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Höre, Rolf. Ben Wagin und Rolf Eden sind seit über 50 Jahren befreundet.
© Hans Ohse

Rolf Eden und Ben Wagin: Ein seltsames Paar

Der eine brachte der Stadt Misswahlen und Gogo-Girls, der andere politische Kunst und viele, sehr viele Ginkgos. Was kaum jemand weiß: Rolf Eden und Ben Wagin sind Freunde, seit mehr als 50 Jahren.

"Hier ist die Maus, gib mir mal den Igel." Die Sekretärin stutzt, stellt dann aber durch. "Du, können wir das jetzt machen mit dem Stein da?", fragt der Anrufer. Kurze Pause am anderen Ende der Leitung. "Ja, können wir machen." So erzählt es Ben Wagin. Und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sich sein Vorstoß neulich beim Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick, Oliver Igel, genau so zugetragen hat. Wagin - der Mann mit dem Käppi auf dem kahlen Kopf, den verhornten Fingerkuppen und den durchgewetzten Hosen, den die meisten Berliner nur als den "Baumpaten" kennen - ist dafür bekannt, mit der Tür ins Haus zu fallen. Überall hat er schon angerufen, ausnahmslos jeden sofort geduzt. Seine Kunst- und Pflanzaktionen stimmt er nur telefonisch ab, am liebsten mit den obersten Würdenträgern, Bundespräsidenten abwärts. Das hat in den letzten sechs Jahrzehnten ziemlich oft ziemlich gut geklappt. Auch diesmal wieder. Igel hält Wort, der Gedenkstein, Wagin selbst nennt ihn "Denkstein", ist vor wenigen Tagen in der Köpenicker Altstadt am Futranplatz verlegt worden.

Es ist einer von vielen Steinen, die Wagin in diesem Jahr an geschichtsträchtigen Orten in die Erde bringt. Alte Gehwegplatten aus dem Vorkriegs-Berlin hat er ausgesucht, darauf schwarze Jahreszahlen eingravieren lassen: 1933, 1938, 1945. Schicksalsjahre der deutschen, der jüdischen, der gesamten europäischen Bevölkerung. Darunter jeweils die Namen der Sponsoren. Auch am Savignyplatz, Ecke Knesebeckstraße, liegt seit Mitte Juni solch ein Stein. "Spende: Rolf Eden" steht links unten. Rolf Eden? Was hat der Ku’damm-Papagei, der Ex-Clubbetreiber, Villenbesitzer und Frauenflüsterer Rolf Eden mit dem ewig mahnenden Ben Wagin zu tun? Während der eine sich angeblich nie für Politik, geschweige denn für die deutsche Geschichte interessierte, überzieht der andere die Stadt seit Jahrzehnte mit Bäumen, Wandbildern, Ausstellungen und Installationen. Eden hat Berlin die flüchtigen Freuden des Nachtlebens gebracht, er hat DJs, Misswahlen und Gogo-Girls importiert, die freie Liebe gelebt und seine Clubs eng mit der Inszenierung der eigenen Person verknüpft. Wagin hat den Umweltschutz lange vor den Grünen entdeckt, er hat den europäischen Gedanken propagiert und im Ginkgo, den er überall dort pflanzte, wo ihm ein Baum als Baum und als Symbol angemessen schien, seinen politischen Botschafter und sein künstlerisches Ausdrucksmittel gefunden. Der Raubbau an der Natur und die Verbrechen gegen die Menschheit sind seine Lebensthemen geworden. Eden dagegen bekannte sich zuletzt 2012 in seiner Autobiografie zu einer Philosophie der Oberflächlichkeit: Geld, Glück, Gegenwart. Was sich über die letzten 80 Jahre sagen lässt? Es lief stets "fantastico", mit den Damen genauso wie mit den Gaststättenbesuchern, den sieben Kindern, dem nicht ausfallenden Haupthaar. Vor einem Jahr wollte die "Süddeutsche Zeitung" mit ihm über seine jüdische Herkunft und antisemitische Übergriffe im heutigen Deutschland sprechen. "Ich liebe Berlin, ich liebe Deutschland", antwortete er. "Wollen wir nicht lieber über Frauen als über Politik reden?" Was haben diese zwei bloß miteinander zu schaffen? Worauf beruht die gegenseitige Wertschätzung, die auf den Bildern, die der Fotograf Hans Ohse in den letzten Monaten von Wagin und Eden gemacht hat, so deutlich sichtbar wird?

