Kreativität in den Behörden: Eine Ideenschmiede für die Verwaltung
Beim Creative Bureaucracy Festival des Tagesspiegels traf sich die internationale Avantgarde reformwilliger Beamter. Wie sieht die Verwaltung der Zukunft aus?
Am zweiten und letzten Tag des diesjährigen „Creative Bureaucracy Festivals“ hatten mehr Gäste ihr Kostüm oder Sakko im Hotel gelassen als zum Auftakt am Freitag. Bequemere T-Shirts, Blusen, Hemden, Pullis, Turnschuhe und Rucksäcke dominierten das Bild.
Womöglich hatte die studentische Atmosphäre auf den langen Fluren des Campus der Humboldt-Universität Unter den Linden abgefärbt auf die rund 2000 Teilnehmer. Der Casual Look tat der Stimmung jedenfalls gut, es ging „per Du“ zu und kollegial, aber dennoch konzentriert in vielen der rund 90 Workshops und Diskussionsrunden am Sonnabend.
Zum zweiten Mal hat der Tagesspiegel das Creative Bureaucracy Festival veranstaltet – mit Unterstützung von insgesamt rund 100 Partnern, darunter dem Bundeskanzleramt, den Bundesinnenministerien Deutschlands und Österreichs und der Initiative „Hauptstadt machen“, mit der Berlins Senat Mitarbeiter anwerben möchte.
Anders als auf manch klassischem Behördenkongress geht es hier nicht um den Vergleich von Schulterklappen, eher um einen hierarchielosen Austausch von Fachleuten aus dem In- und Ausland.
Wie können wir Formulare ersatzlos abschaffen? Wie können wir uns als behördeninterne Beratungsabteilungen vernetzen, um nicht unterzugehen in unseren Riesenapparaten? Wie können wir „Verwaltungsrebellen“ uns zusammenschließen?
Eine gleichnamige und bundesweit aktive Initiative aus Essen sucht nicht die Querulanten, sondern die Querdenker, die bei allen Revolutiönchen, die sie anzetteln, immer das Gemeinwohl und das Wohl der Verwaltung im Blick behalten. In einer anderen Diskussionsrunde wurde es ganz grundsätzlich: Wie können wir Vertrauen bei den Bürgern zurückgewinnen?
61 Prozent der Bürger halten den Staat für überfordert
Das nämlich scheint zunehmend verloren zu gehen, wie eine Ende August veröffentlichte Forsa-Umfrage ergeben hat: Demnach halten 61 Prozent der Bundesbürger den Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben für überfordert.
„Kein Wunder“, sagte Karoline Herrmann, die Vorsitzende der Jugendabteilung vom dbb Beamtenbund und Tarifunion (dbb) und hauptamtlich Mitarbeiterin einer Jugendbehörde in Mecklenburg: Im Vergleich zu 1991 gebe es 800.000 Mitarbeiter weniger im öffentlichen Dienst, die Behörden hätten aber immer mehr Aufgaben übertragen bekommen – etwa im Jugendbereich oder bei der inneren Sicherheit.
Man darf nicht einfach nur das Wort "Bürger" durch "Kunden" ersetzen
Oft würden Behördenleiter denken, man müsse einfach nur das Wort „Bürger“ durch „Kunden“ oder „Klienten“ ersetzen. „Damit macht man es sich zu einfach. Dann muss man den Mitarbeiterinnen auch die entsprechenden Ressourcen und Entscheidungsbefugnisse geben. Das ist dann aber oft politisch nicht gewollt“, sagte Herrmann.
Sabine Smentek, heute Berlins Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik, bezeichnete in einer Diskussionsrunde die Warteschlangen vor dem Lageso in der Moabiter Turmstraße im Jahr 2016 als „Staatsversagen, als die Spitze einer langen Kette von Vertrauensverlusten“.
Damals sei es dem Staat – auch ihr selbst – nicht möglich gewesen, ein menschenwürdiges Ankommen zu organisieren. Dieses Ereignis habe – zumindest in Berlin – dazu beigetragen, dass die Verwaltung generell hinterfrage, ob Menschen durch die Gegend rennen müssen, um Nachweise zu bringen. Ein Fortschritt.
Insgesamt gab's 150 Veranstaltungen
Die Digitalisierung von Prozessen könnte eine Lösung sein, das Thema spielte in vielen der insgesamt 150 Veranstaltungen des Festivals eine Rolle. Was aber, wenn Sachbearbeiter A den Papierbrief eines Bürgers einscannt, um ihn digital an Sachbearbeiter B zu schicken, der ihn dann wieder ausdruckt, um ihn einer Vorgesetzten vorzulegen?
In einem Workshop bat Peter Kuhn, wissenschaftlicher Mitarbeiter des privaten Forschungsinstitutes Fortis aus Bayern, die 30 Teilnehmer aus Behörden, Vorgänge zu nennen, bei denen eine Behörde zwingend Kontakt – schriftlich oder gar persönlich – zum Bürger brauche: Kindergeld? Ummeldung? Antrag auf Arbeitslosengeld?
Die meisten schienen verblüfft, als Kuhn berechtigte Zweifel anmeldete und hinterfragte, ob man dafür wirklich einen Kontakt brauche. „Und bei Eheschließungen? Soll der Bürger wie bei Facebook ‚Beziehungsstatus: verheiratet‘ eintragen?“, witzelte einer. „Ja, vielleicht“, meinte Kuhn.
Innovationen müssen nicht immer komplex sein. Mit vielen Nachfragen sahen sich die Leiter des „Flexiteams“ aus dem Bundesministerium für Arbeit konfrontiert. Es sind neun Leute aus dem mittleren Dienst und aufwärts, die bei Bedarf für drei bis neun Monate in einer Abteilung einspringen, sich dort in fremde Materie einarbeiten.
Sie sind keine Lückenbüßer, eher Fallschirmjäger, die auch mal helfen, Innovationen in Abteilungen zu tragen, deren Stammmitarbeiter bisher resistent gegen Reformen schienen oder Inselwissen gehortet haben.
Beamte aus Kanada, Frankreich und Italien berichten
Im „Akademie“-Raum des Festivals waren zum Abschluss große Wände extrem bunt bemalt mit Organigrammen. Junge Beamtinnen und ein Beamter aus Kanada, Frankreich, Italien und den Vereinigten Arabischen Emiraten – alle gekleidet, als habe man sie zwischen Kreuzkölln und Mitte aus einem Café entführt – berichteten von ihren Innovationen.
Eine Mitarbeiterin des „Schweizer Staatslabors“ brachte ihr Vorgehen wohl weltweit mustergültig auf eine Folie. Erstens: Problem und Zielgruppe definieren. Zweitens: Lösung erarbeiten. Drittens: Lösung durchspielen. Viertens: Prototypen entwickeln. Fünftens: Lösung implementieren. Fertig. Warum so kompliziert?
„Inzwischen ist das Festival ein globaler Ort, um Modelle kennenzulernen, die Bürgern und Bürokraten das Leben erleichtern“, sagte Tagesspiegel-Herausgeber und Gastgeber Sebastian Turner. Sein vorläufiges Fazit der Veranstaltung: „Menschen mit Vorurteilen sollten das Festival meiden. Sie werden erschüttert.“