am vergangenen Donnerstag hatte Steinert zum Beispiel einen Termin an der Komischen Oper. Zusammen mit der Leitung des Musikhauses zog er feierlich die Fahne hoch.

Die erste Flaggen ruckelten schon 1996 in die Höhe, damals aber nur bei den Rathäusern Tiergarten, Kreuzberg und Schöneberg. Der LSVD hatte die Idee dazu gehabt. Spandau stieß 2007 dazu, als vorletzter Bezirk. Elf Jahre lang betrachtete man auch im Bezirksamt Spandau die Zeremonie als positiven Termin.

Auf der Homepage des Bezirks ist ein Foto, das Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank 2016 bei der Flaggenzeremonie zeigt. Dann wird Kleebank zitiert: „Gewalt und Diskriminierung gegenüber homosexuellen Menschen muss ein Ende haben. Die Regenbogenfahne ist ein deutliches Zeichen für Toleranz, und für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dieses nach außen zu demonstrieren.“

Sollte Steinert am 4. Juli nicht nach Spandau fahren, kein Problem für ihn. Er hat ja an dem Tag noch einen anderen Termin. Er hisst am Hotel Park Inn am Alexanderplatz eine weitere Regenbogen-Flagge. Nicht allein, natürlich. Mit dabei: Sigrid Klebba, Staatssekretärin im Senat für Jugend und Familie.

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