Corona-Panne in Berliner Gesundheitsamt: Eine Erzieherin sollte weiter zur Arbeit, obwohl ihr Mann Symptome hatte
Eine Frau aus Wilmersdorf wurde vom Amt und vom Arbeitgeber weiter in die Kita zitiert, obwohl ihr Mann zu Hause mit Symptomen kämpfte.
Dass die Gesundheitsämter in Berlin chronisch unterbesetzt sind, ist bekannt. Dass dabei aber offenbar auch auf Personal zurückgegriffen wird, das die eigene Verordnung nicht ganz versteht, zeigt dieses Beispiel aus Charlottenburg-Wilmersdorf.
Der 43-jährige Stephan L. bekam am Samstag vor zwei Wochen mitgeteilt, dass ein Mitarbeiter von ihm Corona hat. Die beiden standen zuvor im engen Kontakt, waren gemeinsam essen und hatten auch im Freien nebeneinander gesessen. Für Stephan L. war sofort klar, dass er als sogenannter „Erstkontakt“ in Quarantäne gehörte.
Doch wie sollten sich seine Frau Anne L. und ihr vierjähriger Sohn verhalten? Nach einem Telefonat mit dem zuständigen Gesundheitsamt, sagte ihm ein Mitarbeiter, dass er selbst zwar nicht das Haus verlassen dürfe, seine Frau aber weiterhin zur Arbeit gehen sollte.
Anne L. machte das stutzig. Sie ist Erzieherin, also kontaktierte sie ihre Kitaleitung, die ihr aber mitteilte, dass sie nur zu Hause bleiben könne, wenn das Gesundheitsamt auch für sie eine Quarantäne-Pflicht anordne. „Sonst könne ja jeder jederzeit zu Hause bleiben, hieß es“, sagt Anne L. in einem Telefonat mit dem Tagesspiegel. Sie brauchte also eine offizielle Anordnung.
Es folgte ein Telefonwechsel zwischen Gesundheitsamt und Kitaleitung. Ein Pingpong. Die Mitarbeiter vom Gesundheitsamt sagten weiter, dass sie zur Arbeit und ihr Sohn in die Kita gehen sollten. Sie beide seien ja schließlich „kein Erstkontakt“ der infizierten Person gewesen.
Im „Inneren fühlte sich sein Körper gruselig“ an
Doch immerhin wohnen sie mit Stephan L. zusammen, Anne L. schläft mit ihm im Ehebett. Dem 43-Jährigen ging es derweil, drei Tage nach der freiwilligen Quarantäne, schon deutlich schlechter. „Am Dienstag hatte mein Mann trockenen Husten, ihm war heiß, er war schläfrig und er sagte selbst, dass er sich im Inneren des Körpers ganz gruselig fühlte“, sagt Anne L.
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Den beiden war sofort klar: „Das ist Corona“. Getestet worden war Stephan L. zu dem Zeitpunkt noch nicht. Er dürfte ja nicht das Haus verlassen und zum Testen war noch niemand vorbeigekommen.
Anne L. wollte also keinesfalls mit diesem Wissen in die Kita, also nahm sie sich frei und blieb mit dem Kind bis zum Wochenende zu Hause. Als Erzieherin konnte sie sich am Dienstag bei einer Teststelle testen lassen und erhielt zwei Tage später, das Ergebnis. „Mein Test war negativ, aber wegen der Inkubationszeit war dies alles andere als ein sicheres Ergebnis, es konnte leicht verfälscht sein, teilte man mir mit“, sagt sie.
Erst nach sechs Tagen bot das Gesundheitsamt einen Test an
Erst am Freitag, sechs Tage nach Kontaktaufnahme mit dem Gesundheitsamt, kam ein Mitarbeiter bei der Familie vorbei, um Stephan L. zu testen. Am Montag, also noch mal vier Tage später, wurde ihm mitgeteilt, dass er Corona positiv war.