Sympathisch verschieden. Ben Wagin interessiert sich für Nachhaltigkeit, Rolf Eden für den Moment.
Sympathisch verschieden. Ben Wagin interessiert sich für Nachhaltigkeit, Rolf Eden für den Moment.
© Hans Ohse

Der Kern ihrer Freundschaft, die in den späten 50ern oder frühen 60ern in West-Berlin beginnt, ist schwer zu fassen. Nicht nur, weil Eden und Wagin in der Öffentlichkeit über die Jahre verschmolzen sind mit ihren holzschnittartigen Fassaden. Beide wurden zu wiedererkennbaren Marken, an der Grenze zur Lächerlichkeit der eine, an der Grenze zur Redundanz der andere. Die S-Bahn, die von Osten her kommt, fährt am Savignyplatz ein. Aus den Fenstern ist Wagins Weltenbaum, der seit 1985 eine Hausrückwand direkt am S-Bahnhof ziert, nur unter Halsverrenkungen zu erkennen. Aber die neuen gemalten Rechtecke zu seinen Füßen, auf Augenhöhe der Fahrgäste, fallen sofort auf, wieder die drei schwarzen Jahreszahlen: 1933, 1938, 1945. Im Juni hat Wagin sein Werk, sichtbar für alle, die hier Tag für Tag mit S-Bahnen, Regional- und Fernzügen vorbeikommen, restauriert.

Das Büro von Herrn Eden in der Wilmersdorfer Straße, nur einen Steinwurf vom S-Bahnhof entfernt, sieht fast genauso aus, wie man sich das Büro von Herrn Eden in der Wilmersdorfer Straße vorgestellt hat. Nur weniger mondän. Ein gedrungener, schmuckloser Neubau, im ersten Stock ein Sekretärinnenzimmer, ein Durchgangszimmer, ein Edenzimmer. Die zuverlässige Frau Hermann, die man als tatkräftige Unterstützerin ihres Chefs bereits aus Edens Autobiografie kennt, bietet Kaffee und Wasser an. An den Wänden Bilder, Zeitungsausschnitte, Fotos, großformatige Plakate neben klitzekleinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Die Früchte der fleißigen Selbstvermarktung. "Fleißig" ist übrigens das Adjektiv, das Eden auch in Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr am häufigsten verwendet. Die Damen waren fleißig, und er war auch fleißig. Eine Chaiselongue, sie ist rot, rundet das etwas abgedroschene Bild ab.

