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Drogenentzug nimmt nicht nur Menschen sondern auch Möbel mit.
© dpa

Spendenaktion für Drogenentzug: Zentrum "Count Down" brauch Geld

Kalter Entzug in warmer Atmosphäre: Das Therapiezentrum „Count Down“ betreut 600 Süchtige im Jahr. Aber die Einrichtung braucht selbst Unterstützung. Denn nicht nur die Möbel sind abgenutzt.

Die Patientenstation endet an einer nüchternen weißen Tür. Wer sie öffnet, steht im Verwaltungsbereich – und in einem Naturparadies. Vor dem Beobachter erstreckt sich, atemberaubend in seiner Tiefe, ein Canyon, wie ein Strich schlängelt sich ein Fluss durch die Felsenwände. Ein Anblick, der Lebensfreude vermittelt, aber auch Demut und Entspannung. Es ist zwar nur ein Foto an der Wand des Besprechungsraums, aber sein Motiv vermittelt die Botschaft des Hauses. „Wir machen kalten Entzug in warmer Atmosphäre“, sagt Regine Tiggemann. Der „Count Down“, ein Projekt des Drogentherapiezentrums, zugleich Krankenhaus für Psychiatrie, kümmert sich um Rauschgiftsüchtige. Die fünfte Etage, zweiter Hinterhof, in diesem ehemaligen Fabrikgebäude in Friedrichshain ist die erste Anlaufstelle für Süchtige. Regine Tiggemann arbeitet hier als pädagogische Leiterin.

Vom „Count Down“ werden die Menschen weitergeleitet, in eine Kurz- oder Langzeitherapie, in Selbsthilfeprojekte. Im „Count Down“ sind sie maximal zehn Tage, deshalb der Name. In diesen zehn Tagen werden sie bei ihrem Entzug ohne Methadon begleitet, vor allem aber lernen sie ein paar soziale Grundregeln. „Wir sind hier viel näher an den Menschen, als es in Kliniken möglich ist“, sagt Regine Timmermann.

Diese Nähe ist dringend nötig. „Das Klientel der Süchtigen hat sich komplett geändert“, sagt die pädagogische Leiterin. Die Zeit, in der ihre Patienten vor allem aus der Atmosphäre des bürgerlichen Elternhauses mit seinen Erziehungsnormen ausgebrochen sind, ist vorbei. Jetzt tauchen Menschen mit erschütternden Biografien auf. Sexueller Missbrauch, zerrüttetes Elternhaus, Gewalt, das ganze Programm.

Stahl unter Seide

Solche Menschen stoßen im „Count Down“ oft zum ersten Mal in ihrem Leben auf menschliche Wärme und Zuwendung. Der Alltag verdichtet sich nicht mehr bloß zum kalten Überlebenskampf.

Ein Symbol dafür liegt zusammengefaltet im Akupunkturraum: rote, gelbe und grüne Wolldecken. Hier stecken Mitarbeiter ihren Patienten kleine Nadeln in fünf Stellen des Körpers, sogenannte Entgiftungspunkte. Die Süchtigen sind dabei in Wolldecken gehüllt. Ein Akt enormer psychischer Kraft. Die Wolldecke vermittelt nicht bloß Wärme und Wohlbefinden, sie liegt auch wie eine Schutzmauer um den Körper. Sie suggeriert Sicherheit und Entspannung. Leute, die ihre Umgebung ständig nach Gefahren scannen, können sich fallen lassen.

So läuft das Konzept von „Count Down“. Jede Stunde, jede Handlung kann eine neue Entdeckung bringen. Die Klienten essen zusammen und lernen, dass sie den anderen ausreden lassen, sie kochen und spüren, dass sie etwas geschaffen haben, sie putzen und spüren, dass es sich anschließend besser leben lässt. Sie hören in der Badewanne Entspannungsmusik, sie lernen wieder ihren Körper kennen, wenn sie massiert werden.

Das alles gepresst in klare Regeln. Kein unbegleiteter Spaziergang, kein Fernsehen bis 20 Uhr, wer übergriffig wird, fliegt raus, wer heimlich Drogen nimmt, auch. Stahl unter Seide. Diese Patienten müssen Regeln lernen. Dafür sind ihre Helfer ganz nah. „Nachts können viele nicht schlafen und wollen reden“, sagt Regine Tiggemann. Dann hören die Mitarbeiter zu. Diese Mitarbeiter achten auch darauf, dass die Patienten tagsüber möglichst selten in Drei-Bett-Zimmern sind. Kalter Entzug ist hart, die Patienten sollen nicht viel Zeit zum Nachdenken haben. Sonst wächst der Wunsch nach Rauschgift oder Ersatzstoff gefährlich an.

600 Patienten werden jährlich durch das Krankenhaus geschleust. Die Spuren dieser Masse sieht Regine Tiggemann, als sie im Wohnraum mit dem Zeigefinger durch einen 20 Zentimeter langen Riss im schwarzen Sofa-Bezug fährt. „Gestern war das noch nicht“, murmelt sie.

Spucken vom Balkon verboten

Hoher Verschleiß ist der Preis für die Kurz-Aufenthalte der Patienten. Deshalb benötigt „Count Down“ dringend Geld für neue Sofas, neue Matratzen, neue Tische, einen neuen Tisch-Kicker und eine neue Tischtennisplatte. „Count Down“ hat eine Platte, aber mit ihren Kratzern und Schrammen sieht sie aus wie ein Schnittmuster. Paul und Rafael, zwei Patienten, spielen gerade, als Regine Tiggemann kommt und besorgt den Zustand des Kickers untersucht. „Spielt ruhig weiter“, sagt sie. Doch Paul erwidert: „Nein, das wäre unhöflich.“ So reden sie auch im „Count Down“, so sehen kleine Erfolge aus.

Und wer noch nicht so weit ist wie Paul und Rafael, für den gibt’s klare Hinweise. An der Tür zur Terrasse klebt ein Zettel mit dem Hinweis: „Spucken vom Balkon führt zur sofortigen Entlassung“.

Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00), Konto 250 030 942 – Namen und Anschrift für den Spendenbeleg notieren. BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42

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