An diesem Tag war Anne L. allerdings schon wieder zum Arbeiten in der Kita, so hatte es der Träger, der zu dem Fall auch mit dem Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg in Kontakt stand angeordnet. Ihr Sohn war ebenfalls im Kindergarten, weil ihr kranker Mann ihn ja nicht alleine betreuen konnte.
Kita und Gesundheitsamt sagten, sie solle zur Arbeit gehen
Als Anne L. dann von dem Testergebnis erfuhr, sei sie fast vom Stuhl gefallen. Sie rief erneut beim Gesundheitsamt an und die Mitarbeiter sagten ihr noch immer, dass sie weiter zur Arbeit gehen sollte. „Passt schon, haben sie immer gesagt“, erinnert sich Anne L.
Überhaupt jemanden ans Telefon zu bekommen, sei schon ein riesiges Problem gewesen. Dann einen Tag später hatte ihr Mann endlich eine kompetente Mitarbeiterin am Apparat, die sich mit den aktuellen Corona-Regelungen auskannte. „Dann war klar, dass ich sofort in Quarantäne muss“.
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Die Mitarbeiterin gab außerdem zu verstehen, dass es scheinbar so wenig Personal derzeit gebe, dass wohl auch sehr schlecht geschultes Personal dort arbeiten würde. „Wir haben viele neue Leute einstellen, die wurden vielleicht noch nicht so gut eingearbeitet, haben sie meinem Mann gesagt“, sagt Anne L.
Trotz eines erneuten negativen Befunds muss Anne L. und ihre Familien noch weitere Tage in Quarantäne verbringen.
Der Stadtrat verteidigt sein Personal
Der Gesundheitsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Detlef Wagner, kann sich nicht richtig vorstellen, dass das tatsächlich genauso passiert ist, schließt aber nicht aus, dass „Menschen auch mal Fehler machen“.
Richtig sei, sagt Wagner, dass nur Personen mit Erstkontakt in Quarantäne müssten. „Die Familie allerdings nicht“. Sollte die Kontaktperson allerdings deutliche Symptome aufweisen, wie in dem Fall von Stephan L., hätte die Familie zu Hause bleiben müssen.
„Unsere Teams fragen dann sofort, gibt es Familie und Kinder und neue Mitarbeiter haben immer jemanden an ihrer Seite, den sie um Rat fragen können“. Manchmal rutsche allerdings eine Zwischeninformation durch, manchmal sagten die Kontaktpersonen nicht deutlich genug, dass sie tatsächlich Symptome hätten, sagt Wagner.
„Wir arbeiten am Limit“
So war es in dem Fall von Stephan L. aber nicht. Der Stadtrat räumt ein, dass momentan viel neues Personal eingestellt werde, lobt aber auch dessen Arbeit. „Gerade in Charlottenburg-Wilmersdorf haben wir es bisher geschafft, alle Infektionsketten nachzuverfolgen“, sagt er.
Auch in Pflegeheimen wurden Ansteckungen schnell wieder gestoppt. „Wir schaffen es noch immer, arbeiten aber am Limit“. Auch dass, die Testkapazitäten in einigen Laboren knapp würden, bereite dem Stadtrat Sorge.
In dem geschilderten Fall sieht er aber auch die Kitaleitung und den Kitaträger in der Verantwortung. „Man müsse doch auch seinen Mitarbeitern vertrauen und in der Pandemie nicht immer erst auf ein Dokument warten“. Nur wenn alle sich verantwortungsbewusst verhalten, sei diese Krise zu bewältigen. Verantwortungsbewusst gehandelt hat vor allem Stephan L., der sich sofort selbst isoliert hat und niemanden angesteckt hat.
Transparenzhinweis: Stephan L. ist Gastronom, seinen vollständigen Namen möchte er deshalb nicht nennen, weil er Angst um seinen Betrieb hat. In seinem Betrieb halte er sich „penibel“ an die Corona-Regeln, wie er sagt. Von seinen Mitarbeitern habe sich niemand infiziert.