Bäume interessieren Eden sonst gar nicht

Vor dem Fenster dann aber doch ein angenehm sachlicher Schreibtisch, dahinter ein schmaler Herr mit zerzaustem Haar. Rolf Eden wirkt, die Worte erscheinen despektierlich, sind aber die einzigen, die passen: rissig und brüchig. Sein Gesicht, trotz mehrmaligen Liftings, ein Feld aus Furchen. "Jeder Jahresring ist ein Sinnbild für gelebte Kraft, ist wie eine Falte in einem Gesicht", steht auf einer der Weltenbaum-Tafeln am Savignyplatz. Eden hat gelebt, das sieht man. Jetzt ist er ein alter Mann, das sieht man auch. Die Interviewreflexe funktionieren noch. Erst ein Foto auf der Couch, dann das Gespräch? Aber sehr gerne, Madame, wie Sie mögen, Madame. Eden spricht in knappen Sätzen, schablonenhaft. Ein Fan von Ben Wagin sei er, "der ist so gut, der Junge, der macht das so konsequent seit so vielen Jahren". Nein, Bäume interessieren ihn, Eden, sonst gar nicht, zu Hause im Garten, da habe er welche, aber in die Natur fahren, nein, was soll ich da, total langweilig. In Frankreich an den Strand gehen, das ja, aber Wald, so was Langweiliges, überhaupt nicht. Der Ben, ja, "ich bin immer begeistert von Ben", der rufe an, wenn er wieder neue Sachen mache, lade ihn ein, "dann mache ich das natürlich, ich versuche ihn so viel wie möglich zu unterstützen". Und sonst, privat ein Kunstsammler, nein, überhaupt nicht, ein paar Bilder habe er, aber mit der Kunstszene nie was zu tun gehabt. "Die einzige Kunst, die mich interessiert, ist die, wo ich drauf bin. Guck mal das Bild da unten, berühmte Hollywoodschauspielerin, und da das kleine Bild, da war ich 16, da habe ich Werbung für ein Lokal gemacht." Auf dem Foto sitzt Eden auf einem Esel und reitet durch Haifa.

Rolf, Künstlername Eden, mit dem Old Eden, dem New Eden, dem Eden Playboy Club und dem Big Eden, die er im Laufe der Jahre entlang des Ku’damms eröffnet, reich und bekannt geworden, ist längst raus aus dem Partygeschäft. Heute ist er Immobilienbesitzer, "gefällt mir sehr, sehr gut die Branche". Rund 700 Berliner Mietwohnungen besitzt er, und nein, mit Spekulation, Mieterverdrängung, Luxussanierung will er nichts zu tun haben. "Ich baue nichts und verkaufe nichts." Warum auch, die Wohnungen bringen doch Geld im Schlaf. Die Leute wohnen und bezahlen, besser geht’s nicht. Dass die Immobilienpreise in Berlin anziehen, findet er natürlich gut, klar. Aber Mietsteigerungen? "Wenn die Leute drin wohnen, kann man ja nicht die Preise erhöhen." Hinter den Phrasen schimmert ein Kern Wahrhaftigkeit. Ein anständiger, großzügiger Kerl sei Rolf Eden, das sagen viele über ihn. Einer, der stets alle einlädt, bei Rechnungen generös aufrundet, der größere Summen an kranke Freunde überweist, Häuser verschenkt, gute Gehälter zahlt. Viel darüber gesprochen hat er nie, lieber hat er Talkshows mit schmierigen Thesen zur Prostitution aufgemischt. Der weichherzige Menschenfreund - vielleicht passt das nicht ins Bild des sex- und amüsierbesessenen Kapitalisten, das Eden immer von sich zu malen bemüht war.

Der Galerist und der Jazzer

Unterstützer. Rolf Eden spendet immer wieder für Ben Wagins Projekte.
Unterstützer. Rolf Eden spendet immer wieder für Ben Wagins Projekte.
© Hans Ohse

