Der Anschlag vom Breitscheidplatz und die Politik: Merkel kämpft um den inneren Zusammenhalt des Landes
Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin muss die Politik der Bevölkerung Antworten geben. Ein Kommentar.
Sie weiß es. Angela Merkel weiß um die Wirkung dessen, was in Berlin geschehen ist. Die Wirkung nach außen, in die Welt, aber auch nach innen, in eine tief verunsicherte Republik hinein. Die sich doch gerade erst wieder zu fangen schien, die anfing, den Worten der Bundeskanzlerin Glauben zu schenken, ihr zu folgen, tastend zwar, aber doch deutlich, dass zu schaffen sei, was alles auf das Land wartet. Die Integration der Fremden und des Fremden vor allem.
Und dann das, dieser Anschlag. Nicht nur, dass er die Hauptstadt trifft, sondern dass es auch auch noch mitten ins Herz geht – vor einer Kirche, die außerdem Gedächtniskirche heißt. Damit das Geschehene auch niemals vergessen werde. So zynisch ist der Terror, in jeder Hinsicht.
Der Terror macht auch Angst. Darum ist die Wortwahl in diesen Stunden so wichtig. Da fällt schon auf, und fällt aus dem vorsichtig wägenden Sprachgebrauch des Tages heraus, was der saarländische Innenminister Klaus Bouillon sagt. Er ist der noch amtierende Chef der Innenministerkonferenz. Bouillon spricht aus, was in den oberen Etagen der Politik, im Kanzleramt, in den Staatskanzleien der Länder, den Sicherheitsbehörden sowieso, gedacht wird. Es wird nur nicht ausgesprochen, aus Angst, dass Worte sich verselbstständigen. Bouillon sagt: „Wir müssen konstatieren, wir sind in einem Kriegszustand, obwohl das einige Leute, die immer nur das Gute sehen, nicht sehen möchten.“
Dieser Satz kommt von einem Politiker, der den Menschen und der Praxis nah ist wie wenige. Was seinen Worten besonderes Gewicht verleiht. Der Christdemokrat bricht mit schonungsloser Offenheit ein Tabu, womöglich in der Hoffnung, dass in der Abschreckung zugleich Beruhigendes liegen möge: Wo erforderlich, sagt Bouillon, würden Polizeikräfte in diesem Kriegszustand mit „schwerem Gerät“ antreten. „Das heißt: Langwaffen, Kurzwaffen, Maschinenpistolen.“
Deutlicher als er war keiner. Und sie kann es nicht werden. Denn die Kanzlerin versteht sich als diejenige, die das Land zusammenhalten und auf Kurs halten muss, zumal in diesen Stunden. Damit es ihr Land bleibt, wie sie es einmal in der Hochphase des Flüchtlingszustroms genannt hat. So ist dann Merkels Ansprache abgewogen und dennoch interpretationsfähig. Die Tat werde bestraft werden, „so hart es unsere Gesetze verlangen“. Das ist ja auch die Gefahr: dass die Menschen das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates verlieren, die Lage unter Kontrolle zu behalten. Und ist es nicht genau da, wo die Ultrarechten und die anderen Gegner ihrer anfangs humanitären Flüchtlingspolitik ansetzen, am Kontrollverlust?
Hier ist sie angreifbar, hier liegt ihre Schwäche, die alle Gegner auszunutzen trachten. Die Kanzlerin kommt nicht umhin, ihnen allen zu antworten. Sollte es sich bei dem Täter um einen handeln, der in Deutschland Asyl wollte, um dann dieses Land, ihr Land, anzugreifen, wäre das „besonders widerwärtig“. Und zwar gegenüber den „vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und die sich um Integration in unser Land bemühen“.
Merkels Schärfe zeigt umgekehrt die Schärfe der Argumente gegen sie. Noch an diesem Tag, dem Tag danach, kann es sich der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer nicht verkneifen, ein weiteres Mal die Überprüfung und Neujustierung der Flüchtlingspolitik zu fordern. Als hätte er es nicht schon viele Male getan – und als hätte die Kanzlerin, die doch Bannerträgerin der Gemeinsamkeit in der Union sein soll, ihre Politik nicht längst grundlegend geändert. Seehofer aber hebt es noch auf eine für Merkel besonders schmerzliche Ebene: „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig.“ Das klingt – ja, das klingt fast wie der nordrhein- westfälische Landesvorsitzende der AfD, der von „Merkels Toten“ twitterte.
Wie gut, dass es hier noch den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert gibt, Meister des Worts und Stimme der Vernunft. Der CDU-Politiker warnt vor genau dem, was der CSU-Chef tut: den Anschlag politisch zu instrumentalisieren. Nicht Wut und nicht Verzweiflung dürften die Politik leiten und sie „zum Ruf nach scheinbar einfachen Lösungen verleiten“. Auch Lammert kann Härte: „Wer solche öffentlichen Erklärungen abgibt, zum Teil nur kurze Zeit nach dem Anschlag, will keinen Beitrag zur Lösung eines Problems leisten, sondern den Anschlag für eigene Zwecke nutzen.“ Das lasse jeden Respekt vor dem Leid der Opfer und ihrer Angehörigen vermissen. Wie Seehofer?
Vielleicht werden wir uns an diesen Tag noch erinnern, nicht allein als einen Tag großer Trauer und Verunsicherung. Sondern als Tag, an dem sich eine andere Koalition gedanklich begründete: ein CDU-SPD-Bündnis, unterstützt von links bis liberal unter Ausschluss der CSU. Denn die Worte der politischen Handelnden zeigen doch, dass die Auseinandersetzung nicht an diesem Tag enden wird. Sie beginnt gerade erst so richtig. Immerhin sind es auch schon einige mehr als die Anhänger der AfD, die inzwischen dazu neigen, die Flüchtlingsfrage sehr restriktiv und sehr harsch zu beantworten.
Solche Taten wie die von Berlin greifen unsere Art zu leben an, sagt die Bundeskanzlerin. Ihre Antwort ist wie immer: mehr Zusammenhalt. Viel hängt davon ab, dass sie sich damit durchsetzt. Und spätestens jetzt wird Angela Merkel auch wissen, was los ist in ihrem Land.
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