Berlin trauert um Richard von Weizsäcker: Ein Staatsmann des Volkes
Im Schloss Bellevue trugen sich am Sonntag viele Berliner ins Kondolenzbuch ein. Es sind nicht die einzigen Spuren von Richard von Weizsäcker, die er in Berlin für immer hinterlässt.
Ruhig und geordnet stehen sie da, bis zur Straße. Seit 11 Uhr am Sonntagmorgen liegt im Schloss Bellevue ein Kondolenzbuch für Richard von Weizsäcker aus, genauer gesagt sind es drei. Gegen 13 Uhr stehen etwa 24 Leute in der Schlange vor dem Flachbau am Spreeweg. Sie passieren Kontrollen wie am Flughafen, dann spazieren sie Richtung Schloss. Die Stimmung ist gut.
Vom Tod eines früheren Staatsoberhaupts aus der Zeitung zu erfahren, ist das eine, aber sich wirklich auf den Weg zu machen, um sich ins Kondolenzbuch einzutragen, ist nochmal etwas anderes. Die hier stehen, haben das Bedürfnis. „Er war einer der besten Präsidenten. Wir wollen ihm deshalb die letzte Ehre erweisen“, sagt Ansgar Santel aus Friedenau. Seine Frau Christiane stimmt ihm zu: „Er war nicht der gewöhnliche Typ Politiker. Heute hat man den Eindruck, es geht den Politikern nur um die Macht.“
Auch Winfried und Edeltraut Krüger sehen das so. Sie sind aus Marzahn zum Schloss Bellevue gekommen. „Richard von Weizsäcker hat die Bundesrepublik sehr geprägt“, sagt Winfried Krüger. „Und auch als Bürgermeister von Berlin hat er viel geleistet. Es ging damals ja drunter und drüber.“ Die Stimmen ähneln sich, es dominiert hoher Respekt vor der Lebensleistung eines Staatsmanns, der nie kleinkariert oder verbissen wirkte. Die Schlange ist vielgestaltig: Ein jüngeres schwules Paar steht an, eine Familie mit Kindern, Menschen jeden Alters. Gelegentlich rollt eine schwarze Limousine die Einfahrt hinauf, ein Botschafter eines anderen Landes entsteigt, schreibt im Nebenzimmer in das eigens für Diplomaten reservierte Buch und verschwindet wieder.
Für die Bürger liegen zwei Bücher bereit, auf zwei eleganten Mahagonischreibtischen, dazwischen steht „Richies“ Porträt mit Trauerflor und eine Glasvase mit weißen Rosen. Natürlich schmiert niemand sinnloses Zeug hin wie in Museumsgästebücher; die Einträge sind von Verehrung und Dankbarkeit geprägt.
Und es stimmt ja auch: Größe und Weltläufigkeit verbanden sich mit seiner Volksnähe zu einer sympathischen Mischung. Im RBB erinnerte sich der Mäzen und Rechtsanwalt Peter Raue an den Amtsantritt Weizsäckers als Regierender Bürgermeister so: „Da war von heut auf morgen die Stimmung besser als die Lage.“ Nur zwei Jahre und sieben Monate war Weizsäcker Regierender Bürgermeister von Berlin, und in dieser Zeit hat er deutlich Spuren hinterlassen. In die Zeit fielen Straßenschlachten mit Hausbesetzern, Wohnungsnot, eine hohe Arbeitslosigkeit in West-Berlin und sehr hohe Zuwandererzahlen aus der Türkei nach dem Militärputsch von 1980.
Die Verwaltung war überlastet, und Richard von Weizsäcker erfand die erste deutsche Ausländerbeauftragte, ein Schritt, der ihm auch von Seiten der Grünen Respekt einbrachte. Barbara John (CDU) erfüllte diese Aufgabe 22 Jahre lang und setzte darin Maßstäbe. Weizsäcker bewies einmal mehr die Unabhängigkeit seines Denkens; der Applaus aus der eigenen Partei fiel nicht nur in diesem Fall spärlich aus. Doch Lagerdenken war ohnehin nicht Weizsäckers Art.
Er erlaubte sich vieles und konnte das auch
Er war offenbar ein meisterhafter Diplomat, der es sich erlauben konnte, bis zum Tabubruch zu gehen. So war Weizsäcker im September 1983 der erste Regierende Bürgermeister West-Berlins, der einen SED-Generalsekretär besuchte. Er traf sich mit Erich Honecker im Schloss Niederschönhausen; die Westalliierten hatte er nicht mal um Erlaubnis gefragt. Und auch dass die stillgelegten, von der DDR betriebenen S-Bahn-Strecken in die BVG eingegliedert und wiederbelebt wurden, war das Verdienst seiner Diplomatie. Und fast ein Symbol, denn dass die deutsche Teilung kein Zustand ist, der von Dauer sein darf, hat er immer deutlich gemacht. Kaum dass sich die Gelegenheit bot, nutzte er das Schloss Bellevue für den Empfang von Staatsgästen, und dass Berlin schließlich Hauptstadt wurde, ist unter anderem auch ihm zu verdanken.
Immer schon war Richard von Weizsäcker sportbegeistert. Man sah ihn anbaden im Prinzenbad und schwimmen im See, es gibt Fotos des schon alten Ex-Bundespräsidenten im Trainingsanzug beim 100-Meter-Sprint, und auch beim Tennisturnier von Rot-Weiß im Steffi-Graf-Stadion ließ er sich noch im hohen Alter jedes Jahr sehen.
Und erst die Kultur! Seine Verbundenheit mit der Berliner Philharmonie gipfelte 1995 darin, dass ihn die Philharmoniker zum Ehrenmitglied machten. Schon als Regierender Bürgermeister hatte er klargestellt, dass Kulturerlebnisse für jedermann erschwinglich sein müssen – er sorgte für Geld und wehrte sich dabei entschieden gegen den Begriff Subvention.
Noch bis Montagabend liegt das Kondolenzbuch im Schloss Bellevue aus, ab Dienstag 11.30 Uhr dann im Säulensaal des Roten Rathauses. Ein Blick hinein könnte auch für heutige Politiker lehrreich sein. Ihm ist zu entnehmen, was für eine Instanz Richard von Weizsäcker für die Berliner war: seine Lebensleistung, seine Integrität, sein Vorbild. Und: Es wird beklagt, dass ein solcher Politikertypus heute nicht mehr existiere.
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