Dabei, das wird Wagin später erzählen, trägt Eden seit Jahrzehnten einen nicht unerheblichen Teil der jährlichen Kosten für dessen "Parlament der Bäume". Das Parlament der Bäume. Dieser seltsam aus der Zeit gefallene Ort an der Spree, mitten im Regierungsviertel, eingeklemmt zwischen den gläsernen Fassaden der Bundespressekonferenz und dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Ein Abschnitt der originalen Mauer steht noch, rundherum gedeihen Bäume und Sträucher, Inschriften erinnern an die Toten der Mauer und des Zweiten Weltkriegs. Das Parlament der Bäume wirkt uneinheitlich, wuchernd und vielschichtig. Keine facebooktaugliche Fotofassade wie die East Side Gallery, kein musealer Stillstand. Ein Zaun hält die Besucher auf Abstand, kaum ein Tourist schleicht herum. Das Gelände, das Wagin kurz nach der Wende zu gestalten beginnt, ist eines seiner zentralen Werke geworden, sein Biotop, sein Kleinod, sein Knotenpunkt. Von hier aus spannt er imaginäre Fäden über das ganze Stadtgebiet. Er hat Parlamentarier und Ministerpräsidenten dazu gebracht, auf dem "blutgetränkten Boden" grüne Signale der Versöhnung zu pflanzen. Er hat die weiße Mauer mit schwarzen Merksätzen beschrieben. Das Fundament eines gemeinsamen europäischen Hauses muss eine intakte Umwelt sein, heißt einer davon. "Angespuckt" hätten sie ihn anfangs dafür. Weil die Mauer augenblicklich plattgemacht werden sollte, die Mauer muss weg, das war doch im Westen seit Jahrzehnten das geflügelte Willy-Brandt-Wort. Auch Wagin beruft sich auf Brandt, auf dessen Rede vom 10. November 1989. "Übrigens, übrigens, liebe Freunde, ein Stück von jenem scheußlichen Bauwerk, ein Stück davon könnte man dann von mir aus sogar als ein geschichtliches Monstrum stehen lassen", hatte der Altbundeskanzler gesagt. 2001 ist der Berliner Senat der Empfehlung gefolgt und hat die wenigen verbliebenen Mauerreste unter Denkmalschutz gestellt - außer die im Parlament der Bäume. Denn das Grundstück gehört dem Bund und der kann sich nicht dazu durchringen, den teuren Baugrund im Herzen des Regierungsviertels aufzugeben. Mehrere Legislaturperioden lang sind alle Versuche gescheitert, einen entsprechenden fraktionsübergreifenden Antrag zu stellen.

Bis 2017 hat Wagin jetzt noch Bestandsschutz. Dann wäre er 87. Ihm rennt die Zeit davon. Auch Rolf Eden hat im Parlament der Bäume vor zehn Jahren einen Baum gepflanzt, einen Walnussbaum. Vor ein paar Tagen ist Wagin auf die Leiter gestiegen und hat die Ernte eingeholt. Jedes Jahr kümmert er sich darum, dass der Freund die Nüsse auch bekommt. "Die mag er gerne." Nüsse als Dank. Jeder andere ließe sich öffentlich für sein Engagement feiern, als geschichtsbewusster Mäzen, als kultureller Wohltäter. Eden selbst wischt die Frage so schnell von seinem Schreibtisch wie alle anderen Fragen zuvor. Ob er beziffern könne, mit wie viel Geld er Wagin über all die Jahre ausgeholfen habe? "Das weiß ich nicht. Ist auch egal. Er war zufrieden, ich bin zufrieden, und dann sind wir alle zufrieden und das ist das Wichtigste."

Eden richtete gelegentlich Hochschulfeste aus

Dann reden wir doch über die Anfänge. Er, der junge Jazzmusiker und Barbesitzer, und Wagin, der auffällige Galerist, der damals noch Maßanzüge trug und junge Berliner Maler und Bildhauer um sich sammelte. 1957 eröffnete der Eden-Saloon in der Nestorstraße 7. Hier war das Bier billig und die Wandbemalung existenzialistisch, hier rauchten und tranken Musiker, Schauspieler, Künstler, hier passten sie beide hin: Rolf Eden und Ben Wagin. 1968 zog Wagin mit seiner Galerie S vom Siegmundshof im Tiergarten in die unmittelbare Nachbarschaft, ins Europacenter. Da soll Eden oft vorbeigekommen sein, wenn er seine Einnahmen zur Bank brachte. Gelegentlich blieben ein paar Scheine auf Wagins Tisch liegen. Umgekehrt half der Galerist gerne aus, wenn Jurymitglieder für die ab den 60er Jahren bei Eden ständig stattfindenden Miss-Irgendwas-Wahlen fehlten. Erinnern Sie sich noch, Herr Eden, wie das damals war mit Ihnen und Ben Wagin, in diesen ersten Jahren in West-Berlin? "Das weiß ich nicht mehr. Das kann ich nicht mehr sagen."

