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Franka Sonntag auf "ihrer" Tram der Linie 50. Mit dem Job ist sie immer noch sehr zufrieden.
© Stefan Jacobs

Jubiläum bei der BVG in Berlin: 52 Tonnen Straßenbahn - "das ist wie fliegen"

Klingeling, hier kommt Franka Sonntag! Sie ist am liebsten abends unterwegs – in ihrer Straßenbahn. Sie hat im Führerstand sogar ein Kühlfach. Und beste Laune sowieso. Eine Reportage von ganz vorn.

Die Leute purzeln fast von der Bordsteinkante, weil das Gedrängel mal wieder riesig ist an der Bus- und Tramhaltestelle am Bahnhof Pankow. Im Getümmel steht Franka Sonntag und wartet auf ihre Straßenbahn, die hinter zwei Bussen hängt. Es ist Freitag, 16 Uhr 04, die Hauptstadt hat Feierabend, Franka Sonntag Dienstbeginn im Cockpit von Zug Nr. 9033, einer „Flexity“ in Langversion, die als Linie 50 zwischen Französisch Buchholz und Wedding unterwegs ist. „Fährt und bremst“, sagt der Kollege, der aussteigt. Ein längeres Gespräch gibt der Fahrplan nicht her; rund hundert Leute warten in der Bahn, und das Display im Führerstand zeigt minus drei. Drei Minuten Verspätung.

Franka Sonntag nimmt Platz, zieht ihre höchstpersönliche orange Frotteehülle über den Joystick, schließt die Türen – und macht sie noch mal auf für die bepackte Frau, die noch angerannt kam. Ein „Kling!“ warnt die Menge am Bordstein, eine minimale Bewegung der linken Hand setzt 52 Tonnen Straßenbahn in Bewegung. Bis zur nächsten Querstraße, aus der es ein Autofahrer nur bis zur Mitte geschafft hat und nun auf den Gleisen steht. Minus vier.

"Muttidienst" nennen sie die kurzen Schichten

Franka Sonntag könnte sich jetzt das erste Mal aufregen, tut es aber nicht. Sie wird es überhaupt nie tun während der nächsten fünfeinhalb Stunden. „Muttidienst“ nennen sie und ihre Kollegen solche kurzen Schichten. Ihre soll um 21 Uhr 13 am Betriebshof Weißensee enden. Es gibt verschiedene Arbeitszeitmodelle, die sich bei knapp 1000 Fahrern so zurechtruckeln, dass es irgendwie passt.

Franka Sonntag fährt am liebsten abends, meist sechs Tage am Stück. In ihren 31 Berufsjahren dürfte sie ein paar Millionen Menschen durch Berlin kutschiert haben. „Ich habe meine Berufswahl nie bereut“, sagt sie. Das Auto ist weg, die Strecke frei, das Grün im Gleisbett frisch gewaschen. Franka Sonntag macht eine ausladende Geste in Richtung der riesigen Frontscheibe und über die Armaturen, die ihr zu Diensten sind. Sie hört die Haltestellenansagen mit, aber sonst herrscht erstaunliche Ruhe hier vorn. „Ist ja auch der Mercedes unter den Straßenbahnen.“ Neun Stunden Dienst ohne Rückenschmerzen, Klingeltasten links und rechts im Haltegriff, Joystick mit Tempomat und Schleichfunktion, ein Kühl- und Wärmfach für den Proviant – das sei schon schön.

Ob man zum Essen kommt, ist eine andere Frage. Im Führerstand ist es ebenso tabu wie Beine hochlegen oder Maskottchen drapieren, obwohl all das ginge. Letzte Woche sei sie die M10 gefahren – täglich sechs Stunden mit je vier Minuten Wendezeit inklusive Wanderung von einem Ende des Zuges zum anderen. Unterwegs dann Partyvolk, viel und laut. Eine Burn-out-Linie. Kein Vergleich mit der 50, die hier an einer Wendeschleife inmitten wogender Gräser endet.

