Der Tagesspiegel macht keine Aprilscherze, oder doch?: Eine große Idee für eine große Fläche in Berlin
Am 1. April werden üblicherweise Scherz-Nachrichten in Umlauf gebracht. Doch wir müssen verzichten. Von einer Meldung, die zu gut war, um sie zu drucken.
Irgendwann hört der Spaß auf, selbst am 1. April. Sie hatten sich schon so auf die am heutigen Tag übliche Scherz-Nachricht gefreut? Tut uns schrecklich leid, Sie müssen diesmal darauf verzichten. Nicht, dass uns keine eingefallen wäre. Eine sehr gute sogar. Eine zu gute! Das war das Problem.
Vor, sagen wir mal, 30 Jahren waren April-Scherze im Tagesspiegel streng verpönt. Gesucht (und mitunter gefunden) wurden vielmehr verrückte Geschichten, von denen jeder sagte: Aprilscherz! Und doch stimmten sie. Damals ging das noch, Spaß und Ernst, Satire und Wirklichkeit oder, um mit Goethe zu reden, „Dichtung und Wahrheit“ waren noch halbwegs unterscheidbar, ihr Gegensatz allgemeiner Konsens.
Viel mehr als ein Stutzen, Kopfschütteln, kurze Verärgerung seines Publikums, gefolgt von verstehendem Lachen, riskierte der Spaßmacher nicht. Es gab ja auch noch keine sozialen Medien. Heute dagegen ist es vom harmlosen Scherz zur heftig debattierten, von Shit Storms begleiteten Fake News oft nur ein kurzer Weg, da wird man vorsichtig.
Bebauung des Tiergartens - nicht möglich?
Zum Beispiel, wenn es um eine teilweise Bebauung des Tiergartens geht. Undenkbar, denken Sie, nicht möglich? Als April-Scherz schon. Der Stadt mangelt es zunehmend an Baufläche, da kommt doch solch ein riesiges Areal gerade recht. Ein paar Bäume mehr oder weniger, was macht das schon, wenn man nur die Möglichkeit erhält, den bezirklichen Schulentwicklungsplan einer Realisierung näher zu bringen.
Und so hat sich eben – Vorsicht: Fiktion! – der für Schul-, Sport- und Immobilienangelegenheiten zuständige Stadtrat Carsten Spallek (CDU) die Karte vom Tiergarten vorgenommen und dessen südöstlichen Teil kurzerhand für einen Campus verplant, groß genug, um einmal etwa 8000 Schülerinnen und Schüler aufzunehmen. Es gebe „in Mitte praktisch keine freien Baugrundstücke mehr, die groß genug für eine Schule sind“. Womit er ja wohl sogar recht hätte. Plausibel klingt es allemal, wie auch die weiteren Argumente und positiven Stellungnahmen, die sich zu solch einem Plan leicht erfinden lassen.
Der vorgesehene Standort zwischen Lennéstraße und der Straße des 17. Juni, etwa gegenüber des Holocaust-Mahnmals, besteche laut Spallek bereits durch die zentrale Lage und die gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die dann verschwindenden Liegewiesen? Im Sommer zertrampelt und vertrocknet, von nur geringem ökologischen Wert. Die abzusägenden Bäume? Nähern sich ohnehin ihrer Altersgrenze, und viele müssten ja nicht dran glauben. Nur so 80 bis 225.
Was würden Behörden zu den Plänen sagen?
Was könnten andere Behörden zu den Plänen sagen, zum Beispiel die Polizei, der der Tiergarten mit seinen verschlungenen, dunklen Wegen doch als hochproblematisch gelten muss? „Aus einsatztaktischer Sicht wären wir froh über jeden Quadratmeter weniger Park.“ Und das käme auch den Menschen aus muslimischen Ländern entgegen, die sich von den freizügigen Sonnenanbetern in diesem Teil des Tiergartens belästigt fühlen – eine leicht imaginierbare Reaktion des Landesrates für Integration und Gendergerechtigkeit.
So unser Gedankenspiel zum 1. April, als heutiger Berlin-Aufmacher fest eingeplant – siehe Bild. Doch dann kamen die Zweifel: Ist das drängende Thema des knappen Berliner Platzes, der darum tobenden Verteilungskämpfe nicht eine Nummer zu groß für einen Aprilscherz? Und gibt es nicht viele wichtige reale Ereignisse, über die stattdessen an so prominenter Stelle zu berichten wäre? Es gibt sie, zum Beispiel den anstehenden BVG-Streik. Und der ist leider kein Scherz.