Einer, der es noch ganz genau weiß, sitzt fünfhundert Meter weiter und guckt sachlich durch den Zwicker, der auf seiner Nase klemmt. Joachim Schubert betrieb jahrelang im Erdgeschoss der Mommsenstraße 7 eine Galerie, heute gibt es die nur noch im Internet und im Hinterhaus. Schubert kennt Wagin von der Hochschule der Künste, dort haben sie beide Ende der 50er Jahre studiert. Eden richtete damals gelegentlich Feste der Hochschule mit aus, verkaufte die Getränke, besorgte die Kellner. An die kreativen Einfälle des jungen Gastronomen kann sich der 76-Jährige gut erinnern. "An einem kaputten Haus an der Joachimsthaler Straße hatte er kleine Automaten angebracht. Da konnte man eine Mark reinschmeißen und dann kam ein Brötchen raus, das war toll."

Schubert wurde später Filmemacher und Journalist, jahrelang hat er für das ZDF aus West-Berlin berichtet. Eden sei immer willig gewesen: "Wenn ich jemanden brauchte, der was Witziges sagen sollte, hat Rolf gerne mitgespielt." Vor zehn Jahren hatte Schubert die Idee, einen Film über Wagin und Eden zu machen, 2008 konnte er ihn endlich realisieren, erstmals im Kino gezeigt wird "Rolf Eden & Ben Wagin. Zwei Erfinder ihrer selbst" erstmals Ende dieses Jahres in der Filmkunst66 in der Bleibtreustraße, ganz in der Nähe von Edens Büro, Wagins Weltenbaum und Schuberts ehemaliger Galerie. Drei Tage lang mietete sich Schubert ins Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße ein, ließ die Fernsehjournalistin Johanna Schickentanz stundenlange behutsame Gespräche mit den beiden Protagonisten führen. Damals ist Eden noch sichtbar gesprächiger als heute, erinnert sich gut an die frühen Jahre. Die lustigste Stelle: wenn er über die von ihm finanzierten Bäume schimpft, die Wagin auf dem Ku’damm gepflanzt hat. "Du kannst doch Bäume überall machen, nur nicht auf dem Mittelstreifen, wo unsere Parkplätze sind." Die vielsagendste Stelle: wenn er auf der leeren Bühne zum Akkordeon greift, schunkelt und singt, während Wagin mit verschränkten Armen, scheu und ernst, danebensteht. Wenn man fragen würde, wie Rolf Sigmund Sostheim, 1933 mit seiner Familie vor den Nazis nach Palästina geflohen, aufgewachsen in den Straßen Haifas, geschlafen auf der Terrasse des elterlichen Hotels, gekämpft und gehungert im Israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948/49, als Musiker über Tel Aviv und Paris 1956 nach Berlin zurückgekehrt, die Erlebnisse seiner Jugend kompensiert hat - dann ist dies vermutlich die Antwort.