Der Bordcomputer schaltet die Anzeige um für die Rückfahrt zum Virchow-Klinikum und erinnert nach vier Minuten Durchatmen piepend an die Abfahrtszeit. Er stellt auch die Weichen und meldet die Bahn an den Ampeln an, sofern die Technik funktioniert. Wenn das „A“ für die Anmeldung an der Ampel nicht von selbst erscheint, lässt es sich per Tastendruck anfordern. Als letzte Chance bleibt, was Sonntag als „Maren-Gilzer-Variante“ bezeichnet: Sie kauft sich ihr „A“ mit einem Schlüssel direkt am Ampelmast.

Tramfahren bedeutet, für andere mitzudenken

Die Trasse läuft jetzt seitlich neben der Pasewalker Straße entlang, ein Linksabbieger kommt entgegen. Er sieht die Bahn und wartet. Aber sieht er auch den Gegenzug, der aus seinem Rücken naht? Franka Sonntag bremst, um die Kreuzung zu blockieren, bis der Gegenzug sie erreicht. Sicher ist sicher. Hinter der nächsten Haltestelle winkt ein kleiner Junge aus dem Buggy. Die Fahrerin winkt zurück, aber gleichzeitig hat sie schon den Jüngling mit den dicken Kopfhörern im Blick, der doch hoffentlich nicht... – Nein, zum Glück, er schaut und wartet.

Die BVG-Uniform ist kaum noch Anlass für Spott, sagt Franka Sonntag.
Die BVG-Uniform ist kaum noch Anlass für Spott, sagt Franka Sonntag.
© Stefan Jacobs

Die Angst vor einem Unfall fährt immer mit

Aber da hinten kommt schon der Nächste. Ein Radfahrer, forsch und – „Klingeling!“ Straßenbahnfahren bedeutet vor allem, für andere mitzudenken. Wer keinen Zentimeter ausweichen kann und den dreifachen Bremsweg eines Autos hat, kann durch vorausschauendes Fahren viele Menschenleben retten. Franka Sonntag berichtet von regelmäßigen Herzkaspermomenten hier, als sie wieder unter der Pankower Bahnhofsbrücke in die Haltestelle rollt. Ein Rempler auf dem engen Bahnsteig – und schon stolpert jemand vor ihr aufs Gleis.

Solange sich alle an die Regeln halten, ist das Tramfahren eine schöne Sache...
Solange sich alle an die Regeln halten, ist das Tramfahren eine schöne Sache...
© Stefan Jacobs

„Ich wäre gern noch fahrgastfreundlicher“, sagt Franka Sonntag, nachdem sie auf einen Mann gewartet hat. Also öfter mal jemandem dem Weg zeigen, sachte bremsen und beschleunigen, warten. Aber die Fahrpläne sind ausgeknautscht, der Computer meldet nach ein paar Ampelstops auch ohne Stau schon minus sieben. Immerhin ist das „Danke“ des Mannes auch in der Fahrerkabine zu hören. „Man hört allerdings auch die anderen Sachen“, sagt Franka Sonntag und lächelt.

BVG-Uniform ist kaum noch Anlass für blöde Sprüche

Sie könne sich nicht beklagen: Das Klima unter den Kollegen sei trotz zunehmender Arbeitsbelastung besser denn je und die BVG-Uniform seit ein paar Jahren kaum noch Anlass für blöde Sprüche. Allerdings ist Sonntag privat doch lieber in Zivil unterwegs: Man werde immer alles Mögliche gefragt in Uniform, „neulich wollte sogar im Baumarkt jemand von mir wissen, wo was steht. Gut, dass wenigstens die Müllabfuhr anders aussieht.“

Die Straßen haben sich geleert, die Sonne scheint orange durch die Blätter. Franka Sonntag freut sich auf die Feierabendtour: Von der Schönhauser bergab Richtung Prenzlauer Allee auf dem breiten Mittelstreifen, „das ist wie fliegen. In Berlin Straßenbahn zu fahren, ist überhaupt ein Privileg“.

Unter diesem Tagesspiegel-Link finden Sie den Servive zur Geburtstagparty am Alexanderplatz.

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