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Die 39. ADFC-Fahrradsternfahrt fand in diesem Jahr unter dem Motto: "Fahrradstadt Berlin - jetzt!" statt.
© Stephanie Pilick/dpa

Straßenverkehr in Berlin: Eine Stadt steigt um

Das veränderte Verhalten der Verkehrsteilnehmer in Berlin erzwingt eine Debatte über die Neuverteilung des Verkehrsraums. Eines ist dabei sicher: Die Autofahrer müssen Platz hergeben. Ein Kommentar.

Es war eine Sensation, als am 22. Juni 1865 die erste Straßenbahn in Berlin in Betrieb ging. Der Start des öffentlichen Nahverkehrs, erst mit Pferdekraft, später elektrisch, in einer Stadt, die sich anschickte, Metropole zu werden. Es trifft sich, dass in diesen Tagen, in der die Straßenbahn ihren 150. Geburtstag begeht, eine urbane Zeitenwende zu verzeichnen ist. Erstmals hat in Berlin das Auto nicht mehr den Spitzenplatz der Verkehrsträger, unter 30 Prozent der Wege entfallen auf Kraftfahrzeuge, ergab eine bundesweite Untersuchung.

Die meisten Wege werden zu Fuß zurückgelegt, und der öffentliche Nahverkehr verzeichnet die größte Zunahme. Unerwartet ist das auch, weil Berlin seit 2008 um 160.000 Menschen gewachsen ist. Dennoch nahm die Zahl der Autos kaum zu. Das ist nicht Ergebnis schikanöser Anti-Auto-Politik, sondern wohl eines Bewusstseinswandels, bei dem urbane Qualität nicht an der Zahl der Parkplätze und Schnellstraßen gemessen wird, sondern daran, wie Menschen möglichst umweltschonend mit dem Rad, zu Fuß oder der BVG von A nach B kommen.

Bei wachsender Bevölkerung wird es enger auf Berlins Straßen

Gleichwohl bleibt richtig, dass es bei wachsender Bevölkerung enger wird auf Berlins Straßen, und der Verteilungskampf um den begrenzten öffentlichen Raum heftiger. Das veränderte Verhalten erzwingt eine Debatte über die Neuverteilung des Verkehrsraums. Eines ist dabei sicher: Die Autofahrer müssen Platz hergeben. Die Situation wird sich noch verschärfen.

Schon 2019 werden 250.000 Menschen mehr in der Stadt leben als 2008, schätzt nun der Stadtentwicklungssenator. Weniger Spuren für die Autos, breitere Gehwege, mehr Radwege auf den Straßen, daran führt kein Weg vorbei. Ebenso wenig wie am weiteren Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Das Jubiläum der Straßenbahn erinnert daran, dass sie einst in West-Berlin das erste Opfer einer autogerechten Stadtplanung war. Misstraut den grünen Mittelstreifen! Dort fuhr einst überall die Tram – in den dreißiger Jahren hatte Berlin mit 643 Kilometern Länge das weltweit größte Streckennetz. Doch im West-Berlin der Wirtschaftswundernachkriegsjahre galt die Straßenbahn als überholtes Verkehrsmittel – anders als im Ostteil, wo die Tram ein wichtiges Verkehrsmittel blieb, auch beim Anschluss der Neubauviertel Marzahn und Hellersdorf.

Die Renaissance des umweltfreundlichen Verkehrsmittels findet in Berlin bisher hauptsächlich auf dem Papier statt. Ein Armutszeugnis, dass die Tram erst neun Jahre nach Öffnung des Hauptbahnhofs dort ankam. Nirgendwo ist die frühere Teilung der Stadt deshalb noch so deutlich zu sehen wie im Streckennetz der Tram – auch 25 Jahre nach dem Mauerfall finden sich von den 190 Kilometern Steckennetz nur zwei Stummellinien im Westteil. Nicht fehlendes Personal in der Verwaltung ist dafür verantwortlich, sondern fehlender politischer Wille der Landesregierung. Die West-Berliner fremdeln immer noch mit der Tram.

Die Straßenbahn fährt inzwischen auch bis zum Hauptbahnhof. Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel nahm bei der Einweihung auf dem Fahrersitz Platz.
Die Straßenbahn fährt inzwischen auch bis zum Hauptbahnhof. Berlins Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel nahm bei der Einweihung auf dem Fahrersitz Platz.
© dpa

Ist es Zufall, dass erst Verkehrssenator Andreas Geisel, ein geborener Ost-Berliner, die Tramplanung jetzt voranbringen will? Dabei hat Berlin die besten Voraussetzungen, weltweit Modellstadt zu sein. Die Tram ist eine preiswerte Alternative für die Umsetzung eines umweltfreundlichen Verkehrskonzepts – ein Kilometer kostet zehn Millionen, ein U-Bahn-Kilometer dagegen 300 Millionen Euro. Und anders als beim Bus, wo millionenteure Vorrangschaltungen nicht verhindern, dass die Busse im Stau stecken, fährt die Tram meistens auf eigener Trasse.

Das erweiterte Tramnetz ist nur ein Baustein für eine wachsende Stadt

Das Placet der Berliner zu einer anderen Verkehrspolitik hat der Senat längst, er nutzt es nur nicht. Die Pläne für ein erweitertes Tramnetz sind nur ein Baustein, die wachsende Stadt zu erschließen. Breitere Radspuren auf der Straße, Tempo 30 auch auf Magistralen, Rad-Tangenten durchs Stadtgebiet und konsequentes Vorgehen gegen Radspur-Zuparker gehören dazu. Dann wird auch akzeptiert, dass die Metropole für die weiten Wege mit dem Auto einen Stadtring und die Verlängerung der Autobahn A100 benötigt – damit die Stadtstraßen frei bleiben für Fußgänger, Radler und die Tram.

Unter diesem Tagesspiegel-Link finden Sie den Servive zur Geburtstagparty am Alexanderplatz.

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