Beide wurden den Geruch des Lokalen nie los

So einfühlsam der Film ist, so unsentimental ist der Blick, den Schubert auf sich und die beiden Weggefährten hat. Ihren Zenit hätten sie allesamt überschritten, sagt er, heute beherrsche eine ganz andere Klientel die Szene. Tragisch sei, dass beide, vor allem aber der Künstler Wagin, nie den Geruch des Lokalen loswurden. Natürlich habe das mit der Situation im damaligen West-Berlin zu tun. "Alles war zusammengepresst, alles war drin, nichts sprang raus." Die ummauerte Stadt, die ihnen anfangs als große Spielwiese offenstand, als Experimentierfeld, als Bühne, sie hat sie über die Jahrzehnte auch gefangen gehalten und ausgebremst. Auch deshalb konnte Joseph Beuys Ben Wagin überregional die Show stellen. Rolf Eden dagegen hat es nie woanders als am Ku’damm versucht. Als sich die Clubszene um die Jahrtausendwende in die ehemaligen Ostbezirke verlagert, verkauft er 2002 das Big Eden. Und zieht einen Schlussstrich unter diesen Nachtlebensabschnitt, einfach so. "Ich habe ihn als sehr sozialen Menschen kennengelernt, der hat nie jemanden weggeschickt", sagt Schubert. Andererseits: "Rolf Eden hat keine Freunde." Ein Individualist sei er, mit manchmal fast autistischen Zügen. "Und sehr verschlossen, wenn es um seine Vergangenheit geht." Und Wagin, der die feinen Maßanzüge bald gegen die grobe Aktivistenkluft wechselte? "Tiefe Freundschaft, die über das Mögen hinausgeht, gibt es auch bei Ben nicht." Seit Jahrzehnten kennt er ihn, war mit ihm zusammen bei der Art Basel, hat Ausstellungen und Filme mit ihm realisiert. Aber Wagins Privatwohnung hat Schubert 2013 das erste Mal betreten.

Auch Hermann Treusch war noch nicht oft bei Wagin zu Hause, "wir spielen auch kein Skat zusammen". Wir stehen am Rand der Skulpturenwiese zwischen Tipi, Kanzleramt und Reichstag, die Baumkronen halten den Nieselregen ab. Seit einigen Jahren arbeitet der Schauspieler und ehemalige Intendant der Freien Volksbühne nicht mehr, die ganzen mittelmäßigen Filme und Fernsehserien vermisse er nicht, sagt er. Bei Wagins öffentlichen Aktionen fehlt der 75-Jährige fast nie. Schon seit den 60ern machen sie zusammen Theater. Wagins Kunst? "Produktiver Wahnsinn." Der Mann selbst? "Ein Anarcho." Vor zwei Jahren sind sie mit einem Leiterwagen von der Skulpturenwiese aus losgezogen, zu einer Performance entlang des Kanzleramts und vor dem Brandenburger Tor. "Wunderbar, eine super Veranstaltung." Jetzt also auch hier ein Denkstein. Genau an der Stelle, an der früher die Krolloper stand, die heute kein Mensch mehr kennt. In den 20er Jahren wurden unter der Leitung von Dirigent Otto Klemperer Werke von Arnold Schönberg und Paul Hindemith uraufgeführt, später verkündet Hitler das Ermächtigungsgesetz, mit dem er die Demokratie abschafft.

Vor kleinem Publikum, hauptsächlich Beteiligte und Bekannte, hat Wagin den Stein enthüllt. Drei pausbäckige Schulkinder haben einen Aphorismus von Christian Morgenstern aufgesagt. Auch der Baum, auch die Blume warten nicht bloß auf unsere Erkenntnis. Sie werben mit ihrer Schönheit und Weisheit aller Enden um unser Verständnis. Rolf Eden hat kurzfristig abgesagt. "Ich habe ihn das nie gefragt", sagt Treusch. Warum der Eden, der passt doch gar nicht zu dir, das ist doch ein Großkapitalist, ein mehrfacher Millionär. "Aber zur unserer Freundschaft gehört auch, manche Fragen nicht zu stellen."

