Tagesspiegel-Spendenaktion: Ein Stück Würde im Suchtcafé
Das Suchtcafé der Caritas in Berlin-Mitte bietet Menschen in sozialer Not einen Ort der Ruhe und Hoffnung. Aber jetzt sind neue Duschen dringend nötig - und alle hoffen auf die Spenden der Tagesspiegel-Leser
„Sonne“ betritt nicht einfach das Café, er stürmt herein, als wollte er es besetzen. Dann steht er da, breitbeinig, zwischen den Tischen mit den Tannenzweigen und Kerzen, ein stämmiger Mann mit Lederjacke, Baseballkappe und Sonnenbrille und sagt dröhnend nur ein Wort: „Duschen.“
„Sonne“ sagt seinen echten Namen nicht, „,nenn mich Sonne, das reicht“. Es reicht vollkommen, im Suchtcafé der Caritas in der Nähe des Hackeschen Markts geht's nicht um Namen, da geht es darum, dass Besucher wie „Sonne“ sich einfach hinsitzen können, keine Fragen beantworten müssen, dass sie sich wohlfühlen. Hinterm Tresen, auf dem Tassen aufgereiht sind, steht Alexandra Burghardt, die Projektkoordinatorin des Cafés, und sagt: „Wir bieten einen Ort, an dem Menschen wieder zur Ruhe kommen.“
Menschen wie die drei Männer und die Frau, die an einem Tisch sitzen und Karten spielen. Menschen wie der Mann, der seinen Pullover bis zum Mund gezogen hat und hastig in einer Zeitung blättert. Oder die Männer, die aus zwei Obst- und Gemüsekörben Bananen fischen. Menschen, die süchtig sind, meist alkoholkrank, einige seit Jahrzehnten. Viele sind zugleich obdachlos.
Hier haben sie ihre Insel. Ein Rückzugsort, einen Platz, wo sie sich fallen lassen können und wo man sie seelisch auffängt. Denn für diese Menschen, sagt Reno Neumann, „geht es um ein würdevolles Überleben“.
Hier bekommt man das Gefühl, Mensch zu sein
Reno Neumann ist Streetworker, er kennt viele seiner Gäste von der Straße, aus dem Kiez. Er hat sie dort angesprochen und mit den Angeboten des Cafés überzeugt. Dann sind sie gekommen, weil es verlockende Angebote sind für gestrandete Menschen. Zweimal warmes Essen pro Woche, Waschmaschine, kostenloses Duschen. „Sonne“ kommt wegen der Dusche, auch wegen ihr. Er kommt aber vor allem, weil er hier wieder das Gefühl hat, Mensch zu sein. „Viele dieser Leute sind ja obdachlos, sie sind isoliert, sie kennen das gar nicht, dass man sich um sie kümmert“, sagt Neumann.
Der poltrige Ton von „Sonne“ sagt nichts aus. Das war Spaß, jeder hier hat das verstanden. Die Wärme, die das Café und seine Mitarbeiter ausstrahlen, die landet auch im Herzen von Menschen, die aus der Kälte kommen. Aus der meteorologischen und der seelischen Kälte.
An einem Tisch sitzt Belhe Zaimoglu, mit Wollmütze und rot lackierten Fingernägeln, und sagt: „Alexandra ist für mich Mutter, Schwester, alles gleichzeitig, und Reno ist Bruder und Vater für mich.“ So sind die Beziehungen hier untereinander. Belhe Zaimoglu kommt seit vier Jahren.
Das Café soll eine Durchgangsstation zur Suchthilfe sein
Nur ist das Café keine Wärmestube. Zu der gibt's einen entscheidenden Unterschied. „Wir kümmern uns um die Menschen“, sagt Alexandra Burghardt. Ein paar Meter, im Hinterhaus, liegt die Suchthilfe der Caritas, das ist wichtig zum Verständnis. Burghardt und Neumann möchten mit Hilfe der Café-Atmosphäre den Weg ins Hinterhaus ebnen. Sie bieten nicht bloß Kekse und Kaffee, sie bieten auch einen Lösungsansatz, um der sozialen Not zu entkommen. „Im Optimalfall“, sagt Neumann, „ist einer dieser Menschen in drei Jahren clean oder trocken.“ Aber letztlich muss es jeder selber wollen. Zwang hilft nicht.
