Gottesdienst für die Opfer: „Eine Wunde in der Stadt“
Am ersten Abend nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz treffen sich Christen und Muslime in der Gedächtniskirche beim Gedenkgottesdienst.
Da stehen sie am Abend vor dem Altar, der Bischof, der Rabbiner, der Imam, der Orthodoxe, und Pfarrer Martin Germer sagt: „Wir stehen zusammen, weil es allein nicht zu fassen ist.“ Die Gedächtniskirche ist überfüllt an diesem Dienstagabend, auch draußen haben sich Hunderte versammelt und verfolgen den Gedenkgottesdienst über Lautsprecher, für sie gab es keinen Platz mehr. Ulrike Trautwein, die Generalsuperintendentin, hat eben von den ungelebten Jahren gesprochen, den unerfüllten Möglichkeiten, die den Opfern des Anschlags nun verwehrt bleiben. Genau in dem Moment hat ganz hinten in der Kirche ein Baby geschrien, und irgendwie war das tröstlich.
Das Kerzenmeer drinnen wirkt winzig im Vergleich zu den vielen, die die Berliner im Laufe des Abends draußen aufgestellt haben, an Litfaßsäulen, Betonmauern, Absperrgittern rund um den Breitscheidplatz. Überall leuchtet es. Es sind vor allem Fragen, die von diesem Gedenkgottesdienst in Erinnerung bleiben werden. Wie soll es jetzt weiter gehen? Wo findet sich Trost? Und wie gelingt es, sich trotz dieser Tat Offenheit und Menschenliebe zu bewahren?
Vielleicht ist es für Antworten zu früh. Auch die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident, die vielen Bundesminister und Landespolitiker sind nicht gekommen, um Lösungen zu predigen. Auf den Liedzetteln steht das Motto des Gedenkgottesdiensts: „Eine Wunde in der Stadt“.
Früher am Tag ist in der Kirche jenes Kondolenzbuch ausgelegt worden, in das sich später auch die Bundeskanzlerin, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Innenminister Thomas de Maizière, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und der neue Innensenator Andreas Geisel eintragen werden. Der goldene Jesus hängt über dem Altar, ein Kerzenmeer zu seinen Füßen, auf einem Pult das Buch.
Muslime haben Angst, dass das Misstrauen noch zunimmt
Eineinhalb Stunden später hält die Pfarrerin Dorothea Strauß eine Andacht. Der Saal ist fast voll, vor allem ganz hinten drängen sich die Menschen, vielleicht der Kameras wegen, die ganz vorne aufgebaut sind. Strauß sagt: „Jeden Mittag beten wir an diesem Ort für den Frieden. Jeden Mittag läuten die Glocken für den Frieden. Heute läuten die Totenglocken.“ Auch sie will verstehen. Sie sagt: „Unser Anfang und Ende kommt von Gott, der unsere Erde gemacht hat.“