Ben Wagins überbordendes Archiv

Ausstieg S-Bahnhof Tiergarten, dann zweimal um die Ecke, unter der Unterführung durch. Schon im Hausflur wird klar: Hier wohnt ein Unermüdlicher. Ein Bild, ein Stuhl, eine Installation aus Tannenzapfen und buntem Papier. Was soll das sein? Er knete Popel, hatte Wagin am Telefon gesagt, rätselhaft wie so oft. Jetzt steht er in der Tür, höchstens 1,60 Meter groß, verschmitzt, agil, muskulös. Die Besucherin wird zur Begrüßung gestupst, komm rein, Mädchen, dann darf sie die Räume inspizieren. Wo sind wir, in einer Wohnung, einem Atelier, einer Privatgalerie? An allen Wänden der Altbauwohnung hängen dicht an dicht Gemälde, Peter Janssen, Siegfried Rischar, Heinrich Richter, Fritz Köthe, Manfred Bluth. Skulpturen von Heinz Otterson stehen herum, daneben Wagins eigene Arbeiten, abstrakte Installationen aus Natur- und Baumaterialien, zusammengeklebt, mit Farbe übertüncht. Überall ragen Handschuhe heraus, von der Decke hängen Stühle und Äste, auf dem Boden liegen Zeichnungen, Pappkartons mit Bastelmaterialien stehen herum, alter Kaffeesatz trocknet auf dem Fensterbrett, eine Matratze, auf die ein Klodeckel modelliert ist, liegt schräg im Raum.

Das gleiche überbordende Archiv auch in Wagins Kopf. Er springt von Episode zu Episode, alles ist präsent, alles wird eingewoben, angerissen, die 50er, die 60er, die 80er, die nuller Jahre, der Richie, die Rita, der Klaus (das Gegenüber muss sich den Weizsäcker, die Süssmuth und den Töpfer dazureimen), seine Baumpflanzungen, seine Bücher, Ausstellungen, Filme, Interventionen. Manchmal muss Wagin beim Erzählen laut und unwirsch werden, muss sich aufregen über die "Pisser" und "Arschlöcher", die nichts verstehen und nie eine Schramme abgekommen haben und ihn immer noch mit irgendwelchen Gremien belästigen. Das ewige Überzeugungs-, Durchsetzungs- und Genehmigungsspiel, das er doch in- und auswendig kennt. Und er kann sich denken, was sie über ihn denken: "Was will der denn immer noch, der ist doch längst überfällig!"

Ben Wagin will sein Werk noch rund kriegen

Wagin ist, anders als Eden, noch nicht fertig. So viele Pläne, so viele Ideen, so viel zu regeln. Er will es irgendwie noch rund kriegen, dieses große wirre Ding namens Leben oder Werk. Das Areal am Gleisdreieck, dann diese vollgestopfte Wohnung und das darunterliegende Atelier, dazu das Parlament der Bäume, überhaupt das ganze Thema Mauer, da wird er noch mal was machen, im Herbst 2014 am Brandenburger Tor, Klaus (in Klammern: Wowereit) weiß aber noch nichts davon. Dauernd klingelt das Handy in seiner Hosentasche, Menschen erkundigen sich nach Maßen, Terminen, Oberflächenstrukturen. Wir müssen das Fenster schließen, die S-Bahn ist zu laut. Die Gleise grenzen direkt an die Außenmauer von Wagins Haus an, die Züge werfen ihre Schatten bis in die Zimmer. Seit über 50 Jahren die gleiche Tonspur, im Minutentakt.