Ein langwieriger Prozess. „Diese Menschen sind teilweise jahrzehntelang suchtkrank, die haben Angst vor der Bürokratie“, sagt Neumann. „ Für uns ist es schon ein riesiger Erfolg, wenn jemand zur Suchthilfe geht.“
Er hat allerdings auch ein Gegenbeispiel. Einen Punk, Mitte 20, schwer alkoholabhängig, gefangen in einem trüben Alltag, dessen einzige Konstante die Perspektivlosigkeit war. Neumann hatte ihn 2008 kennengelernt, der Punk kam ins Café, sog die Atmosphäre auf, und irgendwann ging er ins Hinterhaus, zu den Suchtexperten. „Nach einem Jahr war er trocken“, sagt Neumann. Aber es ist eine Geschichte, die mit einem Seufzer endet. „Das ist die absolute Ausnahme.“
Doch in diesem Café geht es um die kleinen Schritte, um die winzigen Erfolge. Wenn Menschen ein Gefühl von Geborgenheit empfinden, ist das schon mal ein gelungener Tag. „Zu uns kann jeder kommen“, sagt Alexandra Burghardt. Eine Dusche, saubere Kleider, es sind schon Kleinigkeiten, die das Selbstwertgefühl steigern.
Aber die Duschen im Café sind abgenutzt, kein Wunder. Im Schnitt kommen ja täglich 20 Personen ins Café, die Duschen sind ständig in Betrieb. Man muss im Hinterhaus über steile Treppenstufen gehen, bis man zu den Duschkabinen kommt. Sie sind eng, die Kabinen, sie haben einen hohen Einstieg, die Belüftung ist schlecht. Deshalb benötigt das Suchtcafé Spenden. Mit den Geldern sollen neue Duschen installiert werden.
Duschen sind wichtig für die Würde. Der Frau, die Karten spielt, sieht man die Obdachlosigkeit nicht an, sie wirkt gepflegt und unauffällig in ihrem blauen Pullover. Auch Behle Zaimoglu fällt nicht auf, obwohl sie die seelische Wärme des Cafés benötigt. Immerhin, sie hat eine kleine Wohnung. Aber ihre Probleme offenbart sie mit Fotos jener Bilder, die sie gemalt hat und die sie nun ausbreitet. Ein Selbstportrait ist dabei. Eine Frau mit großen traurigen Augen, die über einem rot geschminkten Mund liegen, umgeben von dunkelroter Fläche. Ein melancholischer Farbton. „Das passt zu mir“, sagt sie, „ich leide an Depressionen.“
Ein Drittel aller Besucher des Cafés sind Frauen. Ihr Leben draußen, in der Kälte, auf der Straße, ist noch mühseliger als das der Männer. Es kommen viele hierher, von der knapp 20-Jährigen bis zum Siebzigjährigen. Viele der Besucher brauchen erst mal Ruhe. Deshalb dürfen sie einfach auch nur stumm dasitzen. Alexandra Burghardt und Reno Neumann haben ein Gespür, wann einer reden will. Aber meist öffnen sich die Menschen ohnehin von selbst.
Gesundheit ist ein großes Thema, viele leiden unter offenen Wunden oder Ausschlägen. Auch ein festes Zuhause ist permanenter Gesprächsstoff. Neumann bemüht sich um Wohnheimplätze für die Besucher, ein schwieriges Thema. Vier Suchtkranke hat er 2015 untergebracht. „Früher“, sagt er, „haben wir sogar noch Wohnungen vermitteln können. Aber das ist heute so gut wie nicht mehr möglich.“
So bleibt für viele Obdachlose als Lösung nur das Café. „Sonne“ lebt auch auf der Straße, aber für ein paar Stunden findet er hier eine Heimat. Der stämmige Mann hat geduscht, die Brille liegt eingeklappt auf dem Tisch, er sitzt still vor einer Tasse Kaffee. Es ist nicht viel. Aber für „Sonne“ sind das Momente der Würde.
Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Konto bei der Berliner Sparkasse, BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Namen und Anschrift bitte für den Spendenbeleg auf der Überweisung notieren. Im Internet: www.tagesspiegel.de/spendenaktion
Von Frank Bachner