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Still ruht der ICE. Auf Gleis 3 konnten Reisende am Mittwochabend schlafen.
© Luisa Jacobs

GDL-Streik: Eine Nacht im "Hotelzug"

Die Lokführerstreiks durchkreuzen viele Reisepläne. Beim letzten Streik bot die Bahn in Berlin einen Ruheservice in einem ICE an. Die Stimmung im "Hotelzug" war gelassen.

Einen Hotelzug stellt man sich ganz anders vor. Mit weißen Bettlaken über den Sitzen vielleicht, oder Frischetüchern auf den Toiletten. Der Hotelzug, der in der Nacht zu Donnerstag auf Gleis 3 am Berliner Hauptbahnhof ruht, ist ein ganz gewöhnlicher ICE, so einer, wie er zu jeder Stunde von Berlin nach Hamburg fährt – oder zumindest fahren sollte. Der ICE, der heute Nacht all den Gestrandeten am Hauptbahnhof ein Dach bieten soll, hat die gleichen blauen Sitze mit den gleichen hellblauen Kopflehnen und die gleiche Holzverkleidung in Buche-Optik. Im Bordbistro stehen wie immer Königsberger Klopse auf dem Menü – nur, dass die jetzt nicht mehr serviert werden.

Tomek ist das alles herzlich egal. Er hat die schweren Arbeiterschuhe ausgezogen und die Füße auf die Sitze gegenüber abgelegt. Ein paar Reihen weiter albern zwei Jungs. „Ukrainer“, sagt Tomek, der Pole. Die vergangenen zwei Nächte hat Tomek am Hauptbahnhof von Hamburg verbracht, und zwar draußen. „Nicht so schön gemütlich wie hier“, sagt Tomek. Vom Streik der GDL, der am Donnerstagabend enden sollte, weiß er nichts. Er weiß nur, dass er hier bis sechs Uhr im Warmen sitzen kann. Dann ruft hoffentlich sein Chef an und er erfährt, auf welche Baustelle er als Nächstes fahren soll.

Im Osten wird noch mehr gestreikt

Neben Tomek sitzt Rainer, seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Rainer kommt wegen der Streiks nun schon zum siebten Mal nicht mehr nach Hause. Aber am meisten ärgert ihn, dass in den Medien immer nur über die Streiks im Westen berichtet wird. „Dabei sind die Streiks im Osten doch viel schlimmer“, sagt Rainer und blickt seinen Sitznachbarn fragend an. Keine Reaktion. Rainer erklärt ihm trotzdem, warum das so ist: „Weil im Osten noch viel mehr Lokführer angestellt sind und die sind nicht verbeamtet wie im Westen.“ Tomek nickt jetzt eifrig zu Bestätigung und wischt mit dem Daumen durch die Fotos auf seinem Handy. „Hier guck, meine Frau und hier mein Bandito“, sagt er zu Rainer. Fünf Jahre sei sein Sohn alt und er wolle auch mal Handwerker werden, wie der Papa. Rainer guckt nicht mal auf. „Das mit den Angestellten ist so wegen der Deutschen Reichsbahn, in der DDR gab es nämlich keine Beamten“, murmelt er in den Kragen seiner Jacke.

Der nächste Zug fährt erst um 4 Uhr

Draußen fährt ein Zug vorbei. Es ist die Regionalbahn nach Jüterbog, eine der letzten, die an diesem Abend noch fahren. „Na, anscheinend können sie es ja doch noch“, sagt Rainer. Tomek nickt und für einen Moment scheinen die zwei beim selben Thema zu sein. Drinnen, an Tomek und Rainer vorbei, patrouillieren Männer der DB-Sicherheit durch die Abteile. Sie gucken skeptisch auf das ungleiche Paar, laufen weiter, sagen nichts. Hauptsache, keiner macht Stress heute Nacht. In den anderen Abteilen geht es ruhiger zu. Ein junger Mann spielt Diamond Dash auf seinem Tablet, ein anderer vergräbt den Kopf in den Armen und versucht zu schlafen. Auf dem Tisch steht ein Pappkarton mit kalten China-Nudeln.

Drei Waggons weiter fläzen sich Leo, Benedict und Florian in die Sitze, alle drei 15 Jahre alt. Sie sollten jetzt im Zug nach Hause sitzen. Zuhause ist Bern, der nächste Zug fährt aber erst wieder um 4 Uhr. Stattdessen liegen sie auf den blauen Sitzen. Florians Kopf auf Leos Schoß, die Beine nach oben gestreckt. Aus dem iPhone scheppert Billy Talent. An ihren Koffern lehnen Longboards. Es ist gemütlich hier und eigentlich stört sie der extra Aufenthalt gar nicht. Es hat ihnen ja gefallen in Berlin: der billige Döner, die Clubs, die Mädchen. Und das Beste in Berlin? „Die öffentlichen Verkehrsmittel“, sagt Benedict und muss lachen. Ob es beim nächsten Bahnstreik wieder genauso entspannt zugeht?

Luisa Jacobs

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