Zum ersten Mal gehört hat er sie im Kino in Posen, in einem Film, in den er sich als Siebenjähriger hineinschleicht. Der Film spielt in Berlin, ein Mann fährt S-Bahn, der Zug hält, der Mann steigt aus und ist, Schnitt, in seiner Wohnung. In Berlin tritt man von der S-Bahn direkt ins Wohnzimmer, davon war der junge Ben fortan überzeugt. Die Tante, zu Besuch aus der Hauptstadt, lacht ihn aus. Er wird recht behalten. 1947, kurz nach seiner Ankunft in Berlin, findet er das Haus in der Joseph-Haydn-Straße und bewahrt es vor dem Abriss. Über seine Jugend im heutigen Polen spricht Wagin kaum, nur Andeutungen lässt er fallen. Da ist der Großvater, ein Tierarzt, der Ben in den 30er Jahren mit in den Wald nimmt. "Das war die Figur, die mich geprägt hat." Sonst wenig gute Erinnerungen, nur schlimme Bilder. Die toten Kleinkinder, die er im Winter 1945 in einer Scheune unter Stroh findet, "einfach abgekippt". Der stinkende Pferdemist am Boden des Waggons, der ihm während der zwölftägigen Flucht von der Ostfront in Richtung Oldenburg das Leben rettet. Der Rest seiner Familie ist nicht dabei auf dieser Reise. Wo sie sind? Vorher schon "erfroren oder verhungert". Die Mutter, die er nur "sie" nennt, hatte einen Hang zur Mode und zur Hauptstadt, dann kreuzt ein Kind ihre Pläne. Über den Vater kein Wort. Dafür fallen Ausdrücke wie "verschiedene Feiertage und Gebetsbücher", auch eine Narbe, die er sich 1938 "eingehandelt" habe, erwähnt er. Hat Wagin, wie Eden, jüdische Wurzeln? Öffentlich war das nie ein großes Thema. Es habe damals Momente großer Menschlichkeit gegeben, sagt er nun. Diese Ärztin, die ihn untersucht und dann durchwinkt, "da war es mal nahe dran". Er habe ja kein äußeres Erkennungszeichen getragen, "aber als die Hose runtergezogen war, genügte ein Blick".

Die Nabelschnur der sozialen Herkunft haben beide gekappt.

Wagin hat Leid, Krieg, Vernichtung gesehen und erlebt, er ist dem Tod nur knapp entronnen. Selten hat er darüber konkret gesprochen. Anfangs vielleicht, weil die Erinnerungen zu unerträglich waren. Später womöglich auch, um als Künstler nicht auf den Betroffenenstatus reduziert zu werden. Rolf Eden wurde noch lange, auch als er längst in Berlin war, "Shimon" genannt, das war sein jüdischer Spitzname. Er hat sich das irgendwann vehement verbeten. "Wir haben uns beide von Mama und Papa getrennt", sagt Wagin auf die Frage, worin er und Eden sich ähneln. "Die gibt es nicht mehr oder hat es nie richtig gegeben." Die Nabelschnur, die sie mit ihrer sozialen Herkunft verbunden hat, haben beide gekappt. Haben sich gegen die nahtlose Fortsetzung einer bürgerlichen Existenz entschieden, gegen deren Vorgaben und Konventionen. "Das ist genau das, was mich an diesen Ort gezogen hat. Ich musste mir eine neue Wiege schaffen." In West-Berlin war das möglich. "Die Stadt war da, aber noch nicht vorhanden."

Vielleicht ist das das Band. Ihr provokantes Selbstbewusstsein, das gerade nicht einer heilen Kindheit entspringt. Ihre Entschlossenheit, ihr Gestaltungswille. Ihr einnehmendes Charisma. Wagins Duzen, Edens Flirten. Und dennoch diese Aura des Undurchdringlichen. Das Solitäre, auch ein bisschen Pariahafte. Wagin hat nie geheiratet, nie einer Frau gestattet, ihn zum Vater zu machen. Eden hat jeder Freundin unmissverständlich klargemacht, dass langfristige Bindungen in seiner Lebensplanung nicht vorgesehen sind. Sie haben den Preis für ihre innere Unabhängigkeit bezahlt. Wagin ist kein goldenes Kalb der Kunstsammler und kein Darling der Feuilletons geworden, Eden kein anerkannter Entertainer oder achtbarer Ehrenbürger. Im Gegenteil: Bis heute geben Lokalpolitiker Ben Wagin zu verstehen, dass es von offizieller Seite nicht erwünscht sei, dass ein Herr Eden als Sponsor genannt wird oder bei Einweihungen anwesend ist. Wir stehen schon an der Tür, aber Wagin muss jetzt noch mal richtig laut werden. So sehr regt er sich darüber auf. Eden, darauf angesprochen, schert das alles nicht. "Das ist nicht mein Problem, was den Politikern gefällt." Dann schenkt er der Besucherin zum Abschied ein Parfüm.

Der Text erschien zunächst am 28. September 2013 in der Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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